Insektenforscher über Naturschutz: „Es gibt ganz tolle Wanzen!“

Das Nature Restauration Law ermöglicht Artenschutz, sagt der Agrarökologe Josef Settele. Außerdem biete es Bevölkerung ökonomische Perspektiven.

Eine Wanze auf einer Pflanze.

Eine Feuerwanze auf einer Pusteblume in Brandenburg Foto: Tim Brakemeier/dpa

taz: Herr Settele, wieso sagen uns Schmetterlinge, ob es einer Landschaft gut oder schlecht geht?

Josef Settele: Wenn auf Wiesen oder Äckern viele verschiedene Schmetterlingsarten vorkommen, dann können dort auch andere Insekten leben, die offene Agrarlandschaften brauchen. Darum ist das Vorkommen von Schmetterlingen ein Indikator, mit dem das neue Gesetz zur Wiederherstellung der Natur misst, wie es um die Biodiversität in einer Landschaft bestellt ist.

Das Schöne an diesem Indikator ist: Es gibt ihn schon. In allen 27 EU-Staaten gibt es ein Tagfaltermonitoring. 6000 Ehrenamtler erfassen überall in der EU regelmäßig auf die genau gleiche Weise Daten. Das ist eine hervorragende Grundlage für ein europaweites Monitoring. Man könnte das natürlich auch mit Wanzen machen, aber die sind nicht so sympathisch wie Schmetterlinge…

… da ist man ja eher froh, wenn die weg sind…

… ach was, es gibt ganz tolle Wanzen! Aber die sind schwerer zu bestimmen. Es gibt in ganz Deutschland gut 180 verschiedene Arten von Tagfaltern, jeder hat vor seiner Haustür bis zu 40 Arten, wenn die Haustür in tollen Landschaften steht. Die können auch Laien nach einer gewissen Einarbeitung gut auseinander halten – wobei sie dann auch schon keine Laien mehr sind.

In Deutschland haben wir 500 Ehrenamtler für diese Erfassungen, die sind inzwischen ausgewiesene Kenner. Es erwartet übrigens auch künftig keiner von Landwirten, dass sie für die Erfüllung des Nature Restoration Laws Schmetterlinge zählen. Für die Betriebe und Gemeinden ist das Ergebnis interessant. Sie können überprüfen, was es bringt, wenn sie etwa mehr Hecken oder Blühstreifen anlegen.

Was sagt das Tagfalter-Monitoring, wie geht es unseren Landschaften?

Wir haben in einer Studie die Artenvielfalt von Schmetterlingen in Natura-2000-Gebieten mit der in nicht geschützten Gebieten verglichen, im Zeitraum von 2005 bis 2015. In beiden Gebieten ist die Vielfalt um zehn Prozent zurück gegangen. Der Unterschied war, dass das Niveau in den Naturschutzgebieten höher war, aber der Trend ist derselbe.

Wie das?

Das ist eigentlich ganz logisch. Es gibt ein paar Generalisten, zum Beispiel das Tagpfauenauge oder den Distelfalter, die kommen immer klar. Wenn wir nur noch die fünf Arten haben, die in beinahe jedem Lebensraum überleben können, dann nehmen die auch nicht mehr groß ab. Wenn sie in einer Gegend nicht vorkommen spricht das eher dafür, dass noch niemand genauer hingeschaut hat, dann müssen wir dort unser Monitoring verbessern.

Wie erklären Sie sich den Rückgang in den Naturschutzgebieten?

Viele Natura-2000-Gebiete werden nicht angemessen genutzt. Häufig sind das Trockenrasen- oder Feuchtgebiete, die können nicht sich selbst überlassen werden, dann wachsen sie zu. Bei intensiver Nutzung hingegen wird zuviel Stickstoff in die Böden gebracht, dann verschwinden die Arten, die nährstoffarme Böden brauchen.

Eine zu intensive Nutzung ist genauso ungünstig wie eine zu extensive oder gar keine Nutzung. Das gilt auch für Niedermoorstandorte, dafür wurde das Konzept der Paludi-Kultur erdacht, das Wirtschaften auf nassen Standorten. Wir brauchen eine Nutzung, die mit den Kulturlandschaften gewachsen ist, oder diese zumindest im Ansatz simulieren.

Was kann das Nature Restauration Law leisten, um die Situation zu verbessern?

Es öffnet Möglichkeiten einer nachhaltigen Nutzung. Es ist das Anliegen des Gesetzes, die Biodiversität zu stärken und gleichzeitig Landnutzung zu ermöglichen. Wir müssen die Artenvielfalt erhalten, Kohlenstoff speichern und den Menschen vor Ort Lebensperspektiven bieten. Das müssen wir klarer kommunizieren, dass alles nur zusammen geht. Naturschutz in Deutschland bedeutet häufig Kulturlandschaftsschutz. Die wahren Perlen der Biodiversität, wo die meisten bedrohten Arten leben, sind historisch geschaffene, genutzte Landschaften, etwa die Schwäbische Alb oder die Lüneburger Heide.

leitet das Departement für Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Halle. Der Agrarbiologe berät die Politik in zahlreichen Gremien; er hat als Wissenschaftler beim Weltklimarat IPCC mitgearbeitet und ist zentral engagiert beim Welt-Biodiversitätsrat IPBES, wo er beispielsweise den Globalen Bericht mit-geleitet hat. Seine Lieblingsforschungsgebiete sind Agrarökologie und Schmetterlinge.

Viele Menschen haben ein eingezäuntes, wildes Gebiet im Kopf, wenn sie an Naturschutz denken. Dabei kommt das Konzept von „Schutz- und Schmutzgebieten“ aus den USA. Dieses Konzept der Trennung von Mensch und Natur lässt sich aber nicht gut auf Mitteleuropa übertragen, und wird mittlerweile auch generell in Frage gestellt. Wir sind geprägt von einer Interaktion von Mensch und Natur.

Also bedauern Sie es nicht, dass die Bevölkerung in Ostwestfalen sich in einem Bürgerentscheid gegen einen Nationalpark in dem Waldgebiet Egge entschieden hat?

Bundesweit haben wir nicht sehr viele Flächen, die wir sich selbst überlassen. Das UN-Biodiversitätsabkommen von Montreal verpflichtet uns zu 10 Prozent der Fläche, die haben wir längst nicht. Um das zu erreichen, wäre so ein Nationalpark natürlich ein wichtiger Beitrag.

Die Diskussion vor Ort war interessant, weil sowohl Befürworter als auch Gegner mit Natur- und Waldschutz argumentiert haben: Die Befürworter wollten dafür den Wald sich selbst überlassen. Die Gegner wollten neue Bäume pflanzen, den Wald nachhaltig bewirtschaften und pflegen. Wer hat Recht?

Das kommt drauf an. Nehmen wir uns viel Zeit – also eher 100 Jahre als 10 – dann kann ein Wald eine spannende Entwicklung nehmen, wenn er sich selbst überlassen bleibt. Er bricht dann langsam zusammen und baut sich um. Dann bietet er Lebensräume etwa für Arten, die Totholz brauchen. Wenn Förster den Wald nachhaltig bewirtschaften, Bäume pflanzen, von denen sie ausgehen, dass sie den Klimawandel überstehen, dann gibt es eine schnellere Lösung. Das sind völlig unterschiedliche Konzepte. Welches stabiler ist, wissen wir nicht unbedingt und ist auch von den lokalen Bedingungen abhängig.

Es gibt Studien die sagen, dass keine Bevölkerung der Welt einem Nationalpark vor ihrer Haustüre zustimmen würde. Sollte man also nicht darüber abstimmen?

Doch, muss man. Man darf nicht über die Köpfe der Leute entscheiden. Und es gibt ja auch vor Ort Menschen, die dafür sind, die Chancen für den Tourismus sehen, die gerne selbst wandern oder mountainbiken in einem Nationalpark. Die Nationalparks Bayerischer Wald oder Berchtesgarden sind dafür gute Beispiele.

In NRW sucht die Landesregierung seit zwei Jahren einen Standort für einen zweiten Nationalpark und findet keinen. Was soll sie denn machen, wenn die Leute einfach keinen Naturschutz wollen?

Sie muss kommunizieren und überzeugen. Was der Staat von oben herab durchsetzt, kann nicht funktionieren. Im Straßenbau wird zwar mit Enteignungen gearbeitet, aber das ist etwas anderes. Da besteht ein Grundverständnis, dass das öffentliche Interesse an Straßen da ist. Das ist beim Naturschutz nicht so – zumindest bislang leider nicht, obwohl das öffentliche Interesse natürlich viel größer ist. Es bleibt nur der Dialog, so ist das eben.

Im Moment bedeutet Dialog vor allem Rückschritt: Obwohl die Wissenschaft immer eindringlicher vor dem Artensterben warnt, hat die Bundesregierung nach den Bauernprotesten der vergangenen Monate viele fortschrittliche Umweltgesetze im Agrarbereich einfach gekippt…

Das ist wohl leider so zu konstatieren. Aber es läuft nicht alles schlecht. Zum Beispiel argumentiert die Industrie heute relativ fortschrittlich, sie war für das Nature Restauration Law. Die Konfliktlinien waren nicht einfach „Hier die Linken und Ökos, dort die Industrie und die Rechten“, da klemmen viele Schubladen. Es muss darum gehen, Lobbygruppen auszubremsen, die nicht konstruktiv sind.

Die Landwirte?

Einige, aber letztlich wohl eher Vertreter von einigen Verbänden. Viele Landwirte sehen, dass es nicht bleiben kann, wie es jetzt ist. Wieso soll die EU dauerhaft Subventionen für Flächenbesitz zahlen? Es ändert sich doch alles, es gibt Künstliche Intelligenz, neue Fortbewegungsmittel – warum soll in der Landwirtschaft und der Ernährung alles bleiben, wie es ist? Außerdem müssen wir aufhören, die Erfolge unserer Anstrengungen immer nur an unseren Maximal-Zielen zu messen.

Kürzlich hat eine Studie untersucht, welchen Effekt Naturschutzmaßnahmen haben: Er war messbar. Das heißt, wenn wir nichts machen, kommt es schlimmer. Vielleicht dauert es, vielleicht dauert es zu lange, aber es lohnt sich trotzdem. Wir müssen die Leute mitnehmen, sonst erzeugen wir Widerstand. Und dann passiert noch weniger.

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