Bremen verbietet Betteln in Außengastro: Cappuccino ohne Elend
Bremens rot-grün-rote Koalition verbietet Bettlern das Ansprechen von Gästen in der Außengastronomie. Nur passives Betteln bleibt erlaubt.
Missbräuchliche Formen des Bettelns minderten die Aufenthaltsqualität für Bürger wie Besucher, heißt in einem Gesetzentwurf des rot-grün-roten Senats, auf dem der Beschluss der Stadtbürgerschaft fußt. Sie wirkten sich nicht nur auf den Wohlfühlcharakter der Stadt, sondern auch auf die touristischen Betriebe sowie „das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen“ aus.
Bürgerschaft und Stadtbürgerschaft überschneiden sich in dem Zwei-Städte-Land. Die meisten Abgeordneten gehören sowohl dem Landtag als auch dem Kommunalparlament an. In beiden herrscht eine rot-grün-rote Mehrheit.
Unter aufdringlichem und aggressivem Betteln versteht der Gesetzentwurf neben dem Betteln im Freien auch das Betteln in Bussen und Bahnen sowie das Sichhinsetzen oder -stellen auf dem Gehweg. Unzulässig ist es demnach, Personen aufdringlich anzusprechen, zu beschimpfen, zu verfolgen, an der Kleidung zu ziehen oder von Passant zu Passant zu gehen. Stilles, passives Betteln, etwa mit einem Schild, sei dagegen „grundsätzlich zu tolerieren“, heißt es in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf.
Senat verweist auf Beschwerden aus der Bevölkerung
Der Senat begründet seine Initiative damit, dass aufdringliche und aggressive Formen des Bettelns in den vergangenen Jahren in Bremen deutlich zugenommen hätten, wie Polizei und Ordnungsdienst festgestellt hätten. Zudem häuften sich Beschwerden aus der Bevölkerung. Solche seien vielfach an Regierungsfraktionen herangetragen worden, sagt Michael Labetzke von der grünen Bürgerschaftsfraktion. „Allein auf dem Weg vom Bahnhof zur Bürgerschaft werde ich ein- bis zweimal angesprochen“, sagt Labetzke. Es gehe lediglich darum, übermäßiges Betteln einzudämmen.
Die SPD-Fraktion äußerte sich am Mittwoch nicht. Die Abgeordneten seien zu sehr durch die laufende Bürgerschaftssitzung in Beschlag genommen. Auch die Linksfraktion ließ eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.
Der Grünen-Abgeordnete Labetzke erinnert der taz gegenüber an die schwierige wirtschaftliche Lage der Gastronomie. Wenn jemand eine Konzession bezahle, um Tische und Stühle draußen aufstellen zu dürfen, nehme er das Hausrecht wahr. Das Gesetz stellt es den Wirten frei, Betteln zu erlauben.
„Aus unserer Sicht sind die neuen Regelungen nicht zu Ende gedacht“, sagt Anke Mirsch vom Verein für Innere Mission Bremen. Die Menschen würden trotzdem betteln, weil sie darauf angewiesen seien oder sich andere Strategien ausdenken, auf die dann wieder reagiert werden müsse. Wenn Betteln bestraft werde, sei das ein hoher und unsinniger Aufwand, weil die Menschen die Strafe in der Regel nicht bezahlen könnten. Stattdessen sollten den Menschen Alternativen wie niederschwellige Jobs angeboten werden.
Das rot-grün-rote Bündnis habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, versichert der Abgeordnete Labetzke. Im Übrigen müsse die jetzige Regelung ja nicht das Ende bedeuten. „Wir gucken uns das erst mal an und schauen, wie es wirkt.“
Gesellschaft für Freiheitsrechte will klagen
Möglicherweise werden die Bremer Verfassungsorgane dies nicht allein entscheiden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat angekündigt, gegen das Bettelverbot in Hamburger Bussen und Bahnen zu klagen. „Betteln ist grundrechtlich geschützt und ein Verbot kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass Fahrgästen die Konfrontation mit prekären Lebensverhältnissen erspart werden soll“, sagte Mareile Dedekind von der GGF der taz. Das gelte insbesondere, wenn ein Verbot auch stilles Betteln einschließe. Dieses ist in Bremen zwar erlaubt, aber nicht straßenbahntypisch.
In Hamburg weist die Hochbahn seit dem 22. Mai verstärkt auf die Einhaltung ihrer Beförderungsbedingungen hin, zu denen neben einem Verbot, die Schuhe auf die Sitze zu legen oder zu rauchen, auch ein Bettel- und Musizierverbot gehört.
Mehr Bußgelder in Hamburg
Anfragen der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft haben ergeben, dass jährlich insgesamt fünfstellige Bußgelder in U- und S-Bahnen verhängt werden. Im Jahr 2020 wurden 1.240 Bußgelder verhängt und damit 49.640 Euro eingenommen. Im gesamten Jahr haben sich 139 Fahrgäste beschwert. Ein Einzelbußgeld beträgt 40 Euro. Nach einem Rückgang 2021, 2022 stieg die Summe der verhängten Bußgelder 2023 auf knapp 69.000 Euro stark an. Im ersten Halbjahr 2024 waren es schon 53.000 Euro.
„Betteln ist Ausdruck einer extremen Notlage“, sagt Olga Fritzsche von der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Wer hier mit Bußgeldern vorgeht, nimmt das Geld von den Falschen“, sagt Fritzsche. Außerdem sei doch längst bekannt, dass Verdrängung keine sozialen Probleme löse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt