Jörn Kabisch
Der Wirt
: Die Hoffnung auf den goldenen Herbst

Foto: Piero Chiussi

Es könnte ein gutes Jahr für Verjus werden. Das ist kein Wein, sondern der Saft unreifer Trauben. Viele der Rebstöcke hier in Unterfranken könnten am Ende des Sommers lediglich ein paar Früchte tragen, und die sind für die Vinifizierung zu sauer, aber genau richtig, um bei mir in der Küche als Essigersatz zu dienen. Verjus – Französisch für „grüner Saft“ – ist das wahrscheinlich älteste in Europa bekannte Säuerungsmittel, milder als Essig, sein Aroma komplexer und feiner als Zitronensaft.

Wenn ich gerade mit dem Hund durch die Landschaft spaziere, stoße ich auf die Vegetation von zwei Jahreszeiten. Da ist die frühsommerliche – das Gras auf den Wiesen hüfthoch, von blauen Kornblumen und knatschrotem Mohn durchsetzt, und während die Pfingstrosen langsam welken, setzt die Rosenblüte ein.

Gleichzeitig lässt sich noch ein vorsichtiger Frühling besichtigen. An unserem Apfelbaum habe ich kürzlich zwölf rosa Blüten gezählt. Die Walnussbäume, unter denen wir vor Wochen trockenes Laub geharkt haben, tragen zarte Blätter. Ebenso die Weinstöcke. Doch ihr Laub ist längst noch nicht wieder so üppig wie Mitte April, kurz bevor die Spätfröste heranzogen. Weil Wein und Obst wegen des warmen März schon so grün waren wie sonst Ende Mai, war der Kälteeinbruch verheerend.

Wobei der Frost nicht überall gleich gehaust hat. In den Weinbergen war faszinierend zu beobachten, in welchen Lagen besonders viele Triebe abgestorben sind und in welchen nicht. Am Fuß der Berge hatte es mehr Reben getroffen, die Kälte war in die Täler herabgefallen. Nur zehn, fünfzehn Höhenmeter weiter oben waren die Weinstöcke viel belaubter.

Auch windgeschützte Lagen hat es weniger getroffen, genau wie Parzellen, auf denen der Boden zwischen den Rebzeilen beackert und umgeworfen worden war. So konnte die schwarze Erde tagsüber mehr Hitze speichern als vom Rasen bedeckte Weingärten. Auch ältere Weinstöcke schienen mir frostresilienter. Zum Teil wechselte das Schadensbild alle zehn Meter.

Wenn man so deutlich sieht, was Temperatur und Witterung mit den Pflanzen anrichten, bekommt man auch eine Vorstellung, was umgekehrt Sonne, Regen und Hitze positiv und auf kleinstem Raum bewirken. Diese mikroklimatischen Eigenheiten sind – gemeinsam mit der wechselnden Bodenbeschaffenheit – das, was Winzer als Terroir bezeichnen und was dazu führt, dass Wein im Geschmack so divers ist wie kein anderes alkoholisches Getränk.

Jörn Kabisch hat einen Gasthof in Franken gepachtet. Über seine Erfahrungen schreibt er alle vier Wochen an dieser Stelle.

Die Winzer hier hoffen nun auf einen goldenen Herbst, der den Trauben noch eine späte Reife bringt. Falls es damit aber nichts wird, dann freue ich mich über viel Verjus.