Wehrdienst in Deutschland: Per Fragebogen zu mehr Soldaten

Bundesverteidigungsminister Pistorius will ab 2025 einen „Auswahlwehrdienst“ einführen. Das erste Ziel: 15.000 neue Wehrdienstleistende jährlich.

Wehrpflichtige bei Übung.

Einer der letzten Jahrgänge vor Aussetzung der Wehrpflicht: Geländeübung mit G36-Gewehr in Torgelow 2011 Foto: Thomas Koehler/photothek/imago

BERLIN taz | „Auswahlwehrdienst“ nennt Boris Pistorius sein neues Modell, um der Bundeswehr mehr Nachwuchs zuzuführen. Am Mittwoch präsentierte der sozialdemokratische Bundesverteidigungsminister zunächst im Verteidigungsauschuss, dann in der Bundespressekonferenz seine Pläne, die im Herbst ins Kabinett eingebracht sein und bis zum Frühjahr 2025 den Bundestag passiert haben sollen.

Das von Pistorius vorgestellte Konzept sieht vor, dass alle Frauen und Männer beim Erreichen des wehrdienstfähigen Alters, also zum vollendeten 18. Lebensjahr, von der Bundeswehr angeschrieben werden. Während die jungen Frauen den Brief ungeöffnet in den Papierkorb befördern können, sind die rund 400.000 Männer des jeweiligen Jahrgangs gesetzlich verpflichtet, den Fragebögen auszufüllen und zurückzusenden.

Auf der Grundlage der Antworten trifft die Bundeswehr dann die Entscheidung darüber, wer zur Musterung eingeladen wird. Dieser Einladung zu folgen ist für Männer ebenfalls verpflichtend. Aus dem Kreis der bis zu 50.000 Gemusterten sollen anschließend „die Geeignetsten und Motiviertesten“ ausgewählt werden, um entweder einen sechsmonatigen Grundwehrdienst abzuleisten oder sich für bis zu insgesamt 23 Monate zu verpflichten.

2011 hatte der Bundestag mit einer Mehrheit aus Union, FDP und Grünen sowie gegen die Stimmen der SPD und der Linkspartei die Wehrpflicht für Männer ausgesetzt. Stattdessen gibt es neben dem vorherrschenden Berufssoldatentum seither nur noch einen freiwilligen Wehrdienst sowohl für Männer als auch für Frauen ab 17 Jahren. Der stößt jedoch nicht auf ausreichende Resonanz, um den Personalbedarf zu decken. Derzeit melden sich um die 10.000 freiwillig, wobei die Abbrecherquote hoch ist.

Orientierung am „schwedischen Modell“

Ziel des neuen Modells ist es, ab 2025 insgesamt 15.000 Wehrdienstleistende jährlich auszubilden, wobei sich die Zahl schrittweise erhöhen soll – Jahr für Jahr um gut 3.000. Das hat mit der angestrebten Vergrößerung der Bundeswehr zu tun, die von derzeit knapp 181.000 Sol­da­t:in­nen bis 2031 auf 203.000 aktive Sol­da­t:in­nen anwachsen soll. Zusätzlich sollen 260.000 Re­ser­vis­t:in­nen kommen, die im Verteidigungsfall mobilisiert werden können.

Minister Boris Pistorius.

Will mehr junge Menschen in die Bundeswehr holen: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Foto: Nadja Wohlleben/reuters

Mit seinem rund 1,4 Milliarden Euro teuren Vorschlag orientiert sich Pistorius stark am „schwedischen Modell“. Im Gegensatz zu Schweden, das 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt hat, verzichtet er allerdings aus pragmatischen Gründen auf Geschlechtergerechtigkeit. Denn eine wie auch immer geartete Wehrpflicht für Frauen würde eine Grundgesetzänderung erfordern – bei der sich Pistorius nicht sicher sein kann, dass sie in dieser Legislaturperiode zustande käme.

Mit der gleichen Begründung soll es vorerst auch keine allgemeine Dienstpflicht geben, die alternativ nichtmilitärisch zum Beispiel in sozialen Einrichtungen abgeleistet werden könnte. Sowohl in der SPD als auch in der Union gibt es hierfür starke Be­für­wor­te­r:in­nen, auch Pistorius selbst. Bei Grünen und FDP gibt es dagegen jedoch starke Widerstände.

„Wehrpflicht durch die Hintertür“

Auch die jetzt vorgelegten abgespeckten Pläne stoßen in der Regierungskoalition nicht auf ungeteilte Begeisterung. „Die von Pistorius vorgeschlagene Musterungspflicht für Männer ist eine Rückkehr zur Wehrpflicht durch die Hintertür“, kritisierte die grüne Bundestagsabgeordnete Milla Fester. „Junge Menschen jetzt zum Dienst an der Waffe verpflichten zu wollen wäre ein tiefer Eingriff in ihr Leben“, sagte sie der taz. Gerne könnten junge Menschen mit einem Brief zu mehr Engagement für die Gesellschaft motiviert werden. Aber: „Ein Zwang kann nicht die Lösung sein.“

Von der oppositionellen Linkspartei kommt ebenfalls Kritik. „Die Wehrpflicht zu reaktivieren, um Personal für die ausgerufene Zeitenwende zu rekrutieren, lehnen wir strikt ab“, sagte Parteichefin Janine Wissler der taz. „Die Wehrpflicht ist ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert, deren vollständige Abschaffung überfällig wäre.“

Pistorius geht davon aus, dass sich mit seinem Vorschlag „mühe­los“ ausreichend Re­kru­t:in­nen auf freiwilliger Basis finden lassen. Aber was ist, wenn das nicht gelingt? Das „schwedische Modell“ sieht für diesen Fall Zwangsrekrutierungen vor. Das könne der Minister für Deutschland „nicht ausschließen“, sagte er. „Dann müssen wir auch über eine verpflichtende Option nachdenken.“

Von einer „Salamitaktik hin zu einer neuen, allgemeinen Wehrpflicht“ sprach Michael Schulze von Glaßer, der Geschäftsführer der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ DFG-VK. „Pistorius will bei dem Thema die Grenzen des mit der Ampelregierung Machbaren ausreizen und bereitet damit schon mal weitergehende Schritte für eine nächste Bundesregierung vor“, sagte Schulze von Glaßer der taz. „Wir werden uns den jeweiligen Fragebogen ansehen und jungen Menschen den Lösungsweg präsentieren, damit sie nicht zur Zwangsmusterung und am Ende zur Armee müssen“, kündigte er an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.