Neonazi-Strukturen um Grevesmühlen: Die Glatzen waren nie weg

Der rassistische Angriff Jugendlicher auf eine Familie aus Ghana geschah nicht im luftleeren Raum. Die rechtsextreme Szene ist hier seit Jahren aktiv.

Runtergekommenen Lagerhalle mit Fahne auf dem Dach.

Das Unternehmen Abriß Krüger in Jamel. Der Chef ist ein überzeugter Nazi Foto: imago

HAMBURG taz | In Grevesmühlen ist der Oldschool-Look der Rechtsextremen wieder en vogue. Bomberjacke, Army-Hose, Glatze und Springerstiefel – so sah die Kleidung von rund 20 Jugendlichen aus der rechten Szene aus, die in der Kreisstadt in Mecklenburg-Vorpommern vor einer Woche eine ghanaische Familie angegriffen hatten.

Ein Video zeigt, wie die Mädchen von acht und zehn Jahren von den bedrohlich aussehenden Jugendlichen umringt wurden. Der Achtjährigen soll ein Rechtsextremer ein Bein gestellt haben, während sie mit einem Roller vorbei fuhr. Als die Eltern ihren Kindern helfen wollten, folgten rassistische Beleidigungen und körperliche Auseinandersetzungen. Der Vater wurde verletzt. „Wir waren schon rechts, bevor es cool wurde“, soll zuvor einer der Täter bei Facebook gepostet haben.

Im gleichen Look wie die Jugendlichen von heute lief in den 90er Jahren schon Sven Krüger in dieser Region herum. Der Mandatsträger prägt für die Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ aus Jamel hier bis heute die rechte Szene. Grevesmühlen liegt nur rund zehn Kilometer entfernt von Jamel. Das ist ein Katzensprung in der regional eng verbundenen Szene in Mecklenburg-Vorpommern. In dem Dorf leben fast nur Neonazis, die Dorfgemeinschaft versteht sich als „frei-sozial-national“ und richtet völkische Feste aus. Bis heute strahlt das Netzwerk mit seinen Aktivitäten in der Region aus.

In Grevesmühlen unterhielt Krüger, der heute Glatze mit Bart trägt, über Jahre ein rechtsextremes Zentrum – das Thinghaus. Auf der ehemaligen Website des rechtsextremen Zentrums hieß es, das das Wort „Thing“ im altgermanischen Sprachgebrauch etwa so viel wie Volksversammlung bedeute. „Und so soll es auch weitergeführt werden, als Versammlungshaus der gesamten nationalen Bewegung“, hieß es. „Egal ob Partei oder freie Kameradschaft, Einzelkämpfer oder Familienkreis, im Thing-Haus ist jeder zu Hause, dem Begriffe wie Vaterland und Freiheit noch nicht fremd geworden sind“.

„Happy Holocaust“

Das Grundstück war am Rande von Grevesmühlen mit einem blickdichten Holzzaun abgeschirmt. Über dem Hauseingang hing ein Schild mit dem germanischen Motiv der Irminsul und dem niederdeutschen Widerstandsspruch „Lever dood as Slav!“ („Lieber tot als ein Sklave!“). Mehr als zehn Jahre lang bespielte Krüger, der auch mal für die NPD – heute „Die Heimat“ – ein Kommunalmandat inne hatte, den Ort mit einem rechtsextremen Programm.

Das Haus nutzte die Szene für Schulen und Tagungen sowie Feste und Konzerte. Zu Festen kamen rechte Eltern mit ihren Kindern. Es gab Kampfsporttraining und Buchmessen. In einen Metallgrill auf dem Gelände war der Schriftzug „Happy Holocaust“ eingelassen. Ebenso hatten die Neonazis auf dem Gelände einen Wachturm errichtet. Die ehemalige NPD richtete ein Bürgerbüro in dem Haus ein, als sie im Landtag saß. Erst 2022 schloss das Zentrum. Die Covid-19-Pandemie erschwerte die Nutzung. Ihre Aktivitäten liefen aber weiter.

In Jamel selbst richtete das Netzwerk um Krüger auch rechte Events wie ein Brauchtumsfeste aus. Hier standen schon 2015 Erwachsene und Kinder mit Fackeln ums Feuer und sangen Nazi-Lieder. Etwa eines vom Lyriker und Komponisten Hans Baumann, das er 1935 für einen Hitlerjungen geschrieben hatte: „Freiheit ist das Feuer“, heißt es darin, „dass die Heimat den Frieden soll finden, suchen wir nach dem Feind. Keiner soll seine Garben hier binden, der es falsch mit uns meint“.

Robert Schiedewitz von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt, LOBBI, sagt: „Während das Bestürzen über die Geschehnisse mehr als berechtigt ist, so dürften die Entwicklungen eigentlich wenig überraschen.“ Die rechten Tä­te­r:in­nen fühlten sich von den andauernden Mobilisierungen und Wahlerfolgen der extremen Rechten ermächtigt, zur Tat zu schreiten und mit Gewalt gegen Menschen vorzugehen, die nicht in ihr Weltbild passen, so Schiedewitz.

Das Ineinanderwirken von Debatten und Aktionen führt auch zu Gewalttaten, erklärt Schiedewitz, Mitarbeiter von LOBBI, einem Beratungsnetzwerk für Betroffene rechter Gewalt: „Wo rassistische Mobilisierung unwidersprochen bleibt, nimmt schließlich auch die Gewalt zu.“ Im vergangenen Jahr erfasste die Beratungsstelle allein in Mecklenburg-Vorpommern 113 Angriffe. 155 Menschen waren betroffen.

Erfolge bei der Kommunalwahl

Die Wählergemeinschaft von Krüger trieb 2023 auch die Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Upahl mit an. Der Ort ist knapp fünfzehn Kilometer von Grevesmühlen entfernt. Dort drangen Protestierende im Januar vergangenen Jahres fast in eine Sitzung des Nordwestmecklenburger Kreistages ein. Mit dabei: Krüger und seine Anhänger:innen.

Die Kommunalwahl am 6. Juni lief für die Szene erfolgreich. In Gägelow zog die Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ mit 16,1 Prozent in die Gemeindevertretung ein. In der Stadtvertretung Grevesmühlen holte die AfD 22 Prozent. Krüger spielt in die Karten, aus der Region zu stammen. Der Abrissunternehmer ist in Jamel groß geworden. Bis zum Verbot der Hammerskins 2023 gehörte er zu den führende Kadern der Neonazi-Organisation. Seine Wähler stört offenkundig nicht, dass er verurteilt ist wegen schwerer Körperverletzung und Hehlerei.

Aber nach den Angriffen auf die Familie aus Ghana gibt es in Grevesmühlen mittlerweile auch Widerspruch: Der lokale Sportverein solidarisierte sich mit den Angegriffenen, am Donnerstag hat das „Bündnis für Grevesmühlen“ eine Menschenkette im Ortsteil Ploggenseering angekündigt – wo der Angriff durch die rechten Jugendlichen stattfand. In Schwerin hat die Nordkirche unter dem Motto „Zeigt Euer Gesicht gegen Rassismus“ zu einer Lichterkette rund um den Schweriner Dom und allen anderen Kirchen im Bundesland aufgerufen.

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