Klimakrise und Tourismus: Die Natur zeigt ihre Krallen

Die Hitzetoten der vergangenen Woche zeigen: Wer mittags nicht auf Wanderungen oder Pilgerfahrten verzichten will, gefährdet sich und andere massiv.

Mehrere Personen an einem Strand gerdrängt unter einem Schirm.

Ungeschützter Sonnenverkehr geht nicht mehr Foto: Chris Emil Janssen/imago

Oh Schreck, ein Fleck. Auf dem Kissenbezug trübt ein mitteldunkles, ockergelbes unförmiges Etwas die strahlend reine Blütenweiße ein. Kein Haushaltsrezept (Essig, Natron, Backpulver) hilft, kein Bleichmittel, kein Handgekochtes. Die Flecken beweisen am Ende einer jeden Behandlung immer wieder ihre ockergelbe Resilienz.

Wer mit Touristen in Strandnähe zu tun hat, kennt das Phänomen seit einigen Jahren und hat einen dementsprechend höheren Verschleiß an Bettwäsche. Flecken gab es zwar immer, aber erstens nicht so oft und zweitens nicht so resistent. Und ja: Es handelt sich um schmierige Spuren der Klimakatastrophe.

Denn es geht um Sonnencreme. Genauer gesagt, um den UV-Filter, der öllöslich sein muss und der seine Eigenfärbung auf Textilien hinterlässt.

Mit der immer stärker werdenden Hitze steigt die UV-Strahlung und damit der Einsatz von Sonnencreme. Natürlich nicht nur: Urlauber sind von früh bis spät von Kopf bis Fuß auf Sonnenschutz eingestellt. Denn seit wir wissen, dass ungeschützter Sonnenverkehr nicht nur Sonnenbrand, sondern auch Hautkrebs verursacht, raten Experten, keinen Quadratmillimeter Haut der Sonne auszusetzen, und wenn, dann nur mit LSF 50, egal ob das Produkt vor 5 Jahren abgelaufen ist oder nicht. Viel helfe viel. Nachteil: je höher der Lichtschutzfaktor, umso hartnäckiger die Ockerflecken in den Laken.

Neue Regeln für die Ferienwohnung

Nun hat die Stiftung Warentest mal wieder festgestellt, dass Sonnencreme Mist enthält. Weichmacher, die potenziell krebserregend sind, wurden in allerlei handelsüblichen Cremes gefunden. Der Schutz vor der Klimakatastrophe ist eben leider auch kein Mittel ohne Nebenwirkungen. So ist das krebserregende Benzophenon, das als chemischer Filter gegen UV-Strahlung in die Schmiere gemischt wird, erst seit vergangenem Jahr in der EU verboten. Hingegen sind die Wirkstoffe Octocrylen, Oxybenzon und Octinoxat noch immer zugelassen, gelten aber als Korallen-Killer Nummer eins.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie neue Regeln in ihrer Ferienwohnung vorfinden. Neben der Mahnung, keine Hygieneartikel ins Klo zu werfen und die Nachtruhe ab 22 Uhr einzuhalten, wird künftig vielleicht auch stehen: „Bitte nicht mit Sonnencremematsche auf der Haut ins Bett legen“ oder auch schlicht: „Vor dem Schlafen duschen!“

Grundsätzlich ist es ja leider so, dass nicht nur das Klima, sondern auch der Massentourismus immer mehr aus dem Ruder läuft. Der Massentourismus ist die Schwerindustrie des 21. Jahrhunderts – es gibt kaum eine zutreffendere Aussage über unser Zeitalter als diesen Vergleich des italienischen Soziologen und Journalisten Marco d’Eramo. Dabei geht es nicht darum, Touristen anzuklagen, weil sie Touristen sind. Wir sind alle Touristen. Es geht darum, Staaten in die Verantwortung zu nehmen, den Tourismus, in den sie investieren, einzuhegen.

Kritisierten die Sex Pistols einst noch den Tourismus als „Urlaub im Elend anderer Leute“, sind heute die einstmals elenden Gesellschaften durch den Tourismus zu einigem Wohlstand gekommen. Der Tourist, der die Sehnsucht nach der „Befreiung von der industriellen Welt“ in den abgelegenen Naturschönheiten suchte, brachte ebenjene Industrialisierung dorthin, wo sie bisher noch gar nicht war. Daran ist nicht alles schlecht, auch Einheimische profitieren von Kanalisation, asphaltierten Straßen, Mieteinnahmen und Jobs.

Hitzetote überall

In den 60er Jahren räumten die Familien ihre Wohnungen, zogen für den Sommer in die Garage oder unters Dach. Heute hat dieses Konzept weltweit die Städte erobert und heißt Airbnb. Ob Berlin, Ibiza oder Apulien – wir sind nicht nur alle Touristen, wir sind inzwischen auch alle Opfer des Tourismus.

Zu den bekannten Folgen des Overtourism, die ganze Städte in den Kollaps treiben, kommt nun auch noch die Klimakatastrophe und fordert ihre Opfer unter Urlaubern. Mindestens sechs Hitzetote in den letzten 2 Wochen in Griechenland und etwa 1.000 Tote beim Pilgerausflug in Mekka.

Es ist leicht, sich über Touristen lustig zu machen, die sich überschätzen, sich ungeduscht ins Bett legen und alles sowieso immer besser wissen als die Einheimischen. Zwar ist das meiste richtig, vor allem Letzteres: Die Fensterläden im Süden sind nicht etwa aus pittoresken Gründen tagsüber geschlossen, sondern weil sie effektiv Hitze in den Wohnungen abhalten. Dass der Tourist die Läden immer sperrangelweit offen stehen lässt, weil er die Aussicht aufs Meer genießen will, kann man ihm einfach nicht ausreden – und dann klagt er über Kopfweh. Er will nicht akzeptieren, dass die Natur doch stärker ist als der Mensch. Auch wenn das ein paar Jahrzehnte lang anders aussah.

Strandurlaub wird ein Winterspaß

Und dennoch: Staaten oder Gemeinden, die Massentourismus fördern, tragen auch eine Verantwortung für den Schutz ihrer Gäste. Warnschilder vor Hitze in touristischen Regionen müssen genauso zur Regel werden wie Warnschilder vor steilen Klippen, gefährlichen Buchten oder die Bikini-Verbote-Piktogramme an heiligen Stätten. Speziell für die besonders gefährdete Gefährdergruppe der Männer über 50 sollten sichtbare Anzeigetafeln installiert werden: nicht allein loswandern, nicht in Badelatschen, nicht in der Mittagshitze, nicht mit wenig Wasser. Oder auch solche: „Achtung, Achtung! Die Natur ist stärker als Sie. Auch wenn Sie sich immer noch wie 20 fühlen: Sie sind es nicht – und es würde Ihnen auch nichts helfen­.“

Nicht nur die Natur zeigt ihre Krallen. Auch die Menschen beginnen sich zu wehren. Vergangene Woche besetzten Einheimische auf Mallorca die als Instagram-Bucht bekannte Caló d’es Moro, um gegen den Massentourismus zu protestieren; und im türkischen Ephesos vertrieben hunderte Einheimische die Gäste eines Kreuzfahrtschiffs aus der antiken Ruine.

Fest steht: Der Tourismus wird sich grundlegend ändern, und zwar schnell. Der Strandurlaub wird bestenfalls ein Winterspaß. Der Sommer wird zu der Saison werden, in der wir uns alle zu Hause einschließen, Brettspiele spielen und die sonnencremebefleckte Bettwäsche aussortieren.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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