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Freifahrt für Schü­le­r:in­nenHamburg spendiert Deutschlandticket

Der Bürgermeister, der bislang nicht durch progressive Verkehrspolitik auffiel, hat eine super Idee: gratis Deutschlandticket für Schüler:innen.

Ab dem nächsten Schuljahr können sie mit dem Deutschlandticket quer durchs ganze Land reisen: Hamburgs Schü­le­r:in­nen Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Es war einmal vor langer Zeit in einem Land, in dem die Luft immer schlechter wurde und das Grün immer weniger. An seine Stelle hatte man breite Straßen gebaut, auf denen Tag für Tag immer längere Schlangen immer bulligerer Autos standen. Tatsächlich fuhren in diesem Land auch Züge, aber die waren in einem so verheerenden Zustand, dass man Absicht dahinter vermuten musste. Sie fuhren zu spät oder gar nicht, zugleich wurden die Fahrkarten immer teurer.

Einmal, als eine Pandemie das Land heimsuchte, schenkte man den Au­to­fah­re­r:in­nen Geld und danach, notgedrungen, auch den Bahnfahrer:innen. Die bekamen eine Fahrkarte namens Deutschlandticket, die nur neun Euro kostete und mit der man, wenn auch nur in den langsamen Zügen, überall hinfahren konnte. Plötzlich waren die Züge sehr voll und man erhöhte den Preis der Fahrkarte um das Fünffache. Aber nach kurzer Zeit erhoben sich Stimmen, die forderten, die Fahrkarte noch teurer zu machen, unter anderem der Finanzminister des Landes, der bekannt war für seine Vorliebe für prächtige Autos.

Nun war das Land zersplittert in viele kleine Länder und in einem der nördlicheren, das letztlich nur eine Stadt war, war ein Mann der Grünen in den Rang des Verkehrsministers gelangt, der vieles ändern wollte. Zunächst waren einige seiner Vorhaben am Widerstand des Innenministers gescheitert, einem Roten, dem die Polizei unterstand.

Immer wieder zerschellten Vorhaben der Grünen am Widerstand der Roten, denen das Auto und sein Fortkommen in der Stadt mehr bedeutete als das Fortkommen der Räder. Allmählich aber sah man Bauarbeiten in der Stadt, wo Autostraßen verengt wurden zugunsten von Fahrradstreifen. Man freute sich und fragte doch: Wer wird sich durchsetzen in der nördlichen Stadt, die Kämp­fe­r:in­nen für das bullige Auto oder der Rest?

Hamburg kippt Geschwindigkeitskontrolle

Regiert wird das Land von einem roten Bürgermeister, Peter Tschentscher, der sich eher selten in Fragen des Verkehrs vertiefte. Zwar versprach er einen Takt-Verkehr, nach dem spätestens 2030 jeder Bürger und jede Bürgerin binnen fünf Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel erreichen können sollte. In der Praxis kippte er bei einem Treffen der Regierenden aller Länder ein Gesetz, das es erleichtert hätte, ein langsameres Tempo in städtischen Straßen einzuführen.

Man sei besorgt um die Sicherheit der Bürger:innen, hat sein Sprecher damals zum allgemeinen Erstaunen erklärt. Deshalb sollten die Autos schneller fahren können.

Etwa ein halbes Jahr später gab die Schul­behörde der nördlichen Stadt bekannt, dass künftig alle Schü­le­r:in­nen ein kostenloses Deutschlandticket erhalten werden. Nach den Sommerferien wird es so weit sein: Dann können sie nicht nur mit Bus, S- und U-Bahn durch Hamburg fahren, sondern per Regionalverkehr durchs ganze Land.

Rund 100 Millionen Euro gibt die Stadt dafür aus. Das ist spektakulär und bislang bundesweit einzigartig und um so eindrücklicher in einer Stadt, in der Verkehrspolitik einen Schritt nach vorn und dann einen zurück geht – siehe oben.

Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen von morgen

Außerdem wendet sich das ganze an exakt die richtigen: die Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen von morgen – diejenigen, die darüber bestimmen werden, wie Mobilität künftig aussehen soll. Was für ein wunderbarer Einstieg, wenn öffentlicher Verkehr bedeutet, einfach einsteigen zu können. Und auch wenn es für immer Peter Tschentschers Geheimnis bleiben wird, warum schnellere Autos sicheren Verkehr bedeuten: Das kostenlose Deutschlandticket für Schü­le­r:in­nen ist super.

Und eines Tages, wenn alle noch nicht gestorben sind, dann ist in dieser großen Stadt im Norden der Hamburger Verkehrsverbund auch für Erwachsene günstig, dann gibt es autofreie Schulstraßen und die Autos fahren 30.

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8 Kommentare

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  • Ich halte die Förderung der"Umsonstmentalität" für falsch! Schon die "Kleine " lernen, dass mache Dinge keinen Wert haben.

    • @Joen:

      Sehe ich genau so. Da wird wieder Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet, oder brauchen z.B. die Kinder aus den Elbvororten diese finanzielle Unterstützung. Schülerfahrkarten sind eh schon preislich reduziert. Meist ist der Schulweg auch nicht so weit, dass er nicht mit dem Rad erledigt werden kann. Bewegung ist für die meisten Kinder sicherlich auch nicht schädlich.



      Wahrscheinlich will sich die SPD den potenziellen Jungwählern anbiedern.

  • Sehr gute Idee des Hamburger Senats, 100 000 000 Euro wurden schon viel schlechter angelegt. Bleibt zu hoffen, dass auch in den Folgejahren noch Geld dafür da ist. Aber warum wird das Deutschlandticket und der Autoverkehr immer gegeneinander ausgespielt? Übrigens, auch Busse fahren auf öffentlichen Straßen und wären bei einem generellen Tempo 30 auch viel langsamer und unattraktiver.

    • @Offebacher:

      Busse sind in Hamburg langsam, weil es kaum Busspuren gibt und so die Busse mit den Unbelehrbaren, die sich trotz Alternativen jeden Tag wieder in den Stau stellen, im Stau stehen.

      • @Senza Parole:

        Dann hat Offenbach etwas, was Hamburg nicht hat - Busspuren. Und ich würde mich schon ärgern, wenn der tägliche Arbeitsweg noch länger dauern würde, weil der schöne neue, beschleunigungsstarke Elektrobus nur noch 30 km/h fahren dürfte.

  • Freiheit heißt, kein Auto haben zu müssen.



    Wenn Kinder das früh lernen, ist das gut.

    Am Ort Hamburg gilt es gleichwohl auch parallel unverdrossen den Autobataillonen entgegenzutreten und ihrem Lärm, Abgas, Platzverbrauch. Das ist Bohren dicker Bretter, doch auch das geht.



    Die beliebteste Stadt Deutschland ist das fahradfreundliche Münster. Das sollte Hamburg und seiner SPD doch zu denken geben.

    • @Janix:

      Das Denken im Verkehrsbereich hat die CSU des Nordens (SPD HH) schon Jahrzehnten aufgegeben. Wenn allein schon Tschentscher bei modernen Stadtbahnen von „altertümlichen Stahlungeheuern“ spricht, weiß der Letzte wie es um seine Kompetenz bestellt ist.

  • Sehr treffend beschrieben und sehr gut geschrieben.