Antifaschismus in der Ukraine: Ein Problem für die Zukunft

Seit Russlands Überfall, hilft Serhii Movchan Linken an der Front. Er fürchtet die Rechtsextremen, die kampferfahren aus dem Krieg zurückkommen.

Serhii Movchan

Rechercheur und Drohnenbastler: Serhii Movchan in der Werkstatt seines Projekts Marker Foto: Nicholas Potter

KYJIW taz | Serhii Movchan ist überzeugter Antifaschist, seit Jahren recherchiert er zur extremen Rechten in der Ukraine. Doch dann überfiel am 24. Februar 2022 Putin das Land mit dem zynischen Grund, es „entnazifizieren“ zu wollen. Die Propagandamaschinerie des Kremls läuft seitdem auf Hochtouren, vermeintliche und tatsächliche Nazis zu finden.

Ein großes Problem für den 38-jährigen Kyjiwer mit verflochtenem Rattenschwanz und schwarzem Hoody. Denn das, was er zu sagen hat, will so gut wie niemand in der Ukrai­ne mehr hören. „Putin will dieses antifaschistische Narrativ monopolisieren“, sagt Movchan fast resigniert. „Und ihm ist es zu verdanken, dass Antifaschismus hier nun verpönt wird – und der Nationalismus normalisiert.“

Movchan sitzt im Büro von „Marker“, der kleinen antifaschistischen Organisation, die er 2019 mitgegründet hat. Die Räume im Altbau in der Kyjiwer Innenstadt teilt Marker mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, von der allerdings seit dem russischen Überfall so gut wie niemand hier mehr hier ist.

Auch die Arbeit von Marker hat sich in den vergangen zwei Jahren stark geändert. Das Büro sieht heute eher aus wie ein militärischer Lagerraum als ein linkes Recherchezentrum: Überall stehen Kisten voller Schutzwesten, Tourniquets und Helmen. Alles Spenden für seine Freunde an der Front, erklärt Movchan. Auf einem Schrank stehen Mörserhülsen als Dekostücke, in der Ecke ein leerer Behälter für eine Antipanzerrakete. „Ich habe mir das nie ausgesucht, dass unser Büro jetzt voll mit Kriegssachen ist“, sagt er. „Aber das ist nun mal unsere Realität.“

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Trotz Nazis kein Nazistaat

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sei rechtsextreme Gewalt auf der Straße stark zurückgegangen, erklärt Movchan. Eben diese Gewalt dokumentierte Marker in den vergangenen Jahren in Berichten: 177 „Konfrontationen und Gewalttaten“ durch Rechts­ex­tre­me erfasste das Projekt etwa zwischen Januar und Dezember 2021. Besonders die prorussische Opposition, aber auch Feminist*innen, LGBTQ*-Personen, Linke und ethnische Minderheiten wurden immer wieder zur Zielscheibe von Nazis. „Das ist zwar alarmierend, macht uns aber nicht zu einem Nazistaat, wie Putin absurderweise behauptet.“

Vor allem die berüchtigte Asow-Brigade, gegründet von dem ukrainischen Neonazi Andrij Bilezkyj, sorgte seit seiner Gründung 2014 immer wieder für internationale Schlagzeilen. Mitglieder der Brigade nutzen bis heute einschlägige Symbole der rechtsextremen Szene: Totenköpfe, schwarze Sonnen, Wolfsangel. Für Putins Propaganda ein gefundenes Fressen.

Inzwischen ist Asow längst in die Nationalgarde der Ukrai­ne eingegliedert worden. „Sie haben sich professionalisiert“, so Mov­chan. Und die Brigade, die 2022 das belagerte Stahlwerk in Mariupol monatelang verteidigte, gilt in den Augen vieler Ukrai­ne­r*in­nen als Helden, Hunderte von ihnen sind bis heute noch Kriegsgefangene der Russen. In Kyjiw prangen überall Graffiti, Transparente oder Werbung mit dem Logo und Namen von Asow. Rechtsextreme tummeln sich weiterhin in ihren Reihen, sagt Movchan.

Als gefährlicher sieht er heute jedoch andere Bataillone. Viele verwenden das Asow-Label, einige von ihnen gehören inzwischen der „3. Sturmbrigade“ der ukrainischen Armee an – kommandiert vom Andrej Bilezkyj höchstpersönlich, der 2016 Asow verlassen hat. „Er kann sich dadurch politisch sehr profilieren“, warnt Movchan. Bilezkyj saß zwischen 2014 und 2019 im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada. Doch seine Partei Nationales Korps konnte bislang keine Wahlerfolge erzielen. Der Krieg stärke aber derzeit Bilezkyjs Image als Politiker, so Movchan.

Veränderte Prioritäten

Doch viele der extremsten Neonazis in diesem Krieg sind Russen – sie kämpfen auf beiden Seiten. Das „Russische Freiwilligenkorps“ aufseiten der Ukrai­ne, besteht aus Exilrussen wie Denis Kapustin, auch Nikitin benannt, der in der rechtsextremen Kampfsportszene vernetzt ist.

Auf russischer Seite dürfte die bekannteste rechtsextreme Gruppe „Russitsch“ sein, ein neonazistisches Paramilitär, das durch seine besondere Brutalität in Foltervideos auffällt. „Die ganze Ideologie hinter dieser Invasion ist rechtsextrem“, sagt Movchan. „Die russische Propaganda basiert auf einer im­peria­lis­ti­schen, ultranationalistischen Weltanschauung.“ Der russische Staat habe für ihn faschistische Züge.

Den rechten Rand behält Movchan weiterhin im Blick. Doch Marker veröffentlicht zurzeit nichts: „Wir sind still geworden.“ Recherchen teilt Marker nur mit einem kleinen Kreis von Ak­ti­vis­t*in­nen und For­sche­r*in­nen. „Das ist weiterhin wichtig. Aber heute ist die extreme Rechte nicht unser Haupt­pro­blem, nicht mal unser zweitgrößtes“, sagt er. „Aber es ist ein Problem für die Zukunft.“

Die eigentliche Priorität liegt auf der Hand: Putins brutaler Krieg fordert immer mehr Menschenleben, auch Zivilisten. In den besetzten Gebieten gibt es unzählige Berichte von Folter, Vergewaltigungen und Entführungen. Ukrainische Städte werden zu Trümmerhaufen bombardiert.

Hilfe für linke Kämpfer

„Russland ist nach wie vor die größte Bedrohung für die Ukrai­ne“, sagt Movchan. Er zeigt auf die fünf eingerahmten Fotos, die hinter ihm über dem Kamin stehen. „Das sind unsere Genossen, die an der Front gefallen sind“, erklärt er. Sie seien internationale Freiwilligen, Anarchisten aus Großbritannien, Russland, Irland und den USA.

Antiautoritäre Linke hätten nach der Invasion zunächst eine eigene Einheit gegründet, inzwischen kämpfen sie in unterschiedlichen Bataillonen – manchmal mit Nazis. „Im Moment ist Russland der Feind, das vereint uns auf eine skurrile Art und Weise“, sagt er.

Seit dem 24. Februar 2022 hat Movchan es zu seiner Hauptaufgabe gemacht, linke Kämpfer an der Front ehrenamtlich unterstützen. Er gründete zu diesem Zweck „Solidarity Collectives“ mit, ein „antiautoritäres Freiwilligennetzwerk“, wie er sagt. Rund 70 Soldaten unterstützt das Netzwerk zurzeit – Gewerkschafter, Antifaschisten, Anarchisten. „Denn wenn man an der Front schlechte Stiefel hat, kann man den Beinen Tschüss sagen.“

Laut der Webseite spendete das Netzwerk bislang 5 Autos, 5 Drohnen, 20 Helme, 30 Körperpanzerungen, 30 Funkgeräte und 50 Sanitätskästen. Die beste Ausrüstung werde sofort an die Front geschickt, erklärt Movchan, der Rest erst mal im Büro von Marker sortiert.

Ein Krieg der Nerds

Im Nebenraum befindet sich eine Werkstatt mit Lupen und Lötkolben. Die Bauanleitungen für Drohnen findet man auf Youtube, erklärt Movchan, aber auch der ukrainische Staat stelle welche zur Verfügung. „Die hier werden Kamikazedrohnen“, sagt er grinsend und zeigt auf kleine Maschinen.

„Die Armee befestigt den Sprengstoff darauf, und dann boom.“ Mit der Hand deutet er eine Explosion an. Neulich hätten sie auch eine abgefangene russische Stördrohne repariert, die nun von der ukrainischen Armee eingesetzt wird. „Das ist ein Krieg der Nerds“, sagt Movchan grinsend.

Als er beginnt, über die Zukunft der Ukraine zu sprechen, wird Movchan wieder ernst. Er hat Angst, dass Rechts­ex­tre­me nicht nur mit Waffen und Kampf­er­fah­rung von der Front zurückkehren werden, sondern auch mit politischen Ambitionen – und einem hohen Ansehen in der ukrainischen Gesellschaft. „Die Zukunft der Ukraine wird von einem ideologischen Wettbewerb stark geprägt sein, zwischen liberalen und sehr konservativen Werten“, sagt Movchan. „Und das könnte eine große Gefahr für die Gesellschaft werden.“

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