Arbeitskampf bei den Kita-Eigenbetrieben: Streik ist die einzige Alternative
Der Senat wird sich nicht freiwillig dazu durchringen, die Arbeitsbedingungen in den Kitas zu verbessern. Deshalb führt an Streiks kein Weg vorbei.
F ünf Tage wurden die Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin nun bestreikt. Die Bilanz des Arbeitskampfes ist auf den ersten Blick geht-so: Die Erzieher:innen zeigen sich weiter entschlossen, die Eltern sind frustriert, der Senat bleibt stur und verweigert sich nach wie vor allen Verhandlungen. Keine Bewegung, nirgends.
CDU-Finanzsenator Stefan Evers bezeichnet den Ausstand der Kita-Beschäftigten für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einen „Sinnlos-Streik“. Das Land, argumentiert er, könne mit der Gewerkschaft Verdi gar nicht über den geforderten separaten Entlastungstarifvertrag für die Kita-Eigenbetriebe verhandeln. Evers' Drohkulisse: Käme man der Forderung nach, flöge Berlin garantiert aus der Tarifgemeinschaft der Länder.
Doch Fragen nach der „Sinnhaftigkeit“ oder der formalen Legitimität des Streiks sind irreführend: Es handelt sich – wie immer – in erster Linie um einen ungleichen Machtkampf zwischen Politik und Beschäftigten. Nicht zuletzt in Zeiten groß angekündigter Sparmaßnahmen wird sich der Senat nie freiwillig dazu durchringen, die Arbeitsbedingungen spürbar zu verbessern.
Tatsache ist, dass der Abschluss eines Entlastungstarifvertrags und damit die Erzwingung kleinerer Kitagruppen den Personalbedarf in den kommunalen Kitas noch weiter erhöhen würde. CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch spricht von 2.500 Stellen. Um die zusätzlichen Fachkräfte zu gewinnen, müsste das Land viel Geld in die Hand nehmen, um das an anderen Stellen bereits erbittert gestritten wird. Sollte sich Verdi durchsetzen, würde das das Leben der schwarz-roten Haushaltshüter:innen nicht eben einfacher machen.
Personalmangel, Überlastung, hohe Krankenstände
Doch die Erzieher:innen streiken ja nicht zum Spaß. Sie streiken auch nicht, um turnusmäßig Reallohnverluste auszugleichen. Sie streiken für ihre Gesundheit. Denn trotz aller Beschönigungen des Senats ist die Kitakrise real. Der Teufelskreis aus Personalmangel, Überlastung und hohen Krankenständen hat mittlerweile eine Dimension erreicht, die die Funktionsfähigkeit des gesamten Betreuungssystems infrage stellt und die Qualität frühkindlicher Bildung deutlich mindert.
Auch ohne Streik müssen Berliner Kitas immer öfter schließen oder ihre Öffnungszeiten einschränken. Eine enorme Belastung, auch für die Eltern, die notgedrungen immer wieder aufs Neue vor verschlossenen Türen stehen und ihren Alltag umdisponieren müssen.
Der von Verdi geforderte Entlastungstarifvertrag ist ein konstruktiver Vorschlag, der Kita-Krise wenigstens in den Eigenbetrieben langfristig entgegenzuwirken. Beschäftigte, die jetzt darüber nachdenken, den Beruf zu verlassen, hätten eine Bleibeperspektive – und die Branche würde attraktiver für junge Menschen. Möglich wäre eine Art Stufenplan, der über die Jahre stückweise mehr Entlastung bringt.
Vergleichbares hat der Senat nicht zu bieten. Dabei gäbe es auch so Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen zu verbessern: über ein verbesserten und nach den wissenschaftlichen Empfehlungen festgelegten Betreuungsschlüssel im Kindertagesförderungsgesetz oder in den Rahmenvereinbarungen mit den Trägern. Nichts konnte den Senat bislang dazu bewegen, diese Schritte umzusetzen. Weder Petitionen noch Brandbriefe oder Kampagnen.
Senat hofft, längeren Atem zu haben
Das Problem: Die Änderung eines Gesetzes durch einen politischen Streik zu erzwingen, ist in Deutschland illegal, und an den Verhandlungen zu den Rahmenverträgen sind die Gewerkschaften nicht beteiligt. So ist der Arbeitskampf die einzige verbleibende Alternative für die Erzieher:innen, wenn sie nicht die ständige Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen hinnehmen möchten. Der Senat weiß das, hofft aber, am Ende beim Kräftemessen mit den Gewerkschaften den längeren Atem zu haben.
Dass es lange dauern kann, bis Verdi & Co. an ihr Ziel kommen, haben die Krankenpfleger:innen von Vivantes gezeigt. Sie bestreikten 2021 den landeseigenen Klinikkonzern über sieben Wochen lang. Auch damals hieß es, die Forderungen der Gewerkschaft seien nicht umsetzbar. Am Ende des Arbeitskampfes stand ein Entlastungstarifvertrag.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen