Conny Frischauf und der Austropop: Stille und ihre Überwindung
Genießen und schweigen. „Kenne Keine Töne“, das neue Album der Wiener Künstlerin Conny Frischauf, entwirft einen Austropop 2.0.
Über das zweite Album der österreichischen Künstlerin und Musikerin Conny Frischauf, es wird beim Hamburger Label Bureau B erscheinen, kann man nicht reden, ohne auch vom Schweigen zu sprechen. Denn das stellt sich sogleich beim Titel des Albums mit der an Koketterie grenzenden Formulierung „Kenne Keine Töne“ ein.
Nun hat die ernste Musik der späten Moderne – zu nennen wären hier zuvorderst John Cage und seine „Schüler*innen“ – glücklicherweise gezeigt, dass auch in der Abwesenheit von Tönen durchaus kulturell geprägte Werke entstehen können, Stichwort Ambient.
Conny Frischauf: „Kenne Keine Töne“ erscheint am 28.6.2024 bei Bureau B/Indigo.
Unterdessen erscheint es uns kontraintuitiv, dass eine Wiener Künstlerin auftaucht, fidel bimmelt und von sich dennoch behauptet, keine Töne zu kennen. Dass ihr neues Album dann auch noch 16 Stücke in die Waagschale wirft, wirkt da gleich wie Eulenspiegelei. Aber „Kenne Keine Töne“ ist kein Werk einer Blödelbardin, sondern das Produkt eines jahrelangen Ringens mit Musikmachen, Hörerlebnissen und Stille.
Die auditive Sensation, deren höchste Form eben die Musik ist, wird bei Conny Frischauf zu einem umkämpften Ort. Zugegeben, von dieser Härte erst mal keine Spur: „Düfte“, Auftakt des Albums, kommt als avantgardistisch-alpiner Popsong daher, gesungen mit einem feinen, leicht dialektgefärbten Zungenschlag.
Anklänge an Falco
Auch in den impressionistischen Setzungen der Synthesizer und Sampler erinnert Frischauf hier an die großen achtziger Jahre. Damals, als der Austropop eines Falco die geschmackliche Spitze der deutschsprachigen Musik darstellte.
Danach setzt Conny Frischauf mit „Wunder“ und „Bisschen Träumen“ zwei Instrumentals, die beide so klingen, als könnten sie aus der Feder der Kraut-Heroen Cluster stammen. Ihre Sounds messen sich jedenfalls locker mit deren süß-verspieltesten Stücken.
Ihr eigenwillige Klangsignatur zeichnet sich ganz allgemein durch feenhafte Anschläge aus. Sie lässt Bassläufe auf Soundwirbel treffen und erinnern auf eigenwillige Weise an Titelmelodien tschechischer TV-Kinderserien aus den 1980ern.
Der Song „Röte“ hingegen wird dann von verschiedenen Spuren mit Blockflöten getragen. Töne über Töne, muss man bis zu diesem Punkt attestieren. Mit dem kurzen Zwischenspiel „M“ endet die erste Seite. In 53 Sekunden nähert sich Frischauf hier dem Wort „müssen“.
Tief Luftholen
Am Anfang steht ein lang gestrecktes Summen, ein „Mmmh“, in das sich die Anspannung der Stimmbänder einschreibt. Mit dem anschließenden Luftholen – wer summt, muss auch atmen – geht es über in ein sprachliches Vexierspiel. Wie muss man „müssen“ intonieren, damit es auch als „müssen“ bei den Empfänger*innen ankommt? Es ist ein kurzes, aber unerwartetes Experiment, das den Hörer*innen hier angeboten wird.
Wer daraufhin die Platte umdreht, hört erst mal – nichts. Die titelgebenden „Zwei Minuten“ erinnern nicht zufällig an den Großen Vorsitzenden Cage und seine legendäre Spielanweisung „4’33“. Wir lauschen, wie wir der Stille entgegentreten, ihr begegnen, beim ersten Mal erschrocken, bei jedem weiteren Zuhören dann abgeklärter. Für die Musikerin Frischauf scheint es hingegen, ja doch, eine Art selektiver Mutismus.
Das psychogene Verstummen, das exemplarisch als Symptom (oder Folge) von Autismus, aber auch von schweren Depressionen oder schizoaffektiven Erkrankungen auftritt, wird hier zur stilistischen Form. Wo die so wunderbar halb gelenke Stimme Frischaufs sonst an das von Klaus Theweleit behauptete Mutterradio erinnert – ein intuitives Trällern –, verstummt sie hier für lange zwei Minuten. Ist das ein Gimmick, ein kluger Schachzug, ein Witz? Von allem keinen Deut.
Die sonische Krise überwindet Frischauf mit der mächtig skurrilen Nummer „Adieu Araneus“: Ein Trompeten-Preset oder ein vergleichbares Effektgerät erzeugt ein Schaukeln und Schunkeln, es zaubert etwas Melancholisches, synthetisch Klingendes hervor.
Nähe zu Exotica-Sounds
Eine Nähe zum Moog-Enthusiasten und eigenbrötlerischem Bastler Mort Garson, dessen Exotica-Sounds in den letzten Jahren wiederentdeckt und -veröffentlicht wurden, wird nun offensichtlich.
Das setzt sich auch mit dem lockeren Schwof „Ballooooon“ fort. Erst danach findet Frischauf zurück zur Stimme, setzt sie nachgerade skeptisch ein; bis das Werk zum Finale in der Vignette „Nichts Nichts“ wieder der Sprachlosigkeit preisgegeben wird. A cappella textet die Wienerin: „Ich begreife nichts / Keinen Mond, keine Sterne, nichts / Kein Universum, keine Leere, nichts / Nichts, nichts“.
Vorsprachlich hangelt sich diese Skizze in Demoästhetik durch eine Handvoll Silben bis zum Ende. Kein Text, jedenfalls keiner, den wir als solchen erkennen können – „dededede…“.
Mit Conny Frischauf ist dem Hamburger Label Bureau B eine besondere, äußerst eigenwillige, ja verschwenderisch talentierte Künstlerin ins Haus geflattert. Man mag sich gar nicht ausdenken, was sie auf kommenden Alben noch alles im Köcher hat. Bis dahin genießen wir „Kenne Keine Töne“ – und schweigen.
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