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Schäden durch FahrraddiebstähleDie falsche Verkehrswende

Kerstin Finkelstein
Kommentar von Kerstin Finkelstein

Fahrraddiebstähle haben Konjunktur. Das zeigt, dass die Verkehrswende Realität ist – nur die Politik will das nicht wahrhaben.

Die abschließbare Fahrradbox vor dem Haus ist eine gute Lösung gegen Fahrradklau, solange es dort drin bleibt Foto: Christophe Gateau/dpa

E inhundertsechzig Millionen Euro – so viel haben die Versicherer im vergangenen Jahr an Kunden ausbezahlt, deren Rad gestohlen wurde. Das sind zehn Millionen Euro mehr als ein Jahr zuvor, Tendenz weiter steigend: Qualität und Ausstattung von Fahrrädern entwickeln sich rasant – und damit auch ihr Preis. Mehr als die Hälfte der neu gekauften Räder haben inzwischen einen Motor.

Während deutsche Verkehrspolitik immer noch das Modell Drahtesel vor Augen hat, ist diese Entwicklung bei Kriminellen bereits angekommen: Fahrraddiebstahl wird inzwischen oft in großem Stil von gut organisierten, internationalen Banden betrieben. Die schaffen ihr Diebesgut über die Grenze und können dort entspannt an den Weiterverkauf gehen. Schließlich verlassen Rahmen- oder Kodierungsnummern in der Regel nicht den heimischen Polizeicomputer. Die estnischen, polnischen oder rumänischen Polizeieinheiten haben somit nicht einmal theoretisch die Möglichkeiten des Eingreifens.

In Deutschland selbst hält sich das Ermittlungsinteresse ebenfalls in Grenzen. Die Aufklärungsquote bei Fahrraddiebstählen ist so niedrig wie bei kaum einer anderen Straftat. Durchschnittlich wird nur jeder zehnte Raddiebstahl aufgeklärt, in Städten liegt die Quote sogar nur bei fünf Prozent.

Selbstschutz als Lösung

Reagiert wird auf diesen Umstand mit großzügigen Tipps: Radbesitzende sollen mehrere, sehr gute Schlösser verwenden, das Rad nie draußen stehen lassen, es selbst im eigenen Keller immer anketten. Schwierig nur, dass viele Radbesitzende ihr Rad auch fahren wollen, es also aus dem Keller holen, um sich damit zum Supermarkt, ins Kino oder zur Schule zu bewegen. Dort darf das Rad dann nicht mit hinein und wird vor der Tür geklaut.

Wie wäre es also, die Rahmennummern und Codierungen der gestohlenen Räder in die Absatzländer weiterzugeben und hierzulande Polizisten eigens fürs Thema Raddiebstahl abzustellen? In Potsdam sanken nach Einrichtung so einer Abteilung die Diebstahlzahlen erheblich, gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote.

So lange gilt: Immerhin bei Versicherern und Kriminellen ist die Verkehrswende schon Realität geworden.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Journalistin und Buchautorin, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Bücher u.a. „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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12 Kommentare

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  • Und wie wäre es dann auch gleich mit einem verpflichtenden Kennzeichen für Räder (mindestens für Ebikes). Dann würde ich gern auch Anzeigenhauptmeister.

    • @PeterArt:

      Und warum nicht wegen der Autos ?



      Eine rhetorische Frage, ich glaube zu wissen, warum nicht. Und der Glaube reicht mir.

  • Ja die Politik bockts einfach garnicht. Selbst jetzt noch ist vergrößern der Autobahninfrastruktur das allerwichtigste im Verkehrsministerium. Und dabei fliegen uns die kaputten Brücken bald allesamt un die Ohren. Und das ganze obwohl niemand, einfach niemand nen Ausbau will.

  • taz.de/Neuer-Rekor...staehlen/!6006635/



    24. 4. 2024,



    Zwar blieb die Zahl der gemeldeten Diebstähle mit rund 150.000 konstant. Allerdings war der jeweilige Schaden im Durchschnitt 1.100 Euro hoch – ein neuer Höchstwert, sagte der GDV.

  • Man sollte ein Fahrrad haben, das keiner klauen mag. Dann gehts schon!

  • Dankeschön für den guten Kommentar. :-)

  • taz: "Fahrraddiebstähle haben Konjunktur. Das zeigt, dass die Verkehrswende Realität ist – nur die Politik will das nicht wahrhaben."

    Solange Fahrräder keine vier Räder haben, einen faradayschen Käfig um sich und mit einem Verbrennungsmotor ausgerüstet sind, wird die Politik Fahrräder nicht beachten. Und solange wir Verkehrsminister haben, die in der Autoindustrie als "gut Freund" ein- und ausgehen und weiterhin unnötige Autobahnen bauen wollen, wird sich in der Verkehrswende schon gar nichts ändern.

  • Eine Anmerkung: als Mieterin ohne Garage (und 65+) fällt es mir sehr schwer, ein schweres Rad (sind die E-Bikes halt zumeist) eine Treppe rauf oder runter zu tragen. Sichere, idealerweise wettergeschütze Parkmöglichkeiten wären schön. Ich habe mir für meine schweren Räder eine Rampe aus 2 Brettern 'gebaut' und zusätzlich ein altes Rad als hässliches Entlein angeschafft, das nicht geklaut wird (aber 1a fährt). Das steht immer draussen.

    • @Anidni :

      Kauf Dir statt Ebike einen abnehmbaren Hilfsmotor (etwa zipforce) für dein Biobike, spart ein paar tausend Euro, jede Menge Ressourcen und etliche kg Gewicht.

      • @PeterArt:

        Mehr als 600 gebe ich eh' nicht aus, auch nicht für ein E-Bike. Kaufe meine Räder immer second hand. U.a. zum unkomplizierten Treppensteigen ein altes Dahon Klapprad, das 12 kg wiegt.

        • @Anidni :

          Tipp: Second-Hand-Räder sind genauso schwer wie neue.

  • Das liegt nicht nur daran dass die Menschen mehr Fahrrad fahen sondern schlicht auch daran dass durch das Jobrad-Leasing der Verkauf von hochpreisigen Ebikes angekurbelt wurde und die sind standardmäßig versichert, was vorher nicht der Fall war.