Aus dem Knast nach Brüssel: Italienische Antifaschistin sitzt ein
Ilaria Salis ist in Budapest in Haft, weil sie Neonazis zusammengeschlagen haben soll. Sie kandidiert trotzdem für die Grün-Linke Allianz in Italien.
Angeklagt ist sie, weil sie, mit mehreren Mittäter*innen, drei Neonazis zusammengeschlagen haben soll. Jene Neonazis feierten damals den „Tag der Ehre“, an dem sie des Ausbruchsversuchs von mit Nazideutschland verbündeten ungarischen Truppen aus einem Kessel der Roten Armee im Jahr 1945 gedachten.
Für Salis – wie für andere Linke aus Ungarn und Europa – war das der Grund, in Budapest zu Gegendemos zu kommen. Jetzt drohen der 39-Jährigen bis zu 24 Jahre Haft. Von ihrem Schicksal hatte Italien ein Jahr lang nichts erfahren, bis Ende Januar 2024 ihr Prozess begann. Italien war von den TV-Bildern, die aus Budapest kamen, schockiert. Zu sehen war eine Angeklagte, an Händen und Füßen gefesselt, in den Gerichtssaal geführt an einer Leine. Schockierend waren auch ihre Haftbedingungen: die verdreckte Zelle, Mäuse, Kakerlaken und Bettwanzen, schier ungenießbares Essen.
„Politik von unten“
Eine Welle der Solidarität ging durch Italiens Linke, die auch die Parteien ergriff. Gleich zwei wollten Salis umgehend als EP-Kandidatin aufstellen, die gemäßigt linke Partito Democratico und die radikalere AVS. Der Hintergedanke: Einmal ins EP gewählt, müsste Salis von der ungarischen Justiz auf freien Fuß gesetzt werden. Dass sie sich dann für die AVS entschied, verwundert nicht. Sie ist zwar keine Anarchistin, wie es in der italienischen Presse mehrfach hieß.
Doch sie zählt sich zur „antagonistischen“ Linken. In den letzten Jahren war die Mailänder Lehrerin immer wieder bei militanten Aktionen gegen rechts aufgefallen, die sie wegen Delikten wie Widerstand gegen Staatsbeamte vor Gericht brachten. Sie bezeichnet sich als „antifaschistische Aktivistin“ und sagt: „Der Antifaschismus wird immer der Kompass bleiben, der mein Handeln leitet.“
Als EP-Kandidatin stellt die vor ihrer Verhaftung mit Zeitverträgen beschäftigte Lehrerin, „als junge Frau und prekär Beschäftigte“, den „Kampf für die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen“ in den Fokus. Schließlich sei sie „keine Berufspolitikerin“, sondern eine, die Politik immer „von unten“ gemacht habe. Ihre Kandidatur hat bereits Folgen: Im Mai räumte ihr das Gericht Hausarrest ein. Ob sie tatsächlich gewählt wird, hängt davon ab, wie gut die Grün-Linke Liste abschneidet, denn in Italien gilt die 4-Prozent-Hürde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung