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Die WahrheitKundengespräche ohne Kunden

In Simulationskursen lernen Arbeitnehmer die Rückkehr aus dem Homeoffice in die ganz reale Scheinarbeitswelt.

Ein Leben in der Fickt-euch-Allee mit Blick auf den See Foto: dpa

Eduard starrt auf eine Excel-Liste. Viele Zahlen sind in die Felder eingetragen, die Tabelle wirkt genauso unübersichtlich wie wichtig. Und Eduards Gesicht wirkt angestrengt. Er absolviert gerade die Übung „Der konzentrierte Blick“. Der Seminarleiter Horst Mitzeleydt rät ihm, die Datenreihen und -spalten ein wenig herumzuschieben, und empfiehlt: „Spare nicht an den Showelementen. Baue eine hübsche Grafik ein – zum Beispiel ein spannendes Tortendiagramm.“

„Der konzentrierte Blick“ ist eine zentrale Übung in Mitzeleydts brandneuem Seminar, das er in seinem Fortbildungsträger „Idle Work“ anbietet. Die Teilnehmer lernen dort nicht nur die arbeitssuggerierende Wirkung von Excel-Tabellen kennen, sondern sie trainieren auch intensiv Gesichtsmimik und -gestik. „Dieser Kurs bringt den Teilnehmern bei, unabhängig von den tatsächlichen Gedanken auf Knopfdruck absolute Konzentration auszustrahlen“, sagt der 41-jährige Mitzeleydt.

Hinter ihm steht Eduard und wirkt absolut konzentriert, „obwohl ich ständig nur an Blumenwiesen, das Gezwitscher von Amseln und an Ruth aus der Candy-Bar denke“, sagt der 52-jährige Versicherungssachbearbeiter.

Eduard genoss bis vor wenigen Wochen sein Arbeitsleben zu 100 Prozent im Homeoffice – und war dort überaus effizient. „Am Ende war ich der Lage, die Arbeit meiner Vollzeitstelle in 7,5 Stunden zu erledigen“, rechnet er stolz vor.

Eitle Arbeit

Nachdem sein Arbeitgeber aber angekündigt hatte, die Homeofficezeiten drastisch zurückzufahren, kamen Eduard Bedenken, dass seine Vorgesetzten eine andere Interpretation von Effizienz haben könnten. Mit diesen Bedenken scheint Eduard in bester Gesellschaft zu sein, wie die Buchungszahlen bei „Idle Work“ vermuten lassen. Vollauslastung herrscht in fast in allen Kursen, die Titel tragen wie „Telefonieren mit einem Phantom. Das Kundengespräch ohne Kunden“, „Fünf Minuten dumm anstellen spart drei Stunden Arbeit“ oder „Exzessives Dokumentieren mit der Copy-and-paste-Methode: Re­dundanz füllt den Tag.“

Dieser Erfolg zwang Horst Mitzeleydt bereits kurz nach der Gründung von „Idle Work“ sein Team zu verstärken. Die eloquente Birte gibt Kommunikationstrainings. Gerade unterweist sie eine 12-köpfige Gruppe im kreativen Phrasendreschen. „Die Phrase ist die Sprache der meisten Vorgesetzten. Sie mögen es, wenn die Mitarbeiter so reden wie sie. So gerät der Müßiggänger schnell aus der Schusslinie“, lehrt sie ihren Schülern, bevor diese Wortfeldübungen zu den Begriffen Optimierung, Flexibilität und Agilität erledigen. Schließlich sollen sie in der Phrase variantenreich vorgehen können. „Es ist ein bisschen wie Bullshitbingo und macht den Leuten tierisch Spaß“, freut sich Mitzeleydt. „Manche entwickeln regelrecht Vorfreude auf das nächste Meeting, wo sie das Gelernte in die Tat umsetzen dürfen.“

Key-Performance-Indizes

Birte hat vorher auf Märkten selbstbemalte Kieselsteine als Heilsteine verkauft. Horst war Student diverser Fächer und ansonsten hauptberuflich arbeitslos. Das Jobcenter schickte ihn regelmäßig zu Jobcoachings und Orientierungsseminaren. „Aber da konnte ich das Simulieren kultivieren“, berichtet er. Gerade von Eignungsfeststellungsmaßnahmen erwartet das Jobcenter Ideen, wie man die Arbeitslosen in Arbeit bringen kann. „Da gilt es höllisch auf der Hut zu sein, nicht versehentlich Talente zu offenbaren“, sagt Horst Mitzeleydt. Leider sei dies nicht jedem seiner damaligen Leidensgenossen gelungen. Mitzeleydt erinnert sich an einen begabten Programmierer, der dem Arbeitsmarkt ins Netz gegangen ist.

Das gleiche Schicksal ereilte eine hochintelligente Finanzmathematikerin, die mittlerweile in der Controlling-Abteilung einer Baufirma sitzt. Doch Mitzeleydt entwickelt Rettungspläne für die beiden. Das Mathematikgenie könnte ein paar hübsche Schönrechnerkurse anbieten, und für den Programmierer stellt er sich ein KPI-Hacking-Seminar vor. „Da könnten die Mitarbeiter lernen, wie sie ihre Key-Performance-Indizes direkt – ohne den Umweg der Leistung – gestalten. Das wird ein richtig großes Ding! Apropos Leistung.“ Mitzeleydt schaut auf die Uhr. „Ich habe eine Vorbildfunktion und muss meine Unternehmenswerte leben. Es ist schon Mittag. Tschüss!“

Mit diesen Worten dreht er sich um und verabschiedet sich in den Feierabend.

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1 Kommentar

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  • Ich arbeite seit 14 Jahren im Homeoffice und leite dabei ein internationales Vertriebsteam. Bin froh, nicht jedenTag ins Büro und ne Menge Menschen um mich haben zu müssen. Sozial verkümmern muss ich deshalb nicht - betreibe Sport mit Freunden, mache Grillparties, bin viel unterwegs. Ich brauche wegen homeoffice nicht mal soziale Medien, mir geht es dabei rundum gut. Wenn ab und zu mal ins Headquarter muss freue ich mich richtig nach wenn ich nach 1 oder 2 Tagen wieder nach Hause fahren darf.