Ausstellung zu Malerin Maria Lassnig: Mit dem Körper erkennen

Die österreichische Malerin Maria Lassnig übte extreme Selbstbefragung und untersuchte die eigenen Mittel. Das Kunstmuseum Bonn widmet ihr eine Schau.

Drei stilisierte Frauenkörper mit geöffnetem Mund vor gelbem Hintergrund.

Multiple Ich-Empfindungen malen: Maria Lassnig, 3 Arten zu sein (Ausschnitt) Foto: Maria Lassnig Stiftung/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Der Mund ist leicht geöffnet, aber will er wirklich zu uns sprechen? Es ist vielleicht eher ein Staunen, ein überraschtes Erkennen, unterwandert von Entsetzen und sogar Ekel, das sich in dieser auffordernden Miene ausdrückt und in den Selbstporträts von Maria Lassnig immer wiederkehrt. Ihr ganzes langes künstlerisches Schaffen malte die österreichische Künstlerin, die 2014 bald 95-jährig in Wien starb, mit unerbittlich scharfem Blick sich selbst.

Der geöffnete Mund ist nur eines ihrer Leitmotive, das variiert wiederkehrt. Ein anderes ist der das betrachtende Gegenüber (oder das eigene Spiegelbild?) unverwandt fixierende Blick. Oder die entschiedene Geste des Malens mit dem großen Pinsel, den sie wie ein Schwert schwingt. Und dann natürlich die eigene Nacktheit, schonungslos ausgestellt auch noch im hohen Alter.

Wie in dem späten Akt „Du oder ich“ von 2005, der das durchaus spektakuläre Plakatmotiv der Bonner Retrospektive ist. Da ist Lassnig bereits 86 Jahre alt, sie malt sich mit gespreizten Beinen, jenem geöffneten Mund, bohrendem Blick aus eisblauen Augen und mit kraftvoll expressivem Strich. Eine Pistole hält sie sich selbst an die Schläfe, die andere richtet sie auf das Gegenüber. Ein Selbstporträt, kraftvoll aufgeladen in der Frage nach und dem Konflikt mit dem Anderen.

Vierzig Arbeiten aus allen ihren Schaffensperioden zeigt das Kunstmuseum Bonn und verzichtet auf eine chronologische Hängung, sondern ordnet die Räume nach Themen, die untereinander verbunden sind. Die Anordnung ist so luftig, dass Lassnigs wuchtige Bilder auch atmen können.

„Maria Lassnig. Wach bleiben“. Kunstmuseum Bonn, bis 8. Mai

Kuratorin Stefanie Kreuzer bezeichnet die Dramaturgie der Ausstellung als „erkenntnis­theo­re­tischen Parcours“, an dessen Beginn sie bewusst das Thema Selbstporträt gesetzt hat. Diese Zentralachse von Lassnigs Werk ist zu verfolgen von einer frühen Arbeit von 1945 bis hin zu einem ihrer letzten Selbstporträts von 2010, vier Jahre vor ihrem Tod.

Imperativ an die Betrachtenden

Der Untertitel der Ausstellung („Wach bleiben“) ist durchaus ambigue gemeint, denn er bezeichnet Lassnigs intellektuelle Wachheit als Lebensmotto, das in Selbstauskünften gipfelt wie „Ich widerspreche mir lieber, als dass ich mich wiederhole“. Dieser Imperativ richtet sich aber auch an die Betrachtenden.

­„Körperbewusstseinsbilder“ hat die auch sprachmächtige Künstlerin – deren Selbstbefragungen in Form von ihren Gedichten auf Wandtexten zu lesen sind – ihre Ich-Erkundungen genannt. Ihre Frage: Was kann ich fühlen, wenn ich mich selbst wahrnehme? Eine dieser Befragungen nimmt die eigenen Füße in den Fokus, denn die sieht man eben zuerst, wenn man ohne Spiegel an sich selbst herabsieht.

Lassnig wollte aber nicht nur sehend den eigenen Empfindungen nachgehen und abbilden, was eben zu sehen ist, sondern dumpfe Empfindungen wie Druck und Schmerz verbildlichen, Farben finden für Angst, Enge, Verlorenheit. Das einzig wirklich reale waren ihr die Körperempfindungen.

Verweise auf die Kunstgeschichte

Dabei bleiben ihre Porträts meist skizzenhaft, oft fehlen etwa die Haare, ein anderes Mal tritt das Gehirn als zentrales Organ der Erkenntnis aus dem Kopf heraus („Dame mit Hirn“ aus den 1990er Jahren). Sie schließen zudem die Reflexion über die Mittel und insbesondere das Medium der Malerei mit ein, ebenso Verweise auf die Ikonografie der Kunstgeschichte. Wie etwa das Gemälde „Sanduhr“ von 2001, wo sie sich wiederum ohne Haare mit einer abgelaufenen Sanduhr in der Linken zeigt.

Oder das weitaus frühere, mit ungleich feinerem Strich gemalte „Selbstporträt mit Stab“ (1971), wo die Malerin selbst ausnahmsweise die Lippen zu­sam­menpresst. Hinter ihr die in Umrissen gemalte Mutter, die ihre Hände besitzergreifend auf die Schultern der Tochter legt. Die Malerin hält dabei einen Stab, der von Weitem aussieht, als habe er sie durchbohrt.

Maria Lassnigs Frage lautete: Was kann ich fühlen, wenn ich mich selbst wahrnehme?

Doch tatsächlich hält sie, aus der Nähe betrachtet, beide Teile des Stabs vor dem Körper in scheinbar sicherer Distanz. Bricht hier jemand den Stab über den anderen, oder ist das ein Hinweis auf das Motiv des von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian der christlichen Ikonografie?

Neben dem zentralen Thema der Selbstporträts widmet sich die Schau auch den teils in verstörender Weise dargestellten multiplen Ich-Empfindungen, wie etwa in dem Bild „3 Arten zu sein“, das ein weibliches Ich einmal vollständig, dann ohne Arme und mit einem Schweinsrüssel zeigt. Darüber hinaus sind viele Malereien zu sehen, die das Körperempfinden ins Abstrakte sublimieren. Hinzu kommen ausgewählte Zeichnungen sowie eine Filmarbeit aus New York, wo sie sich einige Jahre aufhielt. Eine konzentrierte Schau, die eine radikale Künstlerin würdigt.

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