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Genießen statt schwitzenKühl bleiben

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Der Trend dieses Sommers ist „Coolcation“. Denn wer fährt schon in den heißesten Wochen des Jahres in Gegenden, die besonders heiß sind?

Kühl bleiben! Wie hier eine Wildschweinbache bei einem Schlammbad Foto: Helge Schulz/Zoonar/imago

K lar, früher war alles schon mal da, es hieß nur anders: „Bouldern“ war Klettern, „Hiken“ Bergwandern, „Urban Gardening“ Gartenarbeit – und „Coolcation“ eben schlicht Sommerfrische.

Und doch ist bei dieser von den touristischen Fachmagazinen und sozialen Medien ausgerufene Trendsynthese von „cool“ und „vacation“ die Lage etwas anders. Denn die Sehnsucht, im Sommer eben gerade nicht dahin zu fahren, wo ein stabiles Hoch für entsprechend hochsommerliche Temperaturen sorgt, ist dem Klimawandel geschuldet. Gewiss war es auch schon vor 30 oder 50 Jahren eine Herausforderung, der sich im Wesentlichen Touristen unterzogen, den August in einer der italienischen Kunststädte zu verbringen.

Wenn nun aber etwa die Sommermonate in Rom konstant Tagestemperaturen nahe 40 Grad liefern und die Nächte keine echte Abkühlung mehr bieten, dann sprechen selbst die hitzebeständigen Einheimischen schlicht von „Lockdown“ und bleiben von den frühen Morgenstunden abgesehen zu Hause beziehungsweise in geschlossen Räumen mit der Klimaanlage auf Höchststufe.

Paradoxerweise scheint also die menschengemachte, künstliche Erderwärmung die Gattung Mensch zu einem natürlichen Verhalten zurückzuführen – nicht umsonst verbringen Wildschweine die heißen Stunden des Tages am liebsten in schattig-schlammigen Fennen oder Pfuhlen.

Deutschland vorn – theoretisch

Bei weiter sich verringernder Schneemenge dürfte der Trend auch auf den Winterurlaub übergreifen: Nie wäre der mittelalterliche Mensch auf die Idee gekommen, ausgerechnet in der kalten Jahreszeit sich den Gefahren der Bergwelt auszusetzen; wenn es künftig keinen Schnee mehr gibt, braucht man sich entsprechend auch nicht auf die Gipfel schleppen zu lassen, um anschließend eh nicht von ihnen herunterrutschen zu können.

Deutschland könnte von dieser Entwicklung profitieren – theoretisch. Wer wie der Autor seinen Urlaub auf einer Nordseeinsel beziehungsweise im Bayerischen Oberland verbracht hat, verlebte wunderbar milde, erholsame Tage, laue Nächte und frische Morgen, mit zwischendurch ein paar hübschen Wölkchen und mehr malerischen als bedrohlichen Gewittern.

Zwischen diesen Destinationen lagen allerdings Reisen mit der dysfunktionalen Deutschen Bahn, die den Erholungswert beträchtlich verringerten. Denn selbst bei angenehmen 25 Grad Außentemperatur entspricht ein ICE-Abteil mit ausgefallener Klimaanlage einem Aufenthalt an einem der voll belegten Adriagrills.

Vielleicht ist es aber gerade dieser heruntergewirtschafteten Infrastruktur zu verdanken, dass man zwei Stunden nördlich von Hamburg und vierzig Minuten südlich von München an menschenleeren Stränden und einsamen Seen wandeln darf, während „der große Haufen sich, in überengen / Behältern drangvoll duldend wie auf Viehtransporten, / Aus Deutschlands nördlich milden Breiten oder Längen / Hinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten“, wie es der Dichter Peter Hacks einst in seinem Gedicht „Rote Sommer“ so passend beschrieb.

Ob die Neuauflage der Sommerfrische dauerhaft ein Geheimtipp bleiben wird? Wünschenswert ist das nicht. So wie man nur wirklich frei sein kann, wenn alle frei sind, so ist Erholung ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht – und nicht zuletzt der Natur selbst: Ein Mittelmeerraum, der im Sommer zwar in der Mörderhitze flimmert, dessen Rhythmus sich aber entsprechend verlangsamt, der vor dem Ansturm des Massentourismus verschont bleibt und Zeit zum Regenerieren hat, ist selbst unter ökonomischen Gesichtspunkten keine schlimmere Vorstellung als ein besinnungslos Richtung Hitzekollaps taumelndes System. Und Rom ist nie schöner als einem klaren Tag im Januar.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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3 Kommentare

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  • HEINZ ERHARDT

    "Urlaub im Urwald

    Ich geh im Urwald für mich hin…



    Wie schön, daß ich im Urwald bin:



    Man kann hier noch so lange wandern,



    ein Urbaum steht neben dem andern.



    Und an den Bäumen, Blatt für Blatt,



    hängt Urlaub. Schön, daß man ihn hat."

    Quelle planetlyrik.de

  • Habe ich auch nie kapiert: Warum im Hochsommer dahin reisen, wo es noch heißer als hierzulande ist?

    • @1Mj3tI39F:

      In meiner nun schon das eine oder andere Jahrzehnt zurückliegenden Jugend war es "hierzulande" (jedenfalls in meiner norddeutschen Heimat) im Sommer nicht "heiß", sondern mit ein bisschen Wetterpech allenfalls lauwarm, ich erinnere mich an verregnete Sommerferien mit Höchsttemperaturen um die 20°. Und Juliwochen in Südfrankreich durchaus auszuhalten und daher attraktiv.