Bewegungstermine in Berlin: Ausbruch aus dem Fahnenterror

Überraschung – einen großen Wettkampf der Nationen zu simulieren führt zu Nationalismus. Eine Liste von Aktivitäten, um durchzuhalten.

Ein Balkon ist zur Fußball Europameisterschaft mit wirklich vielen Deutschlandflaggen dekoriert worden.

Machen keine guten Gefühle: Deutschlandflaggen an Balkonen Foto: IMAGO / Gottfried Czepluch

Die gute Nachricht zuerst: Das Schlimmste ist vorbei. Deutschland und die Türkei sind beide aus der EM rausgeflogen. Man darf hoffen, dass nun auch die wandelnden Schwarz-Rot-Gold-Merchstände aufhören, durch die Kieze zu stolpern. Dass die nächtlichen Autokorsos verstummen und die Nationalflaggen der Verliererteams von den Balkonen geholt werden. Dass es schon jetzt etwas besser wird, bevor der ganze Nationalismusspuk in paar Wochen wieder aufs Normalniveau abebbt.

Oh ja, liebe Linksliberale im Publikum: Das wird eine Anti-EM-Kolumne. Knacksen Sie also schon mal Ihre Finger, um gleich wortreich in den Kommentaren das Bedürfnis zu erklären, sich Nationalfarben ins Gesicht zu schmieren. Schwarz-Rot-Gold, das sind immerhin die Farben der Republik, des Grundgesetzes! Um die muss man doch kämpfen, gerade dagegen, dass sich die Rechten diese aneignen! Ein Akt von Verfassungspatriotismus ist es doch, sich auf der Fanmeile für „unsere Jungs“ zu besaufen!

Und natürlich sind nicht alle Deutschlandfans Nazis, was auch kei­ne:r ernsthaft behauptet hat. Einige Fans sind stabil, wie etwa die Kundschaft der „Eck-Kneipe“ am Mariannenplatz vergangenen Freitag bewies, als Deutschland gegen Spanien spielte. Während dort die Solidemo für Maja T. vorbeizog, ein:e gerade nach nach Ungarn aus­ge­lie­fer­te:r An­ti­fa­schis­t:in, echauffierte sich die Polizei mal wieder wegen eines Rauchtopfes. Dem begegnete die Kneipe mit lautstarken „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“-Gesängen. Auch bei Antifa-Sprechchören wurde munter eingestimmt.

Nationalismus raus aus den Köpfen

Ein Zusammenhang zwischen Party-Patriotismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit ist dennoch wissenschaftlich bewiesen. Schon die WM 2006 – oft als Erwachungsmoment des deutschen Patriotismus gedeutet – hat zu einem Anstieg von Nationalismus geführt, wobei dieser laut erwähnter Studie ungebrochen mit einer Abwertung von Mi­gran­t:in­nen einherging. Die Idee des „toleranten Patriotismus“ bezeichnete der Herausgeber, der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, einst als „gefährlichen Unsinn, ein Stück Volksverdummung“.

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Das nationale „Wir“ war eben schon immer eine unreformierbar beschissene Idee. Und so ist es kein Wunder, dass die Polizei allein in den ersten zwei Tunierwochen laut der „Zeit“ 52 Fälle von „Deutschen den Deutschen“-Gesängen registriert hat. Auch österreichische und ungarische Fans skandierten „Ausländer raus!“, auf X trendete nach einem Englandspiel der Hashtag #Inselaffen. Fans der Balkan-Staaten signalisierten in Sprechchören ihren Wunsch, sich gegenseitig zu töten und ihre jeweiligen Nachbarländer einzuverleiben.

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral und etliche Türkeifans zeigen öffentlich den faschistischen „Wolfsgruß“ – ein klare Botschaft an all die Betroffenen der mörderischen „Grauen Wölfe“, deren politischer Arm zum Regierungsbündnis Erdoğans gehört. Dass die Türkei trotz eines unfreiwillig komischen Propagandavideos der Armee und dem Erdoğan-Besuch rausgeflogen ist, es ist noch die schönste Seite dieser simulierten Völkerschlacht. Beim Rassismus von AfDlern, denen die Nationalelf nicht weiß genug ist (eine Position, die ein Fünftel dieses Landes teilt), verschwindet die kurze Freude allerdings wieder.

Termine, um durchzuhalten

Nun ist es allzu verständlich, bei all dem Nationalismus Magenprobleme zu bekommen und sich auf der Toilette einzuschließen. Wo aber würde so der Geist des sportlichen Wettbewerbs bleiben? Mitmachen ist angesagt, wenngleich die Disziplinen autonom gedreht werden müssen. Ein Beispiel: Flaggenklauen – eine lustige Beschäftigung, die angesichts des erhöhten Alkoholpegel der meisten Fußballfans auch für An­fän­ge­r:in­nen geeignet ist. Und bei der VoxKüfa* in der Kadterschmiede gibt es für jede 10 gestohlenden Flaggen auch noch ein Getränk umsonst! (Mittwoch und Donnerstag, 10. und 11. 7., Rigaer Str. 83, jeweils 20 Uhr)

Sich mit dem positiven Potenzial des Fußballs auseinanderzusetzen ist bei der Vorführung des Films „Les Rebelles du Foot – Rebellen am Ball“ im K9 (Kinzigstr. 9) möglich. Beim Film des Exkickerstar Eric Cantona geht es um fünf Profikicker, die zu Galionsfiguren für politischen Widerstand wurden – zum Beispiel der französische Nationalspieler Rachid Mekhloufi, der während des Algerienkrieges desertierte und ab 1958 für die Auswahl der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN stürmte. Los geht es am Sonntag (14. 7.) um 19 Uhr.

Sich dem Fußball aus feministischer Perspektive zu nähern ist das Anliegen des Thesmophoria Theater Kollektivs. Am Samstag (13. 7., 19 Uhr) tritt die Gruppe in der Wagenburg Lohmühle (Lohmühlenstr. 17) auf. Das Outdoor-Kabarett mit dem Titel „ANPFIFF!“ tastet sich an Fankultur und die Geschichte des Frauenfußballs heran – und das auf Spendenbasis. Die Aufführung findet auf Englisch und Deutsch statt.

Es gibt Widerstand

Klar sollte in jedem Fall sein: Der Nationalismus wird mit dem Ende der EM nicht verschwinden, wie die Flaggen von den Balkonen. Dafür muss schon antifaschistischer Widerstand geleistet werden. Einstimmen auf diesen lässt es sich am Donnerstag auf einer PunkRock-Lyrik-Lesung mit dem Motto „Nazis klatschen“ (weil sie gerade so erfolgreich sind), die für eine Antifa-Kundgebung am 17. August im Görlitzer Park mobilisieren will. Präsentiert werden Texte und Punktracks aus 100 Jahren antifaschistischer Bewegung (Donnerstag, 11. 7., Syndikat, Emser Str. 131, 20 Uhr).

Die so gesammelte Energie in die Tat umsetzen lässt sich gleich am Freitag. Da will der Oberfascho Martin Sellner im bürgerlichen Steglitz-Zehlendorf seine faschistischen Deportationsfantasien verbreiten. Der Ex-AfDler Andreas Wild hat ihn dafür in die sogenannte „Staatsreparatur“ eingeladen, ein einschlägig bekannter rechter Verein gelegen im Jungfernstieg 4B nahe des S-Bahnhofs Lichtferfelde Ost. Es gibt es Protest von An­woh­ne­r:in­nen und antifaschistischen Initiativen (Freitag, 12. 7., S Lichterfelde Ost, 17.30 Uhr).

Gleich am Folgetag (Samstag, 13. 7.) geht es weiter. Da will der rechtsextreme Publizist und dessen ebenso rechtsextremes Compact-Magazin in Falkensee demonstrieren. Unter dem griffigen Motto „Elsässer, halts Maul!“ gibt es eine Gegendemo. Es gilt, das Hinterland zu supporten, wo sich die Rechten oft viel zu ungestört fühlen. Dass sich viele Menschen zur gemeinsamen Anreise versammeln, ist nach dem schweren Neonaziangriff am Ostkreuz vergangenes Wochenende noch einmal wichtiger geworden. Treffpunkt ist auf Gleis 2 um 14.05 Uhr. Die Demo in Falkensee beginnt um 15 Uhr.

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