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Verkauf des TuntenhausesVielfalt braucht Subkultur

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Bis zur letzten Minute muss das Tuntenhaus in Berlin um seine Zukunft bangen. Dabei steht viel mehr auf dem Spiel als nur das queere Hausprojekt.

Un­ter­stüt­ze­r*in­nen protestieren seit Monaten für die Rettung des Tuntenhauses Foto: Soeren Stache/dpa

E s bleibt spannend bis zum Schluss: Bis Mittwoch hat der Käufer des Tuntenhauses in Prenzlauer Berg noch Zeit, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben. Damit steht und fällt die Zukunft des legendären queeren Hausprojekts.

Denn tut er es nicht, kann – und wird – der Bezirk das Vorkaufsrecht ziehen und das Tuntenhaus retten. Das bekräftigte Bausenator Christian Gaebler (SPD) am Dienstag. Unterschreibt der bayerische Investor jedoch die Vereinbarung, dass er auf teure Sanierung und die Umwandlung in Eigentumswohnungen verzichtet, könnte dies langfristig das Aus für das Tuntenhaus bedeuten.

Denn zum einen gilt eine solche Vereinbarung nur für einige Jahre und zum anderen bietet sie keinesfalls umfassenden Schutz vor Verdrängung. Denn dass bei Neuvermietung die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschritten werden darf, wäre für die Be­woh­ne­r*in­nen der kleinen Oase in der durchgentrifizierten Kastanienallee der Todesstoß.

„Wir wissen noch nicht, ob der Käufer die Abwendungsvereinbarung unterschreibt“, sagte Gaebler am Dienstag. Für die Be­woh­ne­r*in­nen heißt es also: bangen bis zur letzten Minute. Seit drei Monaten kämpfen sie mit ihren zahlreichen Un­ter­stüt­ze­r*in­nen­ für den Erhalt des queeren Projekts, das am 15. Februar verkauft wurde. Angesichts der attraktiven Lage in Prenzlauer Berg rechnet das Tuntenhaus ohne die Überführung in gemeinwohlorientierte Strukturen mit seiner Verdrängung.

Eine queere Oase in einem durchgentrifizierten Kiez

Aus Gründen: Wer die Gegend kennt, weiß, dass in den vergangenen Jahrzehnten allzu viele alternative und linke Projekte kapital­trächtigeren Nutzungsmöglichkeiten weichen mussten. Wo nach der Wende zahlreiche leerstehende Häuser besetzt wurden und Hausprojekte, Konzertlocations und nichtkommerzielle Kunsträume aus dem Boden schossen, sieht man heute nur noch schicke Boutiquen, hochpreisige Restaurants, unbezahlbare Eigentumswohnungen und einen überteuerten Weinladen nach dem anderen.

Kommerz statt Kreativität und bürgerliche Eintönigkeit statt bunter Vielfalt prägen heute den einst so lebendigen Kiez. „Kapitalismus tötet“ steht zu Recht auf der Hausfassade der Kastanienallee 86.

Noch gibt es einige wenige Ausnahmen. Wie das Tuntenhaus, mittlerweile das älteste queere Wohnprojekt Berlins. Menschen, die andernorts wegen ihrer Lebensweise, ihres Aussehens und/oder ihrer sexuellen Identität um ihre Sicherheit fürchten müssen, haben hier einen Safe Place, wo sie sein können, wie sie sind, und gegenseitige Unterstützung erfahren.

Es braucht Schutz vor renditehungrigen Investoren

Solche Orte werden immer wichtiger. Zum einen, weil das Kapital sich gnadenlos durch die subkulturelle Szene Berlins frisst und nichts als konforme Einöde hinterlässt. Zum anderen, weil angesichts des Rechtsrucks sichere Räume für alternative Lebensformen wichtiger sind denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass der Einsatz des Senats für das Tuntenhaus keine Eintagsfliege ist. Denn es wird nicht das letzte alternative Hausprojekt sein, das das Gesicht dieser Stadt seit Jahrzehnten prägt und früher oder später dennoch vor seiner Verdrängung steht. Ohne den Schutz vor renditehungrigen In­ves­to­r*in­nen ist von dem kreativen und vielfältigen Berlin, mit dem sich die Stadt so gern schmückt, bald nichts mehr übrig.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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1 Kommentar

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  • Vielfalt braucht eher Akzeptanz.