Rasierklingen-Falle im Wahlkampf: Hamburger SPD-Politiker verletzt
Als er umgeworfene Plakate wieder aufstellte, schnitt sich SPD-Politiker Olcay Aydik an einer verdeckten Rasierklinge. Nun ermittelt der Staatsschutz.
Er mag nicht so gern als Opfer in der Zeitung stehen, sagt der 26-jährige Jura-Doktorand. Von einem „Rasierklingen-Attentat“ zu schreiben, wie die Bild es tat, sei übertrieben. Trotzdem habe ihn der Vorfall sehr schockiert.
Es passierte am Sonntagmorgen. Die Holzstellschilder mit den Fotos der Bezirkskandidaten stehen schon seit einigen Wochen an Hamburgs Straßen, so auch an der Ecke Hammer Steindamm/Carl-Petersen-Straße im Wahlkreis Hamm, wo Aydik kandidiert. Doch bisher durfte damit nur für Veranstaltungen geworben werden, erst 30 Tage vor der Wahl sind direkte Wahlaufrufe erlaubt, das war vergangenen Freitag. Und da beginnt der Kampf um die guten Plätze.
Er habe in der Nacht gehört, dass zahlreiche Holzstellschilder von den Laternen abgerissen und ins Gebüsch geschmissen wurden, berichetet Aydik. Er sei morgens mit einem Team von acht ehrenamtlichen Helfern verabredet gewesen, um die SPD-Stellwände mit neuen Plakaten mit Wahlaufrufen zu überkleben.
Doch weil die sich verspäteten und die Plätze so wertvoll sind, habe er schon mal begonnen, ein weggeworfenes Doppelschild wieder aufzustellen. Als er anfasste, um es richtig in Position zu bringen, habe er mit der rechten Rückhand die Rückseite des zweiten Plakats berührt. „Als ich die Hand gelöst hab, tat es richtig weh“, sagt er. Er vermutete einen Holzspan. Doch als er die Rückseite betrachtete, sah er am Rand der Holzfläche eine mit Klebeband befestigte Rasierklinge.
Der Schnitt war nicht tief, sagt er. Drum ließ sich Aydik von einem Helfer aus seinem Team einen Verband mitbringen und setzte die Plakatierung fort. Gleich danach habe er die Polizei informiert. Zwei Beamte hätten sich dann die Plakatwand angeguckt und sie zur Spurensicherung mitgenommen. Die Klinge fanden sie vor Ort nicht, allerdings wurde laut Aydik auch nicht intensiv gesucht.
Doch seine Verletzung war dokumentiert. Wie ein Sprecher der Polizei erklärt, ermittelt nun der Staatsschutz wegen „gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung der Plakate“. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich um eine politisch motivierte Straftat handelt.
„Für jemanden, der noch nie Wahlkampf gemacht hat, klingt das extrem schlimm“, sagt Aydik. „Aber wir hatten solche Sachen schon mehrfach.“ Auf Plakate seien Sticker mit rechten Sprüchen geklebt worden, unter denen Rasierklingen kleben. „Deswegen machen wir die nur noch mit Spachtel ab.“
Die Stimmung beim Aufstellen der Plakate auf der Straße sei aber grundsätzlich sehr gut. „Es gibt auch Leute, die pöbeln. Aber die meisten Passanten sagen uns: ‚Es ist klasse, dass Sie das machen.‘“ Beides habe er in dem Ausmaß in den zehn Jahren davor noch nicht erlebt. Aydik trat mit 15 bei den Jusos ein und ist Vize-Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Hamm-Borgfelde.
Dass der Ton in diesem Wahlkampf rauer ist, sagt auch Manuel Preuten, Sprecher des SPD-Landesverbandes. Direkte Übergriffe wie in Dresden habe man Gott sei Dank noch nicht erlebt. „Aber Beschädigungen stellen wir schon im starken Maße fest.“
Bei Hamburgs Grünen gab es in diesem Wahlkampf „glücklicherweise bisher keine größeren Vorfälle“, wie die Landesvorsitzende Maryam Blumenthal sagt. Aber Beleidigungen und Drohungen gegen grüne Kandidierende und Wahlhelfende zum Beispiel an Infoständen seien „mittlerweile an der Tagesordnung“. Und wenngleich auch die Grünen viel Zuspruch erführen, würden auch bei ihnen Plakate „in großem Maße beschädigt und entfernt“.
Das berichtet auch Ralf Dorschel, Pressesprecher der Linken. Seine Partei hängte am Freitag zum Beispiel in Altona Plakate auf. „Von denen auf der Großen Bergstraße hängt heute kein einziges mehr, das nicht beschädigt ist.“ Auch an der Max-Brauer-Allee seien „etliche nicht mehr zu retten“. Das sei ärgerlich. So viel Geld habe man nicht, „dass wir die noch mal aufstellen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video