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Hartes Urteil gegen Guineas Ex-DiktatorGuinea schreibt Rechtsgeschichte

Ein Gericht in Guinea verurteilt Ex-Diktator Moussa Dadis Camara und andere hohe Ex-Militärs. Sie haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

Der Hauptangeklagte: Moussa Dadis Camara, Militärdiktator von Guinea 2008-09, hier im Jahr 2008 Foto: Jerome Delay

Berlin taz | Pünktlich zum historischen Urteil bot Guineas Militärdiktatur all ihre Macht auf. Schwerbewaffnete Gendarmen kontrollierten am Mittwoch weiträumig alle Zugänge zum Gericht, in dem Ex-Militärdiktator Dadis Camara und seine Mitangeklagten erfahren sollten, ob sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit für den Rest ihres Lebens hinter Gitter müssen.

Die Urteilsverkündung wurde live im Fernsehen übertragen und an der Schwere der Taten ließ der Richter in seinen Ausführungen keinen Zweifel.

Nur sehr selten müssen sich ehemalige Militärherrscher persönlich vor einem Gericht des eigenen Landes wegen der Verbrechen ihrer Herrschaft verantworten. Hochrangige Vertreter von Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt und sogar der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs reisten in die guineische Hauptstadt Conakry, als dieser Prozess vor knapp drei Jahren eröffnet wurde.

Zur Urteilsverkündung wiederholte sich das nicht – nicht einmal die Verteidiger waren anwesend, denn Guineas Anwälte streiken gerade wegen der Menschenrechtsverletzungen des aktuellen Militärregimes, namentlich „wahllose Verhaftungen, Kidnapping und Inhaftierung an geheimen Orten“. Aber mit dem Thema des jetzt beendeten Prozesses sind die Spannungen in Guinea heute kaum zu vergleichen.

„Mehrere hundert Tote“ am 28. September 2009

Am 28. September 2009 lösten Sicherheitskräfte eine Großkundgebung der Demokratiebewegung im Stadion der Hauptstadt Conakry gegen den damaligen Militärdiktator Moussa Dadis Camara gewaltsam auf und richteten dabei ein Massaker an. 156 Menschen starben, befand später eine UN-Untersuchungskommission; in der Urteilsverkündung war jetzt von „mehreren Hundert“ Toten die Rede.

Die Präsidialgarde, erkennbar an ihren roten Baretten, schoss in die Menge und riegelte zugleich die Ausgänge ab; auch die Gendarmerie sowie Männer in Zivil mit Macheten und Messern schlachteten Fliehende ab. „Plötzlich fuhren Militärlastwagen hinein, sie überfuhren die Leute und schossen mit Sturmgewehren um sich“, berichtete hinterher Oppositionspolitiker Sorel Bangoura. Ex-Premierminister Sidya Touré berichtete abends vom Krankenbett: „Es war ein Abschlachten. Die Roten Barette (Elitegarde des Präsidenten) waren mit dem Ziel gekommen, uns zu töten.“

Der UN-Untersuchungsbericht fasst zusammen: „Im Stadion eingetroffen, feuerten die Roten Barette auf die Menge. Demonstranten, die fliehen wollten, wurden von Roten Baretten und den Gendarmen um das Gelände herum getötet. Andere wurden im Stadium und auf dem Gelände erstochen oder geschlagen und dann systematisch von den Sicherheitskräften ausgeraubt. Dutzende von Personen, die durch die Tore fliehen wollten, erstickten oder wurden totgetrampelt. Frauen wurden von den Roten Baretten aus dem Stadion geholt und dann aus dem Ratoma-Gesundheitszentrum und tagelang an unterschiedlichen Orten als Sexsklavinnen gehalten.“

Der UN-Bericht führt im Detail aus, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelte. „Alle Akte wurden in einem klar definierten Gebiet verübt, wo die mutmaßlichen Täter sehr nahe beieinander waren, größtenteils in einem Zeitraum von weniger als zwei Stunden“, heißt es. „Die Demonstranten im Stadion wurden mit Holzknüppeln und Gewehrläufen geschlagen, erstochen, mit Kugeln aus nächster Nähe erschossen, oft von hinten aus Sturmgewehren.“

Jahrelang geschah nichts

Auf Grundlage dieses Berichts, der im Dezember 2009 dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wurde, bereiteten Menschenrechtsorganisationen einen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof vor. Denn in Guinea selbst war zunächst keine Aufarbeitung zu erwarten.

Als 2010 aus Guineas ersten freien Wahlen der langjährige Oppositionsführer Alpha Condé als Sieger hervorging, traute dieser sich nicht, die alten Generäle frontal herauszufordern. Dadis Camara blieb unbehelligt im Exil in Burkina Faso. Erst als er Anstalten machte, bei den Wahlen 2015 in Guinea antreten zu wollen, kam es zu Ermittlungen, die zur Anklageerhebung führten.

Es brauchte dann einen weiteren Militärputsch, um die Dinge zu beschleunigen. Condé wurde im September 2021 von der eigenen Garde gestürzt. Eine junge Soldatengeneration unter Oberst Mamady Doumbouya übernahm die Macht und hatte wenig Skrupel mit den alten Generälen. Am 28. September 2022, genau 13 Jahre nach dem Massaker, begann der Prozess in einem eigens gebauten neuen Gericht.

Dadis Camara reiste extra zum Prozess aus dem Exil an, selbstsicher und großzügig – und wurde zur eigenen Überraschung in Untersuchungshaft genommen. Anträge auf Prozessverschonung aus gesundheitlichen Gründen – er machte geltend, er könne nicht den ganzen Tag sitzen, das sei schlecht für die Verdauung – wurden abgelehnt.

Als er im Dezember 2022 erstmals selbst aussagte, wies der Exdiktator jede Verantwortung von sich. „Ich war im Büro“, sagte er über die Stunden des Massakers am 28. September 2009. Sein Adjutant Dia­kité habe ihn daran gehindert, zum Stadion zu gehen. „Ich habe keinen Befehl gegeben“, behauptete er.

Diakité, genannt Toumba, war nicht nur Adjutant des Präsidenten, sondern auch einer der Kommandeure der Roten Barette. Die UN-Ermittler schrieben, „dass der Großteil der schrecklichen Gewalt von Roten Baretten in der Anwesenheit und unter dem Kommando von Leutnant Toumba begangen wurde“. Auch vor Gericht bestätigten dies Zeugen.

Präsident Dadis Camara habe die Gewalt „vorbereitet“, sagte hingegen Toumba Diakité aus. „Man muss sie niederschlagen, sodass sie es bereuen“, habe ihm Dadis Camara gesagt. Auch andere Angeklagte machten den Exdiktator verantwortlich: Er habe schließlich den Oberbefehl über die Streitkräfte.

Hauptvorwurf der Anklage bestätigt

Für das Gericht stehen die unterschiedlichen Aussagen nicht in Widerspruch. Das Massaker und die damit verbundenen weiteren Verbrechen – Folter, Plünderung, Vergewaltigung unter anderem – seien als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu bewerten, das die Hauptangeklagten „in perfekter Harmonie“ begangen hätten, stellte das Gericht fest und bestätigte damit den zentralen Vorwurf der Anklage.

Für Expräsident Dadis Camara, seinen ehemaligen Adjutanten Aboubacar Diakité Toumba und den ehemaligen Spezialpolizeichef Moussa Tiegboro Camara stellte das Gericht eine gemeinschaftliche Kommandoverantwortlichkeit fest, auf deren Grundlage sie gemeinschaftlich schuldig sind. Ebenso wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber unter ihrer individuellen Verantwortung, wurden mehrere andere Angeklagte verurteilt, aber nicht alle.

Der 60-jährige Expräsident Dadis Camara sowie Tiegboro Camara erhielten jeweils 20 Jahre Haft, Diakité Toumba 10 Jahre. Das härteste Strafmaß erhielt der ehemalige Sicherheitsminister Claude Pivi, der auf individueller Grundlage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde – gegen ihn wurde lebenslange Haft ausgesprochen, mit 25 Jahren Sicherungsverwahrung.

Damit blieb der Richter hinter den Forderungen der Anklage zurück. Die hatte gegen Dadis Camara und sechs Mitangeklagte lebenslange Haft gefordert, darunter 30 Jahre Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung forderte Freispruch.

Mehr als nur Vergangenheitsbewältigung

Dass es sich bei diesem Prozess nicht bloß um Vergangenheitsbewältigung handelt, wird nicht nur dadurch deutlich, dass in Guinea das Militär jetzt wieder regiert. Erst im November 2023 wäre der Prozess fast spektakulär geplatzt, als ein bewaffnetes Kommando Dadis Camara und mehrere Mitangeklagte aus der Haft befreiten.

Der Exdiktator wurde noch am gleichen Tag wieder eingefangen. Aber Ex-Sicherheitsminister Claude Pivi, neben Toumba Diakité 2009 der wichtigste Befehlsgeber der Roten Barette, ist bis heute flüchtig. Die Kommandoaktion im November leitete Pivis Sohn, der ebenso wie Dadis Camaras Sohn im Clinch mit der Militärregierung liegt.

Der flüchtige Pivi ist nun in Abwesenheit am härtesten von allen verurteilt worden. Das legt die Saat für neue Machtkämpfe zwischen alten und neuen Generälen.

Für die Überlebenden von 2009 kommt der Prozess zu spät. „Viele sind gestorben, manche sind krank und leben im absoluten Elend“, erklärte schon vor Prozessauftakt die Menschenrechtsorgsniation CAF-CPI (Koalition des frankophonen Afrika für den Internationalen Strafgerichtshof). „Dazu kommt die Lage der Frauen, die von ihren Männern verstoßen wurden oder an HIV-Aids erkrankten, weil sie vergewaltigt wurden, und ihre Kinder, die aus den Schulen geworfen wurden.“

Dennoch: Dass dieser Prozess überhaupt stattfand, macht Guinea zum Vorreiter in Afrika. Guineas Juristen werden daran genau studieren, wie sie nun gegen Menschenrechtsverletzungen der Gegenwart vorgehen.

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5 Kommentare

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  • Danke an die Taz für diesen Bericht.



    Auch sollte man sich mit dem Sudan beschäftigen.

  • Danke für diesen Bericht. Und danke auch, dass Sie immer wieder den Fokus auf Aftika legen.

  • Erstmal vielen Dank an Dominic Johnson dafür, dass er öffentlich zugängliche Quellen auf die er sich bezieht im Artikel verlinkt hat.

    Daran könnten sich mehr Kollegen ein Beispiel nehmen.

    Und genau die Quelle bezieht sich auch mein Kommentar. Im Artikel steht "156 Menschen starben, befand später eine UN-Untersuchungskommission; in der Urteilsverkündung war jetzt von „mehreren Hundert“ Toten die Rede."

    In der Quelle spricht die Kommission, davon das die IDENTITÄT von 156 Getöteten bzw. Vermissten bestätigt werden bestätigt worden konnte UND dass sie weitere Hinweise haben, dass unidentifizierte Körper entfernt wurden was die Zahl der Todesopfer erhöhen könnte.

    (Seite 19, Absatz 70)

  • Wird Zeit, dass die UN-Grundordnung endlich durchgesetzt wírd.

  • Das ist genau das, wovor besonders afrikanische Diktatoren Angst haben: Dass sie bei Verlust der Macht entweder in einem (afrikanischen!) Knast landen, oder es gar nicht überleben. Und deshalb klammern sie sich mit allen legalen oder schmutzigen Tricks an die Macht. Und die, die mit ihnen in lukrative Machtpositionen aufgestiegen sind, befürchten ebenfalls, abserviert zu werden. Exil ist da noch die optimistische Variante.



    Und dennoch ist das Verfahren und die Urteile in Guinea ja eigentlich der Ablauf, auf den man hoffen soll und muß - es hängt alles daran, ob die Verfahren nur dazu dienen, die konkurrierenden Ex-Machthaber auf Dauer politisch zu entmachten um das eigene Machtnetzwerk auf Dauer zu sichern.



    Oder ob das Ziel wirklich ist, ein Beispiel für einen Machtübergang zu etablieren, das nicht einfach nur die Personen austauscht, aber die scheindemokratische Diktatur aufrecht zu erhalten - nur mit anderen Profiteuren. Afrika braucht dringend Beispiele, Länder in denen das klappt - und nicht nur einmal. Und das nicht durch Interventionen von Nachbarn wieder zerstört wird, die ein solches Beispiel vor ihrer Haustür ebensowenig wollen, wie Putin eine ukrainische Demokratie.