Kommunalwahl in Thüringen: Verfassungs­feinde auf Wahlzetteln

In Thüringen tritt Neonazi Tommy Frenck bei der Landratswahl in Hildburghausen an, offiziell zugelassen. Wie wehrhaft ist die Demokratie im Kommunalen?

Der Neonazi Tommy Frenck beim Rechtsrockkonzert "Rock gegen Überfremdung"

Ist trotz Verfassungsfeindlichkeit bei der Kommunalwahl wählbar: Neonazi Tommy Frenck Foto: imago

HILDBURGHAUSEN/BERLIN taz | Neulich gab es in Hildburghausen mal wieder Grund zum Feiern. Gemeinsam hatten Bürgerinnen und Bürger einen Spielplatz aus dem Boden ihrer Kreisstadt gestampft und so bei einem Verschönerungswettbewerb des MDR gewonnen. Der Sender spendierte zur Belohnung eine Schlagerparty auf dem Marktplatz: Semino Rossi, Karat oder Olaf von den Flippers, sie alle kamen in den Süden Thüringens. Und das Zentrum Hildburghausens war proppevoll.

Allerdings hatte die Feier­szenerie einen Schönheitsfehler, jedenfalls wenn man ihn sehen wollte: Von den Lichtmasten aus allen Ecken des Marktplatzes strahlte das Gesicht von Tommy Frenck, einem bundesweit bekannten Neonazi, mit dem Schlagerpublikum um die Wette. Auch im Fernsehen waren seine Wahlplakate gut zu erkennen.

Am Sonntag finden in Thüringen Kommunalwahlen statt. In Städten, Gemeinde und Landkreisen werden an diesem Tag die lokalen Parlamente neu besetzt, auch die meisten Oberbürgermeister und Landräte stehen zur Wahl. In Hildburghausen ist dabei vor allem einer präsent: Die Plakate mit dem grinsenden Gesicht von Tommy Frenck oder die seiner rechtsextremen Wählergemeinschaft „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) sind im Kleinstadtbild an vielen Ecken auf beklemmende Weise dominant. Während die Wahl des ersten AfD-Landrates im benachbarten Landkreis Sonneberg im vergangenen Jahr eine Schockwelle in Deutschland auslöste, diskutiert man in Hildburghausen nun sogar ernsthaft, ob es dort ein Neonazi zumindest in die Stichwahl schaffen könnte. Andere dagegen fragen sich, warum man Frencks Kandidatur nicht bereits im Vorfeld unterbunden hat.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Auch wenn es auf kommunaler Ebene für gewöhnlich keine Wahlumfragen gibt, ist das mit der Stichwahl-Prognose nicht weit hergeholt. Bei der vergangenen Landratswahl im Jahr 2018 holte Frenck bereits aus dem Nichts knapp 17 Prozent. Der amtierende CDU-Landrat, der die Wahl damals im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewann, darf dieses Jahr altersbedingt nicht erneut antreten, die Karten werden also neu gemischt. Umso mehr, als die AfD, die bei der vergangenen Bundestagswahl mit knapp 29 Prozent die meisten Stimmen im Landkreis errang, gar nicht erst ins Rennen mit einsteigt. Man habe keinen Kandidaten finden können, sagte die Partei der lokalen Presse.

Schnitzel für 8,88 Euro

Dass Frenck es tatsächlich in die Stichwahl schafft, hält auch Thomas Jakob für „realistisch“, der SPD-Kreisvorsitzende und Sprecher vom Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra. Der Verein gründete sich 2015 als zivilgesellschaftlicher Gegenpol, kurz nachdem Frenck einen Gasthof im Dorf Kloster Veßra gekauft hatte. Bis heute betreibt er diesen unter den Namen „Goldener Löwe“ als Gastwirt. Es ist ein Pilgerort für die rechte Szene Deutschlands.

Vor der Wahlzulassung von Frenck hatte das Bündnis von Thomas Jakob zusammen mit dem Kampagnennetzwerk Campact erfolgreich eine Petition initiiert, die den bisherigen Landrat aufforderte, dem Kreiswahlausschuss Verfassungsschutzinformationen auszuhändigen, um eine „sachgerechte“ Entscheidung über die Kandidatur des 37-Jährigen zu ermöglichen. Mehr als 8.000 Unterschriften kamen zusammen.

Tatsächlich erhielt der Wahlausschuss am Ende ein siebenseitiges Dossier, es wurde den Mitgliedern allerdings erst kurz vor der Abstimmung in der öffentlichen Sitzung überreicht. Am Ende setzte sich der Ausschuss mit drei zu zwei Stimmen über die Bedenken hinweg. „Erschrocken“ über das Ergebnis sei er gewesen, sagt Bernd Ahnicke. Der 77-jährige Rentner sitzt im Hildburghäuser Kreisvorstand der Linken und stimmte im Wahlausschuss gegen Frenck. Das grüne Licht für die Kandidatur durch zwei CDU-Leute plus den Kreiswahlleiter kann sich Ahnicke nur damit erklären, dass diese immer noch „nicht gewusst haben, wen sie vor sich haben“.

Selbst von außen betrachtet ist das kaum zu glauben. Immer wieder sorgte Frenck auch überregional für Schlagzeilen, sei es als Veranstalter des größten Rechtsrock-Festivals in Deutschland oder weil er im „Goldenen Löwen“ am Geburtstag von Adolf Hitler seine Schnitzel für 8,88 Euro verkaufte – die 88 ist ein Szenecode für „Heil Hitler“, bezogen auf den achten Buchstaben des Alphabets. Aus seinem rassistischen Weltbild macht Frenck keinen Hehl, an seinem Hals prangt in Großbuchstaben ein „Aryan“-Tattoo. In seinem Versandhandel, den er zusätzlich betreibt, bietet er neben szenetypischer Kleidung und Stichwaffen auch Ku-Klux-Klan-Kuscheltiere an. Mitunter wirkt es wie eine schlechte Nazi-Persiflage, um Aufmerksamkeit zu generieren.

„Ich habe die Sorge, dass längst eine Gewöhnung im Landkreis eingetreten ist“, sagt Thomas Jakob. Frenck sitzt seit den vergangenen Kommunalwahlen bereits im Kreistag, ohne dort groß in Szene getreten zu sein. Der Thüringer Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht 2022 zu Frenck, dass dieser sich „überwiegend als Regionalpolitiker, Unternehmer, Gastwirt und Wohltäter“ präsentiert. Jakobs Eindruck ist: „Viele hier denken: Na ja, so ist er halt, der Tommy.“ Für ihn hätte Frenck nicht zur Wahl zugelassen werden dürfen. Jakob verweist auf einen Passus im Thüringer Kommunalwahlgesetz, der es Kandidaten verbietet, Landrat zu werden, wenn sie nicht für die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung eintreten. „Es geht halt nicht.“

Ist der Wahlausschuss das richtige Gremium?

Sven Gregor von den Freien Wählern, der in Hildburghausen als Mitfavorit für den neuen Landratsposten gilt, betont einen anderen Punkt: Er halte es für verkehrt, so eine Entscheidung einem ehrenamtlichen Gremium auf kommunaler Ebene aufzubürden. „Hier sitzen die Leute in einer öffentlichen Sitzung und stehen hinterher mit ihren Namen in der Zeitung.“

Michael Brenner, Professor für Verwaltungs- und Verfassungsrecht an der Universität Jena

„Unsere Gesellschaft ist abwehrbereit gegenüber Verfassungs­feinden“

Dass die Präsenz von Frenck während der Sitzung des Wahlausschusses manchen der Beisitzer nervös gemacht haben könnte, mag auch der Linke Bernd Ahnicke nicht ausschließen. Oder die Befürchtung, dass Frenck gegen die Entscheidung klagen würde und die Wahl später wiederholt werden müsste.

Doch wie sollte eine Demokratie mit offensichtlichen Verfassungsfeinden umgehen? Fragt man das Michael Brenner, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Jena, hat er eine klare Antwort: „Sie sollte Extremisten die zulässigen und verfassungsmäßigen Zähne zeigen.“ Dazu gehörten auch Nichtzulassungen bei Wahlen, so Brenner. „Beschränkungen des Wahlrechts sind durchaus zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des öffentlichen Wohls gefordert sind.“ Dabei genüge es aber nicht, dass sich jemand kritisch zur Gesellschaftsordnung äußert oder zu einer rechtsextremen Partei gehört. „Da muss sehr viel hinzukommen.“

Brenner plädiert für genaue Prüfungen der Wahlzulassungen. Der Wahlausschuss könne das unter den aktuellen Umständen tatsächlich nur oberflächlich leisten. Bei einer schnellen Prüfung während der Sitzung durch die Beigeordneten könnten diese nur bei „belegten und ganz massiven Vorwürfen der Verfassungswidrigkeit eingreifen“, sagt Brenner. Wehren sich ausgeschlossene Kan­da­ta­t:in­nen juristisch, sei der Zeitdruck hoch – etwa um die Fristen für das Drucken der Wahlzettel einzuhalten. Und woran die Verfassungsfeindlichkeit konkret festgemacht werden soll, formuliert das Gesetz nicht.

Diskussion auch um Zulassung von Thüringer AfD-Chef

Das führt auch bei anderen Thüringer Kandidaten zu Diskussionen. So etwa in Erfurt. Dort tritt der AfD-Politiker Stefan Möller für den Oberbürgermeisterposten an. Wie in Hildburghausen gab es im Wahlausschuss drei Stimmen für und zwei gegen ihn. Möller ist neben Björn Höcke der zweite Landesvorsitzende der AfD Thüringen, sitzt ebenfalls im Landtag und ist Vorsitzender der Erfurter AfD-Stadtratsfraktion. Und wie Frenck taucht auch Möller im aktuellen Verfassungsschutzbericht auf.

Das dürfte dem Erfurter Wahlausschuss bekannt gewesen sein. Dem hatte der Thüringer Verfassungsschutz 36 Seiten seiner Erkenntnisse zu Möller geliefert. Die grüne Innenpolitikerin Madeleine Henfling kritisiert auch deshalb die Zulassung Möllers: „Wenn der Verfassungsschutz 36 Seiten liefert, steht da nicht drin, dass Herr Möller nichts gemacht hat.“

Am Ende war im Erfurter Wahlausschuss entscheidend, dass auch der Beigeordnete der SPD für Möller stimmte. Linke und CDU stimmten dagegen. Auf Instagram verteidigt der SPD-Stadtverband die Entscheidung: Ein möglicher Rechtsstreit hätte zugunsten der AfD ausgehen können. So habe die SPD verhindert, dass die AfD „sich selbst als vermeintliches Opfer staatlicher Willkür“ darstellen konnte. Unter dem Post sammelte sich Kritik, selbst aus der eigenen Partei.

Mittlerweile hat die SPD Erfurt den Beitrag gelöscht. In einem neuen argumentiert sie, dass allein die Zugehörigkeit zu einer rechtsextremen Partei nicht genüge. Dem hält Stephan Kramer, Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen und selbst SPD-Mitglied, von seinem privaten Account ent­gegen: „Der Kandidat wird schon im Verfassungsschutzbericht 2021 namentlich im Kapitel Rechtsextremismus erwähnt. Wenn das nicht für den Nachweis der ‚individuellen Verfassungsfeindlichkeit‘ reicht, was dann?“

Könnte Möller nun Ober­bürgermeister der Landeshauptstadt werden? Zwar bekam der 49-Jährige als AfD-Kandidat bei der vergangenen Wahl in Erfurt nur 14 Prozent. Aber in diesem Jahr, in dem die AfD bei rund 30 Prozent in Umfragen für die Landtagswahl liegt, könnte es besser für ihn ausgehen.

Doch selbst wenn Ex­tre­mis­t:in­nen gewählt würden, könne sich der Rechtsstaat noch gegen sie verteidigen, beruhigt Verwaltungsrechtler Brenner. „Unsere Gesellschaft ist durchaus abwehrbereit gegenüber Verfassungsfeinden.“ Als gewählte politische Beamte sind Bür­ger­meis­te­r:in­nen und Landräte ebenfalls an die Verfassung gebunden. Nach ihrer Wahl kann die Verwaltung sie einem „Demokratie-Check“ unterziehen. Fallen sie durch, muss neu gewählt werden. Im Zweifel sei das der rechtssichere Weg, sagt Brenner. Anders als beim Wahlausschuss stünde das weniger unter Zeitdruck und ermögliche mehr Ressourcen.

Zu einer Normalisierung trage der Weg trotzdem bei, warnt die Grüne Madeleine Henfling. Die Verfassungsfeinde könnten so schon im Wahlkampf ihre Propaganda und Ideologie verbreiten – wie derzeit Tommy Frenck mit seinen Plakaten in Hildburg­hausen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Veranstaltung zur Frage, was in diesem Wahljahr auf dem Spiel steht. Vor Ort in Erfurt, Chemnitz und Cottbus. Alle Infos und Anmeldung: taz.de/panterforen

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.