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Israel und der IStGHVon „Spiegel“ bis „Pleite“

Dass der IStGH-Chefankläger gegen Netanjahu vorgeht, spaltet Israel. Der Premier spricht von Antisemitismus, Linke begrüßen die Entscheidung.

Unter Druck: Israels Verteidigungsminister Gallant und Regierungschef Netanjahu

Jerusalem taz | Joseph Kony, Muammar al-Gaddafi, Wladimir Putin – zu dieser Riege der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Gesuchten könnten bald auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant gehören. Am Montag hat der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, Haftbefehle für die beiden israelischen Politiker sowie für drei führende Köpfe der Hamas – Jahja Sinwar, Ismael Haniyeh und Muhammad Deif – beantragt.

Der Shitstorm in Israel ließ nicht lange auf sich warten: Khan geselle sich mit seiner Entscheidung zu den größten Antisemiten der modernen Zeit, erklärte Netanjahu in einem Videostatement. Auch Benny Gantz – eine gemäßigtere Stimme in der israelischen Regierung und Kritiker Netanjahus – nannte Khans Entscheidung eine „moralische Pleite“.

Außenminister Israel Katz erklärte, die Entscheidung sei ein „direkter Angriff“ auf die Opfer des 7. Oktober und die Geiseln, die noch immer in Gaza festgehalten werden. Er habe sein Ministerium sofort instruiert, eine „Kommadozentrale“ zu bilden, die gegen die Entscheidung vorgehen solle, so Katz.

Netanjahu habe jahrelang alle Warnungen ignoriert, schreibt Haaretz

Oppositionsführer Jair Lapid wählte hingegen einen eher pragmatischen Ansatz. Im Radio der israelischen Armee erklärte er am Dienstag: Nun sei für Netanjahu der Zeitpunkt gekommen, sich um Normalisierung mit Saudi-Arabien zu bemühen und einem Pfad zu einem palästinensischen Staat zuzustimmen. Der IStGH werde „keinen Ministerpräsidenten verfolgen, der inmitten eines historischen Friedensprozesses ist“.

Die Gleichstellung zweier israelischer Politiker mit Führern der Hamas sei zwar ärgerlich, schreibt die linke Zeitung Haaretz. Doch Netanjahu selbst habe strategische Fehler begangen, die ihn nun in diese Situation gebracht hätten. Er habe jahrelang alle Warnungen ignoriert, und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern befeuert. Dass es nun soweit sei, dass ihm wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht werden könnte, müsse jeden Israeli beunruhigen.

Hadash sieht sich bestätigt

Deutliche Kritik an Netanjahu und Gallant sowie Zustimmung für das Vorgehen des IStGH kommt aus dem linken politischen Spektrum: Auf dem sozialen Netzwerk X erklärte Hadash, ein Listenverbund sozialistischer Parteien, der mit mehreren Abgeordneten in der Knesset vertreten ist: Die Entscheidung des Chefanklägers sei eine Botschaft an Israel.

Es könne nicht länger „auf seinem Pfad – Gewalt, Besatzung, Töten und Zerstörung – weitergehen“, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. Auf Anfrage der taz erklärte Hadash weiter: Der IStGH sei „nichts als ein Spiegel“. Die israelische Gesellschaft müsse „hineinblicken und sich fragen: Sind wir bereit, weiterhin ein Komplize dieser Verbrechen zu sein?“

Israel scheint gespalten: Während das Vorgehen des IStGH auch einige scharfe Kritiker Netanjahus zu dessen Verteidigung eilen lässt, sehen andere bestätigt, wovor sie seit Langem warnen: dass Netanjahu und seine Verbündeten mit ihrem harten Vorgehen gegen die Palästinenser – ob man das nun als Verbrechen bewerten möchte oder nicht – ihr Land weiter und weiter in einen diplomatischen Abgrund reißen.

Noch sind die Haftbefehle aber nicht ausgestellt: Der Antrag von Chefankläger Karim Khan ist der erste konkrete Schritt, um ein IStGH-Verfahren in Gang zu bringen. Über deren Ausstellung muss die ­Vorverfahrenskammer des Gerichts entscheiden. Sollten die Richter zustimmen, wären alle Vertragsstaaten des IStGH – darunter Deutschland – verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen.

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12 Kommentare

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  • Keine Kumpanei mit linken Antisemit:innen!



    keinekumpanei.noblogs.org/

  • Was hat die Verfolgung von Kriegsverbrechen mit Antisemitismus zu tun, lieber Kim Hawkins?



    Israel hat mindestens 1 Kriegsverbrechen selbst zugegeben: die Erschiessung von 2 jungen Männern, die mit freiem Oberkörper und erhobenen Händen aus einem Haus kamen, unbewaffnet.



    Noch Fragen?

  • Wenn Gantz die Entscheidung eine "moralische Pleite" nennt, dann kann er damit nur auf das Versagen seiner Regierung anspielen.

    Haim Rubinstein, der ehemalige Sprecher und heutiger Berater der Interessenvertretung Angehöriger der durch die Hamas verschleppten Geiseln, erklärte erst vor wenigen Tagen, es habe sehr früh (9./10. Oktober) eine Offerte der Hamas gegeben, alle Geiseln sofort wieder frei zu lassen, wenn Israel im Gegenzug auf einen Einmarsch in den Gaza verzichten würde. Dieses Angebot sei jedoch von Netanjahu zurückgewiesen worden. Die Befreiung und Unversehrtheit der Geiseln spielte in den Überlegungen und Planspielen also offenbar nie eine tragende Rolle, obwohl das gegenüber der Weltöffentlichkeit und den Verbündeten immer wieder als einer der Hauptgründe für die seit sieben Monaten andauernde Offensive mit rund 40.000 Toten, größtenteils Frauen und Kindern, betont wurde.

  • Sich an Völkerrecht, Menschenrecht, Recht im Kriege zu halten ist weder rechts noch links, es ist einfach rechtmäßig.

    Das ist allgemein und universal einzufordern, egal welche Religion, Sympathiepunkte, ... jemand hat.



    Die universale Geltung von Recht ist durch Völkerrecht und -strafrecht wie die Nürnberger Prozesse erst gestärkt worden. Ja, und wir können gleichzeitig die Untaten der Hamas verfolgen _und die von Netanyahu, ohne sie gleichzusetzen.



    Es ist etwas energieaufwendiger, doch eigentlich auch einfach zu verstehen.

  • Bemerkenswert ist, dass erst jetzt der Haftbefehl gegen die Hamas Terroristen beantragt wird. Hätte ja auch schon vor ein paar Wochen oder letztes Jahr passieren können. Und warum nur die drei Führer der Hamas? Auf den Videos sind ein Haufen Terroristen und "unschuldige Zivilisten" zu sehen, wie sie sich am Genozid des 7. Oktobers beteiligen. Niemand Identifiziert? Alle tot? Mal bei Israel nachgefragt? Ein Hauptgrund für den Haftbefehl gegen Netanjahu ist das "Aushungern von Zivilisten". Gibt es konkrete Zahlen? Belege, dass Netanjahu und Gallant schuld sind? Während die Hamas offensichtlich genug zu essen hat, Hilfskonvois plündert und die Reste zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt verkauft?

  • Kein Massen- und Serienmörder hört das Morden auf, weil er nicht bestraft wird. Die Haftanträge vom Chefankläger des IStGH, Karim Khan u.a. Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant zu verhaften und dem IStGH vorzuführen, sind richtig und wichtig.

    Hierzu schreibt die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney in einem Text, den sie auf der Website der Clooney Foundation for Justice veröffentlichte, der Menschenrechtsorganisation, die sie gemeinsam mit ihrem Mann George Clooney gegründet hat.



    Sie und weitere Völkerrechtsexpertinnen und -experten hätten ihre Empfehlung an Chefankläger Karim Khan einstimmig beschlossen.



    »Ich habe in diesem Gremium mitgewirkt, weil ich an die Rechtsstaatlichkeit und die Notwendigkeit glaube, das Leben von Zivilisten zu schützen«, schreibt Clooney:



    »Das Recht, das Zivilisten im Krieg schützt, wurde vor mehr als 100 Jahren entwickelt und gilt in jedem Land der Welt, unabhängig von den Gründen für einen Konflikt.«

    Dem ist nichts hinzu zufügen.

  • Die feuchten Träume der Antisemiten weltweit werden befeuert.

    Netanjahu und Sinwar im Knast, diese Fantasie erwärmt jedes Herz, dass in Israel das Übel schlechthin sieht.

    Die Grenzen des Sagbaren und Möglichen wird immer weiter ausgedehnt.

    Heute noch undenkbar, morgen möglich, übermorgen Realität.

    Mal gespannt, was als nächstes kommt.

    • @Jim Hawkins:

      Antisemitismus ist eine Seuche, deren Ende wir leider beide nicht mehr erleben werden.



      Zu ihrer Bekämpfung gehört es dabei sicher _nicht, einem bestimmten Regierungsschef alles durchgehen zu lassen.

    • @Jim Hawkins:

      Na ja noch ist es ja nicht so weit, das Gericht muss noch entscheiden, es bleibt also Hoffnung für die Rechtsextremisten hier und in Israel, dass Bibi ein weiteres Mal seiner gerechten Strafe entgeht, wie er es seit Jahren tut.



      Also wirklich, undenkbar, dass ein Kriegsverbrecher tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird.



      Diejenigen übrigens, die "in Israel das Übel schlechthin" sehen sind genauso wütend wie Sie, die können auch nicht nachvollziehen, dass der Kriegsverbrecher Sinwar verfolgt werden soll.

    • @Jim Hawkins:

      Interessant. Sie sind gut Hawkins. Ihre Aussage ist zwar nur eine von verschiedenen Perspektiven, aber sie ist richtig.



      Genau so richtig ist aber der Punkt, dass mit dem beantragen der Haftbefehle diejenigen Stimmen der jüdischen Israelischen Gesellschaft gestärkt werden, die sich seit langem gegen die Besatzung und für eine friedliche, konstruktive Koexistenz engagieren.

      Ebenso alle Jüdinnen und Juden rund um den Globus, die sich gegen die Besatzung und für eine friedliche Koexistenz engagieren.

      Zu guter letzt nimmt er den Mahnenden Rat einer Holocaust Überlebenden auf. Ihre Worte sollten wir uns in Erinnerung rufen. Liebe besiegt Hass.

      Wir dämmen Antisemitismus nicht ein, indem wir mit Mistfackeln auf Schuldige losziehen. Wir dämmen in ein, wenn wir Jüdinnen und Juden als liebenswerte Mitmenschen betrachten und sie nicht permanent über ihre Religion und die Herkunft ihres Volkes definieren.

      Ich wünsche ihnen wirklich von Herzen einen schönen Tag.

    • @Jim Hawkins:

      Herr Hawkins, ich denke nicht, dass Ihre Aussage hier Anwendung findet. Es sollte mittlerweile als gesetzt gelten, dass Israels Führung einen untragbaren Kurs gewählt hat, der nur mehr Leid mit sich bringt. Dies durch einen internationalen Gerichtshof zu bestätigen kann in dieser Form nicht als antisemitisch gelten, oder wurde etwa die Religionszugehörigkeit oder Nationalitat als Grund dieses Urteils angegeben? Vertreibung, wahlloses Töten, Aushungern, das Vorenthalten humanitärer Hilfe und die Zerstörung ziviler Infrastruktur eignen sich hingegen als Anklagepunkte. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Der Begriff des Antisemitismus darf auf keinen Fall inflationär verwendet werden, um diesem die Bedeutung zu nehmen!

    • @Jim Hawkins:

      machen Sie sich keine Sorgen. Soweit Sie in unserem schönen Deutschland leben, ist Verlass auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung.



      Kein Grund zu Paranoia und zum Präventivangriff.