ADFC-Projektleiterin über Schulstraßen: „Ein Raum primär für Kinder“

Mehr als nur ein Mittel gegen Elterntaxis: Der ADFC will mit Schulstraßen Kindern selbstständige Mobilität ermöglichen – und neue Räume eröffnen.

Erwachsene und Kinder radeln, umgeben von Seifenblasen, eine Straße entlang

Wichtiger Baustein der Verkehrswende: radelnde Kinder Foto: ADFC Hamburg

taz: Ist die Schulstraße die Antwort auf die ewigen Eltern­taxen vor den Schulen, Frau Lepik?

Katharina Lepik: Ganz klar ja. Gerade in Hamburg haben wir immer mehr Schüler:innen, wir haben aber auch ein sehr hohes Verkehrsaufkommen mit immer mehr Fahrzeugen und vor den Schulen ist dann dieses Nadelöhr, wo sich alles staut und wo es für Kinder zu sehr unübersichtlichen Situationen kommt. Die Schulstraße ist die ideale Lösung, weil wir das Ganze aus der Straße rausnehmen und es ist eine nachhaltige Lösung.

Warum?

Es wird ja schon versucht, die Eltern zu erziehen, die werden ja bereits schon angesprochen von Schulen und Polizei, oder den Kindern zu sagen, wie sie sich am besten durchschlängeln. Ich finde, es ist die optimale Lösung, die Straße dauerhaft für den Durchgangsverkehr zu sperren. Denn bislang wurde das Problem trotz vielfältiger Aktionen durch Polizei, Schulen und Behörden nicht gelöst.

Das klingt so einleuchtend, dass man sich fragt: warum gibt es nicht längst Dutzende von Schulstraßen in der Stadt?

Das hat zum einen mal rechtliche Gründe. Die Schulstraße als verkehrliche Einrichtung kommt nicht in unserer Straßenverkehrsordnung vor. Das Kidical-Mass-Bündnis aus Köln hat aktiv verbreitet, dass es diese Möglichkeit gibt, und hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, inwiefern Schulstraßen schon möglich sind. Bisher kennen wir die eher aus dem europäischen Ausland. Und dann ist natürlich auch die Frage: was ist, wenn eine Klage kommt?

Eine Mehrheit würde doch profitieren.

42, ist Projektleiterin mit Arbeitsschwerpunkt Kindliche Mobilität und Schulwege in der Geschäftsstelle des ADFC Hamburg und hat die Hamburger Kidical Mass-Demo organisiert.

Ich glaube, ein anderer Grund ist auch das Selbstverständnis in Deutschland, dass man dem Autoverkehr bisher absolute Priorität gibt und dementsprechend in den letzten Jahrzehnten Kinder systematisch aus dem öffentlichen Raum verdrängt hat. Jetzt zu sagen: wir wollen einen Raum schaffen, der primär für Kinder, aber auch für alle anderen, die zu Fuß und mit dem Rad unterwegs sind, attraktiv ist – das ist leider immer noch schwierig mit diesem Selbstverständnis. Eine Schulstraße bedeutet, dass ich den Kindern die Priorität gebe an diesem Ort.

Nun setzt sich ein Bündnis mit Beteiligung des ADFC für Schulstraßen in Hamburg ein. Wie ist bislang die Resonanz?

Die Aktionen, die wir in Hamburg gestartet haben, waren im Rahmen der Schulstraßen-Aktionswoche, die von dem Bündnis Kidical Mass aus Köln initiiert wurde, das sich für Rechte für Kinder im Verkehr einsetzt. Eine Hamburger Grundschule hat eine Schulstraße während der Aktionswoche organisiert und möchte das als Verkehrsversuch ab dem Sommer weitermachen. Das muss jetzt allerdings noch politisch beschlossen werden und auch von der Polizei bewilligt werden.

Wie waren die ersten Reaktionen auf die Test-Schulstraße?

Von der Grundschule habe ich gehört, dass das insgesamt sehr gut ankam. Wie es so ist, wenn Autofahrer mal nicht durchkommen, gab es natürlich auch die eine oder andere kritische Stimme.

Eigentlich könnte man annehmen, dass der grüne Hamburger Verkehrssenator sagt: das ist stadtweit unsere Antwort auf die Elterntaxen.

Ich glaube, das Thema Schulweg ist für die Verkehrsbehörde nur ein Thema von vielen. Es gibt ein Bündnis für den Rad- und Fußverkehr und in dessen Grundsatzpapier gibt es gerade mal einen Absatz zum Thema Schulwege, in dem auf ein Pilotprojekt hingewiesen wird. Ich denke, dass die Schulstraßen grundsätzlich schon Anklang in der Verkehrsbehörde finden – aber es sind bald auch Wahlen. Man möchte es sich mit niemandem verscherzen und Schul­straße bedeutet: hier kommt jetzt erst mal kein Auto durch, bis auf Ausnahmen wie Rettungswagen oder Anwohner:innen.

Hat das Ganze auch Signalcharakter, indem man Kindern zeigt: Mobilität bedeutet nicht zwangsweise Autofahren?

Deswegen bezeichnen wir ja die Schulstraße auch als einen wichtigen Baustein für die Verkehrswende, weil die Kinder ja Fah­re­r:in­nen oder Fuß­gän­ge­r:in­nen von morgen sind. Wenn die schon feststellen, dass es Spaß macht, mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Schule zu kommen und man nicht nur überall hin gefahren wird, ist das eine Selbstwirksamkeitserfahrung. Die Schulstraße ist da nur eine Keimzelle, weil es nicht nur um die Straßen direkt an der Schule, sondern den gesamten Schulweg geht und da ist noch sehr viel zu tun.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Elterntaxen um die Ecke halten und sich das Problem nur verlagert?

Das kann natürlich passieren. Wobei es nur einen Schuleingang gibt und viele Ecken – das heißt, es verteilt sich automatisch. In Wien gibt es bereits Schulstraßen und Untersuchungen, wonach tatsächlich weniger Elterntaxen unterwegs sind. Aber insgesamt muss man sich natürlich das gesamte Schulumfeld anschauen und dann gegebenenfalls nochmal mit Maßnahmen nachsteuern. Schul­straßen sind der Anfang in einem Thema, das bei Planenden, Behörden und Politik lange wenig Aufmerksamkeit hatte.

Müsste man also mit der Schulstraße direkt auch öffentliche Verkehrsmittel in den Blick nehmen, um dem ewigen Gegenargument der alleinerziehenden Mutter auf dem Weg zur Arbeit den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Es ist sicherlich auch wichtig, dass der öffentliche Nahverkehr attraktiver gemacht wird. Ich denke auch, man muss es nicht immer absolut sehen: Es ist besser, das Kind wird 500 Meter vor der Schule abgesetzt, als dass es nur fährt. Bei den städtischen Grundschulen wohnen nach meiner Erfahrung viele Kinder sehr nah und es ist wirklich ein sehr kleiner Anteil, der mit dem Auto kommen muss. Bei den weiterführenden Schulen ist das Problem der Elterntaxen sehr viel geringer, weil die Kinder selbstständiger sind. Eine Sache möchte ich noch zu den Schulstraßen sagen.

Nur zu.

Neben den temporären Schulstraßen mit den Sperrungen zu Bring- und Holzeiten, wie sie jetzt bei den Verkehrsversuchen in Köln oder in Hamburg eingerichtet werden, gibt es zum Beispiel in Paris auch permanente Schulstraßen. Das ist eine ganz tolle Sache, weil man dann den gesamten Straßenraum anpacken und umgestalten kann. Da kann man eine Aufenthaltsqualität schaffen, die nicht nur den Schulkindern, sondern allen, die da wohnen, zugute kommt. Paris hat fast 200 Schulstraßen eingerichtet, wo jetzt Beete, Bäume, Schachbretter und Sportgeräte sind. Da hat man plötzlich ganz tolle gemeinschaftliche öffentliche Räume, die von allen genutzt werden können.

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