piwik no script img

Podcast-RezensionDas Stottern der Mädchen

Schülerinnen in LeRoy entwickeln 2011 mysteriöse Ticks. Der Podcast „Hysterical“ fragt sensibel, was an der US-amerikanischen Schule los war.

Diagnose: Konversionsstörung. Aufgrund von emotionalem Trauma kann es zu körperlichen Ausfällen kommen Foto: imago

Es ist Herbst 2011 als eine Schülerin Ticks entwickelt: Ihr Gesicht zuckt, sie stottert, gibt unkontrolliert laute Geräusche von sich. Was zunächst nach Tourette klingt, stellt sich schnell als großes Mysterium heraus. Denn aus der einen Schülerin werden zwei, dann drei, schnell sind es ein Dutzend. Und alle gehen auf die gleiche Highschool in dem kleinen Ort LeRoy. Es scheint, als wären die Ticks ansteckend.

In der siebenteiligen Audioserie „Hysterical“ geht Dan Taberski, der einigen vielleicht durch seinen Podcast „9/12“ bekannt sein dürfte, der Frage nach, was hinter diesem Ausbruch steckt. Jede_r in LeRoy schien damals eine andere Theorie zu haben: Umweltverschmutzung war die eine. Andere beschuldigten die Mädchen, ihre Ticks zu spielen, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Nach wochenlangen Tests einigen sich Ärz­t_in­nen, Behörden und Medien auf eine Diagnose: Konversionsstörung. Also eine psychische Störung, bei der es aufgrund von emotionalem Trauma oder extremen Stress zu körperlichen Ausfällen kommt. Umgangssprachlich wird häufig auch Massenhysterie gesagt. Doch viele wollen sich mit dieser sexistisch konnotierten Diagnose nicht zufriedengeben.

Die Geschichte ist spannend, doch wirklich großartig wird sie dank Taberski, der sich immer empathisch, aber kritisch seinen Gesprächspartner_innen zuwendet und dabei thematisch auch nach links und rechts guckt. Mit seiner selbstironischen Art und kleinen Kniffen bricht er die Schwere des Themas.

So fragt er zu Beginn jedes Gesprächs seine Interviewpartner_innen, wie sie die Kleinstadt aussprechen: LeRoy, mit einem langen „e“ oder einem kurzen „e“. Die Vielfältigkeit der Antwort selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass jeder seine ganz eigene Wahrheit mit plausibler Begründung hat. Diese Frage der Wahrheit und wie ein Leben in Ungewissheit zu führen ist, ist es dann auch, die zur großen Leitfrage des Pod­casts wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare