Nahost Konflikt in Queer Community: Alle gegen alle gegen alle
Der Nahost-Konflikt führt zu Spannungen innerhalb der queeren Community. Bei den Pride-Demos am Wochenende wird er eine große Rolle spielen.
![Demonstranten bei der IQP Demonstranten bei der IQP](/picture/7142404/624/33992924-1.jpeg)
„Es gibt im Nahost Konflikt einen immensen Positionierungszwang.“ Foto: Florian Boillot
BERLIN taz | Wer am Wochenende zur Pride geht, wird an der einen oder anderen Kufiya und dem der einen oder anderen Davidstern nicht vorbeikommen. „Das Thema Nahost bewegt die queere Community krass“, sagt Marcel Voges, Vorstandsmitglied des Berliner CSD e. V. „Es gibt eine besondere Sensibilität für Diskriminierung, das hängt mit unseren eigenen Erfahrungen zusammen. Ich habe das Gefühl, dass es deshalb eine hohe Solidarität auf beiden Seiten gibt.“
Zudem gebe es einen „immensen Positionierungszwang“, betont Antisemitismus-Experte und Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung, Stefan Lauer. „Es gibt zig Konflikte auf der ganzen Welt, aber niemand muss sich zu den Uiguren oder im Kongo positionieren.“ Im Nahostkonflikt hingegen schon, denn dieser sei in der queeren Community ein „Brennglas“, in dem unterschiedliche Aspekte verstärkt zusammenkämen: ein gemeinsamer Nenner aus Postkolonialismus und Queer Theory.
Der Protestforscher Simon Teune beobachtet, dass das Thema Nahost in vielen Demos auf der Tagesordnung steht, ob in der Klimabewegung, der Clubkultur oder der queeren Szene. „Der Konflikt wird da für alle Politikfelder durchbuchstabiert.“ So auch bei den anstehenden Pride-Demonstrationen, dem Dyke March, dem Christopher Street Day (CSD) und seiner antikapitalistischen Alternative, der Internationalistischen Queer Pride (IQP).
Die IQP positioniert sich eindeutig propalästinensisch. Teil des ursprünglichen Bündnisses der seit 2021 stattfindenden Demonstration waren die Israel-Boykottbewegungen „BDS Berlin“ und „Palästina spricht“. In der Vergangenheit wurden Vorwürfe der Israelfeindschaft laut, im Aufruf für Samstag heißt es „No Pride in Genocide & Apartheid“. Die Mitglieder des diesjährigen Bündnisses wurden bislang nicht bekannt gegeben. Der taz gegenüber möchte IQP sich zu ihrer Haltung im Nahostkonflikt nicht äußern.
IQP positioniert sich propalästinensisch
„Die müssen nicht mehr mit Namen dabei sein, es ist klar, wer dahintersteckt“, sagt Stefan Lauer. „Die IQP ist ein Coup für die BDS-Kampagne.“ Auf dem Demoplakat ist eine Wassermelone abgebildet, die aufgrund ihrer Farben zum propalästinensischen Symbol geworden ist. Darin befindet sich eine Silhouette Israels, eingefärbt – ausschließlich – in Hamas-Grün. In dem Aufruf steht jedoch auch: „Queer Jews Against Genocide“. Lauer vermutet dahinter eine Gruppierung, die der „Jüdischen Stimme“ nahesteht, einem in der jüdischen Community isolierten Verein, dem manche Terrorverharmlosung vorwerfen.
„Es hat sich eine Logik der Feindschaft entwickelt“, sagt Protestforscher Teune. „Es gibt gar keine öffentlich sichtbare dritte Position mehr, die den Antisemitismus im Angriff des 7. Oktober genauso betont wie das Leid und die Situation in Gaza.“ Stefan Lauer spricht von einem „eindeutigen Schwarz-Weiß-Narrativ“ von Unterdrücker und Unterdrückten, jedoch mit einem „blinden Fleck“ mit Blick auf Antisemitismus.
Auch beim Dyke March, einer Demo für lesbische Sichtbarkeit, die am Freitag zum 11. Mal stattfindet, war es im Vorfeld zu Spannungen gekommen. Hintergrund war ein Fundraising-Event in der Bar Möbel Olfe am Kottbusser Tor Anfang Juli. Eine Gruppe von, laut Organisator*innen, „überwiegend weißen, überwiegend nicht-jüdischen Lesben“ hatte einen Tisch mit einer Regenbogen-Flagge mit Davidstern bedeckt und einem Zettel mit der Aufschrift: „Safe table for Jews and Israelis.“ Laut Organisator*innen folgte eine verbale Auseinandersetzung unter den Gästen, die „zu eskalieren drohte“. Der Soli-Abend wurde vorzeitig beendetet.
East Pride kündigt an, den Dyke March „Antisemitinnen“ nicht zu überlassen
In einer Stellungnahme auf Instagram betonte das Orga-Team, dass die Aktion aus ihrer Sicht nur eine Motivation hatte: „Provokation und Spaltung“. Sie wünschen sich am Freitag eine hassfreie Dyke-Demo. Fahnen und Flaggen sowie Schilder mit rassistischen, antisemitischen, antimuslimischen Inhalten sind nicht erwünscht. Die East Pride, eine proisraelische queere Gruppe, kündigte jedoch bereits an: „Wir überlassen den Dyke*March Berlin nicht Antisemitinnen und Israelhasserinnen. Wir treffen uns an der großen Regenbogenfahne mit Davidstern auf dem Karl-Marx-Platz.“
Mit der Polizei seien für die Demo am Freitag bereits Kooperationsgespräche geführt worden. Auch der CSD hat sich bereits mit der Polizei auf ihre Demo am Samstag vorbereitet. Zudem werden sie von der Beobachtungsstelle democ unterstützt, die vor Ort hilft, antisemitische, muslimfeindliche oder rassistische Aussagen und Symbole zu erkennen und einzuordnen.
„In Berlin wird der Konflikt in einem immensen Ausmaß verhandelt“, sagt Stefan Lauer. Zurückzuführen sei das auf die große internationale Szene. Protestforscher Teune betont, dass es sich dabei jedoch nicht um eine Massenbewegung handle. „Der Kreis an Leuten, der das Thema in alle Demos reinträgt, ist überschaubar“ – aber präsent.
Manuela Kay, Mitorganisatorin des Dyke March, kritisiert, dass der Nahostkonflikt in der queeren Community „total unsachlich“ geführt werde. „Das Thema wird sich angeeignet und instrumentalisiert, um andere Konflikte auszutragen.“ Wie so häufig bei Konflikten in der Community hätten viele „einfach ein großes Bedürfnis zu spalten“. Es werde weder einander zugehört noch in den Dialog getreten oder zugelassen, dass es eine andere Meinung gibt. „Indem wir uns spalten und gegenseitig diffamieren, spielen wir letztlich den Rechten in die Hände.“
Leser*innenkommentare
Mr Ambivalent
Warum sollten sie anders sein als andere ? Die reden genau soviel Blödsinn wenn der Tag lang ist wie jeder von uns .
Suryo
Kann mir jemand erklären, warum Queers als solche besonders solidarisch mit Palästina sein sollten, so wie es die Gruppen Queers for Palestine und Queer Families for Palestine implizieren?
Natürlich kann man als Mensch im
Allgemeinen solidarisch mit Palästina sein. Aber was verpflichtet einen als queeren Menschen im Besonderen dazu? Ich verstehe es einfach nicht. Soll das zu mehr Akzeptanz queerer Menschen in der palästinensischen Diaspora oder gar in Gaza oder sogar bei der Hamas führen? Und wenn ja: tut es das?
Mel Mal
Wie absurd, Manuela Kay. Erst veröffentlicht der Dyke March, den sie mitorganisiert, ein statement zum Israel-Palästina-Konflikt, dann lädt er mit Hamas-Dreiecken in die Möbel Olfe ein und dann beschwert sich Manuela Kay, alle möglichen Seiten würden sich das Thema aneignen.
Soweit mir bekannt ist, hat sich der Dyke March bislang an keiner Stelle öffentlich mit Antisemitismusvorwürfen beschäftigt, sondern betreibt Täter-Opfer-Umkehr.
Michaela Dudley
Journalistin/Kabarettistin
Die Bewegung „Queers for Palestine“ erweist sich als Inbegriff des Etikettenschwindels. Denn statt sich um LGBTQIA-Rechte in Palästina zu kümmern, geht es ihnen um antiisraelischen Agitprop. Die Aktivist*innen wollen bei möglichst vielen Pride-Paraden mitmarschieren, aber sie treten Jüdinnen*Juden, Palästinenser*innen und queere Menschen mit Füßen.
Siehe auch Dudley, Michaela (10.07.2024): „Bunte Fassade, blinde Flecke“, in Belltower.News:
www.belltower.news...nde-flecke-155995/
Suryo
@Michaela Dudley Vielen Dank für den Link!
„Auf dem Boden der Tatsachen liegt nämlich einfach zu wenig Glitzer.“
Perfekt.
TeeTS
Und so zerlegt sich die queere Szene selbst.
Von außen werden absurde Antisemitismusvorwürfe hereingetragen.
Die Netanjahu Fans klammern sich an die Polizei.
Am Ende werden die Demos dann unter dem Vorwand von Antisemitismus aufgelöst.
Dass man kein Hamas Anhänger ist, wenn man Israel für seine Kriegsführung und Besatzungspolitik kritisiert, sollte jedem klar sein, der über mehr als zwei Gehirnzellen verfügt.
Dass man nicht Netanjahu und den anderen Rechtsextremisten der israelischen Regierung nahestehen muss, wenn man die Toten des Hamas Massakers betrauert, ebenfalls.
Dass man allerdings bei grundlegenden Menschenrechten keine Kompromisse macht und diese für alle gelten, sollte Konsens sein.
Suryo
@TeeTS Ist man Netanyahu-Fan, wenn man die Tatsache anspricht, dass die Hamas diesen Konflikt begonnen hat, ihn auch sofort beenden könnte und dass die Hamas ausweislich ihrer Charta nicht nur den Staat Israel, sondern alle jüdischen Menschen vernichten will? Wenn man anerkennt, dass ein Volk, das zweitausend Jahre der Verfolgung ausgesetzt war und das im 20. Jahrhundert in Europa fast vernichtet wurde, den einzigen Staat, der ihm Schutz garantieren kann, verteidigt?
Die Palästinenser reden gern von Nakba und Besatzung. Es ist zwar kein Wettbewerb, aber das jüdische Volk hat in seiner Geschichte viel schlimmeres erfahren. Wer also irgendein Verständnis für die Palästinenser zeigt, müsste noch viel mehr Verständnis für die Israelis aufbringen.
Janix
Ich kann mich über die Dauerbesatzung wie auch bei Ost-Timor und Westsahara natürlich sehr aufregen, vor allem, wenn man so tut, als wäre man die einzige Demokratie dort.
Doch es muss _nicht auch in der CSD-Subkultur Hauptthema sein.
"Safe table for Jews and Israelis" ist natürlich ebenso daneben mit dieser Zwangsklammer zweier verschiedener Dinge.
Suryo
@Janix Timor-Leste ist seit über 20 Jahren frei.
rero
@Janix Weshalb ist für Sie ein "safe table" in einer Community, wo safe spaces sehr wichtig sind, "daneben"?
Sollte nicht eigentlich jeder Tisch ein safe table für Juden, Israelis und für alle möglichen Religionen und Expats sein?
Michas World
Ich fühle mich an das Leben des Brian erinnert.
Deep South
Man MUSS sich zu gar nichts positionieren. Vor allem nicht zu Themen, bei denen jede Äußerung, die nicht alle Aspekte berücksichtigt, nicht auf detalliertem Hintergrundwissen aufbaut oder verbal Genauestens abgewogen ist, sofort hart abgekanzelt wird.
Der aktuelle herrschende Ton in solch kontroversen Debatten ist der, dass abweichende Meinungen oft pauschalisiert, simplifiziert und abqualifiziert werden. Dass man, wie im Artikel beschrieben, Leute dazu drängt, sich zu psoitionieren, aber nur die Position akzeptiert, die der Mehrheitsmeinung in der jeweiligen Community entspricht. Zwischentöne und Ambivalenzen werden zu Relativierungen und versteckten Hass umgedeutd. Und wenn jemand sich genau deshalb dann nicht positionieren möchte, wird ihm nicht selten "dröhnendes Schweigen" und damit unterschwellige Akzeptanz von Unrecht vorgeworfen. Man schiebt zwar voran, dass Kritik legitim wäre, nur um danach umgehend jede Abweichung von der "reinen Wahrheit" gezielt zu attackieren.
Das ist arrogant, übergriffig und im Grunde zutieftst autoritär. Und mich wundert es wenig, dass das in so identätspolitisch durchdeklinierten Kreisen besonders verhärtet passiert.
Kawabunga
"Darin befindet sich eine Silhouette Israels, eingefärbt – ausschließlich – in Hamas-Grün."
Ist das dieses berühmte "Framing"? Oder geht das schon darüber hinaus?