Malen muss sie

In ihrem Film „Mit einem Tiger schlafen“ taucht die Regisseurin Anja Salomonowitz in die Welt der Malerin Maria Lassnig ein. Die wird sehr konzentriert gespielt von Birgit Minichmayr

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig    Foto: Arsenal Filmverleih

Von Katrin Bettina Müller

Oh, sie war kapriziös. Einmal läuft sie durch eine Ausstellung ihrer Bilder und schilt den Kurator und das ganze Team, sähen sie denn nicht, dass das nicht geht, das Licht zu gelb, die Bilder zu tief. Ja, die das gemacht haben, verständen wohl nichts von ihrer Kunst. Ein anderes Mal aber, da ist sie ausnahmsweise glücklich, wie ihre Werke gezeigt werden. Da ist sie schon recht alt, der Rücken krumm, die Brillengläser dick geworden. Ob sie jetzt ein Interview geben könnte? Maria Lassnig verweigert das und sagt, mehr so zu sich selbst: Jetzt ist sie glücklich. Interviews gibt sie nur, wenn sie deprimiert ist, das ist mehr ihr Leben.

Birgit Minichmayr spielt die österreichische Malerin Maria Lassnig mit einer Spur von wortkarger Selbstironie in dem Film „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz, die das Drehbuch schrieb und Regie führte. Einmal liegt Minich­mayr auf einer Couch unter einer Decke, nur das Gesicht schaut raus, die Augen angstvoll auf die Mutter gerichtet, die am Rand sitzt. Du packst jetzt dein Köfferchen und suchst dir eine neue Mutti, so ungefähr geht die Rede der Mutter (Johanna ­Orsini). Manchmal, wenn die Malerin in den Spiegel schaut, taucht die Mutter, die schon gestorben ist, hinter ihr auf. Manchmal ist ihr Porträt schemenhaft hinter einem Selbstporträt der Malerin zu sehen.

Die Szenen, mit denen Anja Salomonowitz von Maria Lassnig erzählt, sind oft nah an deren immer wieder eingeblendeten Gemälden gebaut. Auch der Filmtitel kommt von einem berühmten Bild Lassnigs.

Birgit Minichmayr spielt Maria Lassnig als Kind, als alte Frau, als Kunststudentin, als Einzelkämpferin in Paris, als Einsame in New York. Der Fluss der Zeit ist ausgehebelt, Erinnerungen sind so präsent wie die Gegenwart.

Der Film zeichnet das Bild einer Künstlerin als asoziales Wesen. Die Bilder sind ihre Kinder, mit Menschen kann sie weniger. Eine Frau muss dreimal so viel schuften wie ein Mann, nur weil sie eine Frau ist, sagt sie einmal zu einem Liebhaber und jüngeren Künstlerfreund, der karrieremäßig bald an ihr vorbeiziehen wird. Von der Kränkung, missverstanden und nicht beachtet zu werden, weiß der Film viel zu erzählen. Und auch vom Misstrauen der alt gewordenen Künstlerin, dass die Sammler, deren Interesse an ihr erst so beleidigend spät erwachte, sie nun bestehlen wollen.

Sympathisch zeichnet der Film seine Protagonistin nicht unbedingt, aber er lässt nach und nach ihre Schrulligkeiten und Verschrobenheit verstehen.

Maria Lassnig, 1919 in Kärnten auf dem Land geboren, 2014 mit 94 Jahren gestorben, musste lange auf Anerkennung und Erfolg warten. Das betont auch der Film, der sich aber vor allem auf Szenen mit ihr allein im Atelier fokussiert, ihre Forschung danach, Empfindungen, Gefühle, körperliche Zustände in Farben zu übersetzen, der Innenansicht des Körpers ein Bild zu geben. Ob man Schmerz wohl sehen kann, wenn man den Körper aufschneiden würde? Mit dieser Frage erschreckt sie ein Kind, das ihr nur ein Handtuch an die Badewanne bringen wollte.

Ob man Schmerz sehen kann, wenn man den Körper aufschneidet? Mit der Frage erschreckt sie ein Kind

Die Kostümbildnerin Tanja Hausner packt die Figur der Malerin in etwas obskure Pullover und Trainingsanzüge, die gängigen Mustern von Schönheit und Eleganz nicht gerade entsprechen, aber dafür wild mit den Farben spielen, die sie auf die Leinwand brachte. Viele Einstellungen sind lang und statisch. Die Regisseurin erzählt nicht chronologisch, aber verknüpft wiederkehrende Motive, wie das ambivalente Verhältnis zur Mutter und deren Macht oder die Erfahrung der Marginalisierung als Künstlerin.

Manchmal gelingt es der Regisseurin, an den Schalk und Humor anzuknüpfen, den Lassnig in ihren Bildern durchaus auch sehen lässt. Da steht die junge Malerin etwa allein mit ihren Arbeiten vor einer abrupt geschlossenen Ausstellung, die Freunde fahren davon und sie weiß nicht, wie sie das alles schleppen kann. Ameisen kommen ihr zur Hilfe und tragen ein Bild.

Oft haben Biopics zu Künstlerinnen einen Hang zur Verklärung, zum Basteln von Heldinnen, wie man sie jetzt als Role Model gerade brauchen kann. Diese verführerische Weiche nimmt Anja Salomonowitz nicht. Aber in der Sprödigkeit ihrer filmischen Erzählung, in der Nähe, die sie zu der Protagonistin hält, zu deren Wahrnehmungen, zu deren Anstrengungen, zieht sie den imaginären Raum auch eng. Man braucht schon etwas Geduld, dem etwas anstrengenden Film über seine ganze Länge zu folgen. Aber wer sich eh für Maria Lassnig oder Birgit Minichmayr oder sogar beide Österreicherinnen begeistern kann, bringt die wahrscheinlich mit.

„Mit einem Tiger schlafen“. Regie: Anja Salomonowitz. Mit Birgit Minichmayr, Johanna Orsini u. a. Österreich 2024, 107 Min.