Proteste gegen die WHO: Feindbild „Weltelite“

Verschwörungsideologen weltweit laufen Sturm gegen die Weltgesundheitsorganisation. Gegen die Bedrohung scheint die Weltgemeinschaft nahezu machtlos.

Logo der Weltgesundheitsorganisation am Hauptsitz der WHO in Genf

Hauptsitz der Weltgesundheitsorganisation in Genf, Schweiz Foto: Lian Yi/imago

Kurz nachdem die ersten Eilmeldungen zum Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico eingehen, melden sie sich in den sozialen Netzwerken. Die Tat ereigne sich „nur wenige Tage, nachdem Fico das globale Pandemieabkommen der WHO offiziell und öffentlich abgelehnt hatte“, postet der „Verschwörungsrealist“, wie er sich nennt, mit dem X-Account Concerned Citizen. Die rechte republikanische US-Kongressabgeordnete und Q-Anon-Anhängerin Marjorie Taylor Greene springt auf, unterstützt diese Theorie. Befeuert wird der Zusammenhang zwischen Attentat und WHO-Pandemieabkommen von Portalen aus dem Verschwörungsmilieu, etwa Redacted oder infowars, die sich in Videos dazu äußern.

Vieles bleibt in der Argumentation vage, nur der Verdacht wird geschürt, dass „eine Weltelite“ sogar zu solchen Taten fähig ist. Denn für nichts Geringeres soll das Pandemieabkommen stehen: für Repression, Unterdrückung, das Ende der Selbstbestimmtheit und das Ergreifen der Weltherrschaft durch einen kleinen Kreis. Tausende folgen solchen Accounts, auch Tech-Gigant Elon Musk witterte bereits im vergangenen Jahr eine Gefahr für souveräne Staaten. Beweise liefert jedoch niemand.

Es bleibt nicht nur bei vermeintlich wirren Posts in der digitalen Welt. Bei einer Demo der Abkommensgegner Ende April im schweizerischen Bern gingen rund hundert Menschen auf die Straße. Unterstützung für ihren Protest gegen die WHO, Nato und UN bekamen sie aus Ungarn oder Bulgarien – aus dem rechtsextremistischen, pro-russischen Milieu. Auch in Deutschland deuten Rechtsextreme das Abkommen, das die globalisierte Welt künftig vor Pandemien besser schützen soll, für ihre Zwecke um. Im Bundestag machte sich die AfD das Thema zu eigen und wollte über einen Antrag im Plenum das Parlament dazu bringen, dem Abkommen nicht zuzustimmen. Der Antrag hatte wenig überraschend keinen Erfolg, doch die Redebeiträge der Abgeordneten tauchen immer wieder im Zusammenhang mit Debatten zum Abkommen auf.

„Die Coronapandemie war für die extreme Rechte und insbesondere ihren verschwörungsideologisch geprägten Teil ein großer Mobilisierungsfaktor“, sagt Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Das WHO-Abkommen an sich und der Protest dagegen sollen für neuen Auftrieb sorgen. Und die angepeilte Vereinbarung der Mitgliedstaaten passt in eine gemeinsame Strategie. Die Weltgesundheitsorganisation ist wie so viele andere Staatengemeinschaften ein Feindbild. „Gesellschaftliche Thematiken werden nicht kritisch diskutiert, sondern über Feindbilder findet eine Dämonisierung statt, die sich in verschiedenen Themenbereichen niederschlagen kann“, sagt Lamberty.

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Feindbilder sind nicht nur Organisa­tio­nen, sondern auch konkrete Personen, die für die vermeintliche „Diktatur“ stehen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gehört dazu, sollte sogar entführt werden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist ebenfalls häufiges Angriffsziel, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ebenso. Und natürlich Wissenschaftler:innen. „Je stärker die Bedrohungslage für die Wissenschaft wird, desto höher die Hürden für die Wissenschaftskommunikation“, resümiert Sozialpsychologin Lamberty. Dabei sorgen genau die Personen, die aufklären, dafür, dass wir besser durch Pandemien und Krisen kommen.

Der Spin der Weltverschwörer ist alles andere als harmlos. Auch die WHO reagierte und fühlte sich im neuen Entwurf genötigt, klarzustellen, dass die Souveränität und die freie Entscheidung der Staaten durch das Abkommen nicht infrage gestellt werden. In der Plenardebatte im Bundestag wurde von allen demokratischen Parteien mit Enthusiasmus betont, welcher Fortschritt hinter der Vereinbarung steckt – das alles, um Druck aus den gegnerischen Behauptungen zu nehmen.

In den sozialen Medien verbreitet sich Desinformation schnell und unberechenbar. Viel Hoffnung liegt nun auf dem Digital Services Act (DSA), der schärfere Maßnahmen gegen Hetze auf digitalen Plattformen vorsieht. Allerdings ist auch dieser kein Selbstläufer. Laut Bundesinnenministerium und BKA hat seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine das Ausmaß an Desinformation zugenommen. In der heißen Phase zur Abstimmung des WHO-Abkommens werden die Verschwörer erneut zur Hochform auflaufen.

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