Putin und Xi: Nur noch ziemlich beste Freunde
Die chinesisch-russischen Beziehungen zeigen erste Schönheitsfehler. Moskaus Flirt mit Indien, Vietnam und den Philippinen kommt nicht überall gut an.
W ie selten zuvor breitet sich in Chinas sozialen Netzwerken eine Welle nervösen Interesses an Ereignissen und Entwicklungen aus, die sich jenseits der Landesgrenzen zutragen. Nicht länger die eigenen Pläne, im Leben voranzukommen, nicht mehr die bedrückende Situation an den Börsen im Lande, die so viele Millionäre über Nacht in „blanke Stöcke“ (Bettelarme) verwandelt – was zählt, ist der Wahlsieg von Labour in Großbritannien.
Der neue Premierminister Keir Starmer berief gleich eine Sitzung ein, auf der auch die antichinesische Außenpolitik unterstrichen wurde. In Frankreich blieb Marine Le Pen nun doch weit hinter dem erhofften Wahlergebnis zurück. Wie schade! Hätte sie doch sonst den lästigen Europäern gerne weiter in die Suppe spucken können, wie es unser Freund Viktor Orbán – diese Woche zu Besuch auch in China – regelmäßig tut. Und in den USA strauchelt Präsident Joe Biden zusehends.
Wobei hier gar nicht sicher ist, ob er oder sein Gegenkandidat von uns Chinesen zu bevorzugen wäre. Unter all den Ungewissheiten zeigt sich die Ungewissheit über Chinas Freund Russland als umso vielsagender. So kam Ende April die Meldung, dass die Philippinen – die mit China um etliche Inseln im Südchinesischen Meer streiten, wobei es praktisch jeden Tag zu einem bewaffneten Konflikt kommen könnte – Hypersonic-Raketen vom Typ BrahMos aus russisch-indischer Produktion erhalten.
ist 1957 in Peking geboren, lebt seit 1989 in Deutschland und arbeitet dort als freier Autor. In seinen Texten setzt er sich mit dem politischen Geschehen und der gesellschaftlichen Entwicklung in seiner Heimat auseinander.
Ein Handel, der irritiert. Warum sollte unser Feind von unserem Freund in Moskau mit Marschflugkörpern versorgt werden? Und dann ist da noch dieser Inder namens Narendra Modi. Dem jüngsten Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) in Kasachstan, da, wo Chinas Präsident Xi Jinping wie ein Kaiser allen zentralasiatischen Staaten Audienz gewährte, blieb er fern. Dafür besuchte Modi Russland, das im Gegensatz zu Indien bei dem Gipfel in Astana sehr wohl vertreten war.
Wer gegen wen?
Was haben Modi und Wladimir Putin hinter verschlossener Tür zu beraten? Geht es möglicherweise um und gegen China? Der Verdacht könnte nicht zuletzt mit Blick auf die russisch-indische Raketenlieferung an Manila aufkommen. Und es bleibt gar nicht bei den Philippinen oder Indien. Putin hatte zuvor auch Vietnam einen Staatsbesuch abgestattet. Wie es hieß, konnte Hanoi sich Russlands Unterstützung für Vietnams Ansprüche im Südchinesischen Meer gegen China sichern, speziell auf die Spratly-Inseln.
Spuckt Putin uns Chinesen also auch hier in die Suppe, allen heiligen Versicherungen zum Trotz, dass Moskau China ein verlässlicher strategischer Partner sei? Der Verdacht verdichtete sich weiter, als diese Nachricht wie ein Lauffeuer durch Chinas soziale Netzwerke ging: Nordkorea, das Mitte Juni für Putin den roten Teppich ausgerollt hatte und ihn als den dicksten Freund Pjöngjangs (aufgepasst: nicht Chinas!) feierte, schaltet seine satellitengestützte Kommunikation vom chinesischen System auf ein russisches System um.
Die Nutzung des Satellitensystems ist ein deutlicher Vertrauensbeweis. Bei den Russen, so das Signal, ist die Kommunikation in besseren Händen. Und damit fühlte sich bestätigt, wer schon vorher argwöhnte: Putin spannt uns Chinesen unseren letzten Partner aus, und zwar genau da, wo wir ihn am dringendsten brauchen – als Beißhund gegen Südkorea und Japan.
Überraschend bleibt Zensur aus, selbst wenn manche Mutmaßungen in puncto Russland klar gegen die offiziöse Politik stehen. Grund dafür könnte sein, dass jetzt wenigstens keiner mehr die Arbeitslosigkeit thematisiert, die unter jungen und gebildeten Menschen wieder die Marke von 20 Prozent erreicht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko