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Denkmal für Sinti und Roma zerstörtDie Entwürdigung hört nicht auf

Es steht noch kein Jahr. Nun wurde ein Mahnmal für Sinti und Roma in Flensburg geschändet. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund.

Für das Gedenken an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma wurde lange gekämpft (Symbolbild) Foto: Matthias Bein/dpa

Rendsburg taz | Das Steinpflaster auf dem kleinen Platz ist aufgerissen. Die Metallstele, die dort stand, liegt viele Meter entfernt hinter der Turnhalle der Freien Waldorfschule Flensburg. In der Nacht zu Mittwoch wurde die Stele gewaltsam aus dem Boden geholt und von ihrem Platz entfernt. Das Mahnmal erinnert an Sinti und Roma aus Flensburg, die während der NS-Zeit deportiert und getötet wurden. Die Polizei ermittelt, die Abteilung für Staatsschutz ist eingeschaltet. Es ist nicht der erste Fall einer solchen Schändung in Schleswig-Holstein: Vor einigen Wochen wurde in Neumünster Müll neben dem dortigen Mahnmal für ermordete Sinti und Roma abgeladen.

„Kürzlich fand eine Solidar-Aktion in Neumünster statt, ich stand mit der Jesidin Sahar Alias vor dem Mahnmal – und heute hören wir die schreckliche Nachricht aus Flensburg“, sagt Kelly Laubinger, Vorsitzende der Sinti-Union Schleswig-Holstein. „Als Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden bin ich unfassbar traurig und wütend. Ich frage mich, wann die Entwürdigungen unserer Menschen endlich aufhört.“

Die Stele in Flensburg wurde im September 2023 errichtet. Auf dem heutigen Gelände der Waldorfschule standen in den 1930er-Jahren Baracken. Dorthin mussten die in der Stadt ansässigen Sinti ziehen. Die Menschen hausten dort „unter erbärmlichen, menschenunwürdigen Bedingungen“, so die Waldorflehrerin Constanze Hafner. Sie gehört zum Projektteam, das sich für den Bau der Stele und des runden Platzes als Gedenkort einsetzte.

Die Sinti-Familien verbrachten mehrere Jahre auf dem Gelände am Rand der Stadt. 1940 wurden sie mit einem großen Transport aus Schleswig-Holstein ins Zwangsarbeitslager Belzec im deutschen „Generalgouvernement“ deportiert, viele starben. Auf der Stele sind 44 Namen eingraviert. Darunter ist Platz gelassen, falls im Lauf der Forschungen weitere Personen bekannt werden. Dazu befasst sich der Antiziganismus-Forscher Sebastian Lotto-Kusche, Historiker der Universität Flensburg, mit regionalen Aspekten der Verfolgung von Sinti und Roma.

Als Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden bin ich unfassbar traurig und wütend

Kelly Laubinger, Vorsitzende der Sinti-Union Schleswig-Holstein

Doch an diesen Forschungen gibt es Kritik, berichtet Achim Langer. Der Kunsterzieher und Künstler gestaltete den Gedenk­ort und ist Mitglied der Projektgruppe. „Als wir die Pläne zum Mahnmal öffentlich machten, erhielten wir eine Mail: Die Forschungsergebnisse seien falsch, die Geschichte vom Umgang mit den städtischen Sinti und Roma stimme nicht.“ Doch trotz solcher – unwahrerer – Äußerungen habe er nie mit einem Gewaltakt gegen das Mahnmal gerechnet, sagt Langer: „Vielleicht ein Graffiti, aber nicht so eine Tat.“

Schü­le­r:in­nen hatten am Mittwochmorgen gesehen, dass die Stele aus ihrer Verankerung gerissen worden war. Dem Augenschein nach sei mehr als eine Person beteiligt gewesen, um die schwere Stele vom Platz zu rücken. „Eine politische Tat“, davon ist Langer überzeugt: „Metalldiebe hätten sie auf einen Lastwagen gehoben, nicht hinter der Halle abgelegt.“

Auch die Polizei sieht einen „politisch motivierten Tathintergrund“, das Fachkommissariat für Staatsschutz hat daher die Ermittlungen aufgenommen und sucht nach Zeug:innen. Kelly Laubinger von der Sinti-Union ist froh darüber: „Gut, dass es ernst genommen wird.“

Auch Flensburgs Oberbürgermeister Fabian Geyer setzt darauf, dass die Polizei rasch Ergebnisse findet: „So mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus umzugehen, ist verwerflich. Mich schmerzt besonders, dass hier eine großartige Initiative aus dem Kreis von Schülerinnen und Schülern so rücksichtslos mit Füßen getreten wird“, sagt der parteilose Verwaltungschef.

Seine Vorgängerin Simone Lange (SPD) ist Schirmherrin des Mahnmal-Projekts. Auch sie sei geschockt und sprachlos gewesen, als sie von der Tat erfuhr, sagt sie der taz. „Aber es ist wichtig, dass wir schnell die Sprache wiederfinden und uns nicht beirren lassen.“ Besonders wichtig sei die Zivilcourage: „Wenn jemand in der Kneipe ausländerfeindliche Lieder gröhlt oder dumme Sprüche macht, sollte jede und jeder von uns sich dagegen verwahren.“ Gerade in dieser Zeit, in der nur noch wenige Überlebende des NS-Terrors berichten können, „müssen wir die Erinnerungsarbeit leisten, jetzt noch mehr als vorher“.

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