Schwedendemokraten auf Social Media: Stimmungsmache via Trollfabrik
Die Schwedendemokraten nutzen offenbar systematisch soziale Netzwerke, um Hetze zu verbreiten. Die Partei wiegelt ab und sieht sich als Opfer.
Zuerst erklärte Parteichef Jimmy Åkesson die Schwedendemokraten zum Opfer einer „gigantischen Manipulierungsaktion des gesamten linksliberalen Establishments“. Dann lenkte er ein und verharmloste den Fall. Selbst aus der Pressekonferenz von Ministerpräsident Ulf Kristersson (Die Moderaten) und Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Schweden-Visite war der „Trollfabrik“-Skandal die einzige Schlagzeile: „Das sind ernste Vorwürfe“, sagte Kristersson. Die Schwedendemokraten müssten sich erklären. Solche anonymen Konten könnten gefährlich sein. Seine Koalition mit Christdemokraten und Liberalen hatte sich nach der Wahl 2022 vom Wohlwollen der Schwedendemokraten abhängig gemacht, um ihre Politik durchsetzen zu können.
Kalla fakta spricht von mindestens 23 Konten, denen man eine direkte Verbindung zur Kommunikationsabteilung der Partei habe nachweisen können, unter anderem das Facebook-Konto Politiskt inkorrekt mit 86.000 Followern. Dort wird unter anderem diskreditierendes Material über andere Parteien sowie rassistische Hetze verbreitet. „Da sitzen ein paar Computernerds in der Kommunikationsabteilung und machen satirische Videos, ich sehe da keinen Skandal“, spielte Åkesson dies herunter. In Undercover-Aufnahmen ist zu hören, dass die Partei von ihrer „Trollfabrik“ spricht und davon, wie man junge Leute in sozialen Medien „auf die richtige Gedankenspur bringt“. „Skandalös“ fand Åkesson nur das Vorgehen des Kalla-fakta-Journalisten.
Verhaltenskodex wurde abgeschmettert
Nach einem Krisentreffen am Donnerstag versuchte man sich zunächst in vorsichtiger Entwarnung: SD habe versprochen, 45 Posts, die gegen die drei Regierungsparteien selbst gerichtet waren, zu löschen, und habe sich für sie entschuldigt, das sei doch schon etwas, hieß es. Bei den Liberalen, die parteiintern am meisten über die SD-Abhängigkeit streiten, brodelt es weiterhin. Sie fordern ein Gesetz gegen anonyme Social-Media-Propaganda.
Nach dem jüngsten Krisentreffen am Montag war zunächst die Rede von einem Verhaltenskodex, den alle Parteien unterschreiben sollten. Darin sollten alle Abstand von Fake-Konten in sozialen Medien, Gewaltaufrufen und irreführenden Inhalten nehmen. Eine „ausgestreckte Hand“ nannte Liberalen-Generalsekretär Jakob Olofsgård den Vorschlag. Doch die Schwedendemokraten bleiben dabei: Sie wollen ihre Trollkonten behalten, wie sie erneut bekräftigten. Man wolle schließlich seine politische Botschaft unters Volk bringen, für jedes gelöschte Konto werde man ein neues eröffnen.
Aus den Oppositionsparteien von Zentrum bis ganz links kommen nun empörte bis wütende Reaktionen: Grenzen seien überschritten worden, man habe davor gewarnt, mit dieser Partei zusammenzuarbeiten. Vertreter*innen von Grünen und Sozialdemokraten forderten zuletzt eine stärkere Reaktion von Kristersson: Es sei Zeit, dem Verhalten der Schwedendemokraten einen Riegel vorzuschieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung