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Bulgarien streitet über die NatoVerwerfungen in Sofia

Der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew bleibt dem Nato-Gipfel in Washington fern. Grund sind Differenzen in Sofia über die Haltung zur Ukraine.

Bulgariens Regierungschef Dimitar Glawtschew am Montag bei seiner Ankunft in Washington Foto: AP Photo/Jose Luis Magana

Berlin taz | „Es lässt sich nicht leugnen, dass Radew in seinem perversen Russophilismus, der eindeutig putinophil ist, sehr konsequent ist. Man kann dem Opfer nicht helfen, wenn der Angreifer für unbesiegbar erklärt wurde“, heißt es in einem Kommentar auf dem bulgarischen Webportal mediapool.bg.

Die Meinungsäußerung findet sich unter einem Beitrag über innenpolitische Verwerfungen in dem Balkanstaat Bulgarien aus Anlass des Nato-Gipfels, der vom 9. bis zum 11. Juli in Washington stattfindet. Bei der Jubiläumsveranstaltung zum 75. Jahrestag der Gründung des westlichen Verteidigungsbündnisses wird Bulgarien, das seit 2004 der Nato angehört, nicht durch seinen Präsidenten Rumen Radew vertreten.

Noch vor kurzem hatte der Staatschef seinen Wunsch zu Protokoll gegeben, als einer von zwei Repräsentanten Bulgariens in Washington präsent zu sein. Kurz darauf nahm der Ex-Militär, der den Sozialisten nahesteht, jedoch von dem Vorhaben Abstand. Zur Begründung hieß es, er sei mit der Position der Regierung in Sofia zur Ukraine nicht einverstanden. Diese sei zudem mit ihm vorher nicht abgestimmt worden.

Am Freitag vergangener Woche schaltete sich dann der derzeitige Chef der Übergangsregierung Dimitar Glawtchew in die Debatte ein. Er habe für Washington eine Unterstützung für die Ukraine in Höhe von 80 Millionen Euro im Gepäck, jedoch müssten die Abgeordneten des Parlaments dem noch im Rahmen des noch zu verabschiedenden Gesetztes über den Staatshaushalt zustimmen. Gleichzeitig wies er noch einmal darauf hin, dass Sofia nicht beabsichtige, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Kein Cash für Kyjiw

Kurz zuvor hatte der langjährige Regierungschef Bojko Borrisow, dessen konservative Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgarien (GERB) bei der Parlamentswahl am 9. Juni 2024 stärkste Kraft geworden war, gesagt, dass es keinesfalls darum gehen können, Kyjiw diese Summe in Cash auszuzahlen.

Laut Borissow erhalte Bulgarien von seinen Partnern schon jetzt Geld für alte, sowjetische militärische Ausrüstung – derzeit etwa 60 Millionen, weitere 300 Millionen würden erwartet. „Bulgariens Hilfe wird auch deshalb geschätzt, weil wir, wie alle demokratischen Länder, auf der Seite des Angegriffenen und nicht auf der Seite des Aggressors gestanden haben“, sagte Borissow.

Radew, der im November 2021 für eine zweite vierjährige Amtszeit wiedergewählt wurde, gilt als russlandfreundlich und ist schon länger für seine Skepsis gegenüber der Unterstützung der Ukraine durch die Nato bekannt. Immer wieder hat er in der Vergangenheit versucht, Waffenlieferungen an Kyjiw zu blockieren. Sein Argument lautet, dass dies den Konflikt anheizen würde – ein Narrativ, das auch von anderen kremlfreundlichen Politikern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán immer wieder verbreitet wird.

Im vergangenen Mai, als Sofia Gastgeber für eine Sitzung der Parlamentarischen Versammlung der Nato war, glänzte Radew ebenfalls durch Abwesenheit und reiste stattdessen nach Budapest zu Gesprächen mit Orbán.

Negative Botschaft an Nato-Partner

Indem er nicht am Nato-Gipfel teilnehme, sende Radew eine „schädliche“ Botschaft an die Nato-Partner, zitiert Radio Free Europe Assen Agow, ehemaliger bulgarischer Abgeordneter und Ex-Vize-Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung der Nato. „Radew diskreditiert das Land, weil er denkt, er punktet in einem Friedensprozess, den es nicht gibt“, so Agow.

Laut einer aktuellen Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), die auf der Webseite der US-amerikanischen Tageszeitung Politico nachzulesen ist, sind in Bulgarien 63 Prozent der Befragten der Meinung, dass weitere Lieferungen von Waffen und Munition an die Ukraine eine schlechte Idee seien. 47 Prozent der Bul­ga­r*in­nen sind skeptisch, was einen EU-Beitritt der Ukraine angeht. 47 Prozent haben keine Meinung dazu.

Ohnehin haben die Menschen in dem Land mit rund 6,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen derzeit andere Probleme. Seit 2021 fanden bereits sechs Parlamentswahlen statt, die jedoch nie stabile Mehrheitsverhältnisse hervorbrachten.

In der vergangenen Woche scheiterte die GERB von Bojko Borrisow mit ihrem Versuch, eine Regierung zu bilden. Derzeit zerlegt sich gerade die Partei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), die sich vor allem als Repräsentantin der türkischen Minderheit versteht und am 9. Juni 2024 hinter der GERB landete. Somit könnten dem Land bald wieder Neuwahlen ins Haus stehen.

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7 Kommentare

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  • Ich kann in der ganzen NATO-Osterweiterung nur den Sinn erkennen, mögliche Kriege von Mitteleuropa fern zuhalten.



    Die Ukraine zahlt für diese "Strategie" einen sehr hohen Preis. Und wie die Beitrittsversprechen jemals umgesetzt werden sollen ... ? Ich habe da auch keine Lösung, wie auch, und bin trotz Zweifel für die Unterstützung der Ukraine.



    Die Länder* des ehemaligen Ostblocks sind nicht reif für eine demokratisch organisierte Gemeinschaft. Das meine ich auch für die EU.

    *Schuld sind die politisch-korrupten Strukturen. Nicht "die Bulgaren".

  • Bulgarien scheint ja eine regelrechte Spielwiese für ausländische Autokraten von Putin über Orbán bis Erdogan zu sein.



    Ich hoffe, die bulgarische Bevölkerung kann sich von diesen schädlichen Einflüssen auf längere Sicht entziehen.

    • @spaltarsch:

      Bulgarien ist arm, und wer Geld mitbringt, hat das Sagen.



      Die EU sagt ganz offen, die ganze Summe EU-Geld gibt's erst, wenn die Korruption bekämpft wird. Auf der anderen Seite kommt russisches Geld unter der Hand geflossen, immer schön in die privaten Taschen derer, die die Korruption eigentlich bekämpfen sollen.



      Und das bulgarische Volk weiß schon lange nicht mehr, wem es derzeit am wenigsten misstraut - siehe Wahlergebnisse.



      Der Schwund der bulgarischen Bevölkerung hat viele Gründe ...

  • Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass einige Mitgliedsstaaten der NATO lieber in anderen Militärbündnissen aktiv wären.

    Tatsächlich sollte es der NATO möglich sein, mit Mehrheitsbeschluss einzelne Mitglieder, die der NATO Linie nicht folgen, aus dem Bündnis ausschließen zu können.

    Dann können diese Staaten gerne mit autokratischen Bündnissen anbandeln und die NATO Staaten sind nicht verpflichtet, für diese Länder den Kopf hinzuhalten.

    Anscheinend sehnen sich viele osteuropäische Länder zurück unter die russische Knute, war wohl doch alles nicht so schlecht mit den Russen, Freiheit wird sowieso überschätzt…

    • @Gnutellabrot Merz:

      Genau. Unsere Nachbarn im Umland denken wohl ähnlich.



      Hingegen unterscheidet sich die Nato vom Warschauer Pakt. Wer Kritik äußert wird nicht mit Repressalien zur Linientreu gezwungen. Der Bruderkuss kann, muss aber nicht gegeben werden.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Ich finde es befremdlich, dass Sie auf der einen Seite eine weitere NATO - Osterweiterung fordern und sich auf der anderen Seite über Mitglieder der letzten Osterweiterungen beschweren. Ich finde das nicht sehr konsequent. Natürlich sind die Wertevorstellungen unterschiedlich. Deswegen war ich z.B. schon früher gegen eine Osterweiterung. Eine Allianz mit ähnlichen Wertevorstellungen ist effektiver und glaubwürdiger als eine Allianz mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Die scheinbare „Sehnsucht“ einiger früherer Ostblockstaaten ist nicht zu bestreiten. Allerdings würde deren Ausschluss den Aufbauversuchen eines neuen Ostblocks Vorschub leisten. Ungarn und Bulgarien sind volkswirtschaftliche Zwerge und wirtschaftlich auf Augenhöhe oder kleiner als die Ukraine. Ich denke, dass diese Staaten mehr Unterstützung von der EU und NATO brauchen. Die RUS-Connections sind für diese wahrscheinlich ökonomisch überdurchschnittlich wichtig.