: Das Ideal „warmmietenneutral“
ENERGETISCHE SANIERUNG Der Energieverbrauch von Gebäuden soll drastisch gesenkt werden. Die entsprechenden baulichen Maßnahmen lassen allerdings meist die Mieten ansteigen
VON OLE SCHULZ
Die Gebäudesanierung gilt in Deutschland als Herzstück der angestrebten Energiewende – rund 40 Prozent der Energie wird in Gebäuden verbraucht, etwa 70 Prozent davon lässt sich laut Studien durch Dämmen von Wänden und Dächern sowie den Austausch zugiger Fenster und alter Heizkessel einsparen. Doch die zu 11 Prozent umlegbaren Kosten der dafür notwendigen Modernisierungsmaßnahmen erhöhen die Mieten zum Teil dermaßen, dass viele betroffene Mieter anschließend in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Gleichzeitig unterstützen Mieterverbände prinzipiell sogenannte energetische Sanierungen, weil sich dadurch die steigenden Energiekosten abfedern lassen. „Der Ölpreis ist seit 2005 um 75 Prozent gestiegen, Gas um etwa 50 Prozent“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Daher sei es auch bei der Gebäudesanierung sinnvoll, in regenerative Energien und Einsparpotenziale zu investieren, sofern die damit verbundenen Kosten gerecht aufgeteilt würden, so Wild.
Und um genau die konkrete Ausgestaltung dieser Frage wird seit Längerem gerungen. Renovierenden Hausbesitzern greift der Staat zurzeit mit günstigen Krediten und Zuschüssen unter die Arme – die Förderbank KfW stehen dafür bis 2014 pro Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Finanzminister Schäuble (CDU) hatte den vollen Betrag erst Anfang März freigegeben.
Die Bundesregierung wollte die Möglichkeit für Immobilieneigentümer verbessern, energetische Sanierungen steuerlich abzuschreiben. Doch die Länder blockieren dieses Vorhaben seit einem Dreivierteljahr, weil sie hohe Steuerausfälle befürchten. Dass es noch eine Einigung gibt, ist eher unwahrscheinlich.
Ob so erreicht werden kann, die Sanierungsrate auf 2 Prozent im Jahr zu verdoppeln, ist ebenso fraglich wie das Ziel, den Energieverbrauch des Gebäudebestands bis 2010 um 20 Prozent und bis 2050 sogar um 80 Prozent zu drücken. Um die energetische Gebäudesanierung voranzutreiben, gab es im Bundesumweltministerium bereits auch Überlegungen, Hauseigentümer zu bestimmten Sanierungsmaßnahmen zu verpflichten.
In der Frage, ob freiwillige Anreize oder gesetzliche Vorschriften der Gebäudesanierung einen Schub geben könnten, plädiert der BMV für eine gesetzliche Verpflichtung zur energetischen Sanierung und hat dafür ein „Stufenmodell“ entwickelt. Damit sollen „nur solche energieeffizienten und klimaschützenden Maßnahmen zur Erfüllung der Grenzwerte vorgegeben werden, die Härten für Mieter und Gebäudeeigentümer vermeiden“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Hintergrund des Ansatzes ist, dass gerade das Komplettpaket energetischer Sanierung – von der Dämmung bis zum Heizkesselaustausch – viele Mieter überfordert, weil es die Miete trotz Energieeinsparung in der Regel deutlich erhöht. Nach einer BMV-Studie steigt die Miete nach einer energetischen Sanierung um durchschnittlich 1,7 Euro pro Quadratmeter (€/qm). Dem steht eine Heizkostenersparnis von nur 0,5 €/qm entgegen, was effektiv eine Mietsteigerung von 1,2 Euro pro Quadratmeter bedeutet – bei 50 qm sind das 60 Euro mehr Miete im Monat, bei 100 qm schon 120 Euro. „Bei einer kompletten energetischen Sanierung kann die Miete bis zu 4 Euro pro Quadratmeter ansteigen“, sagt Reiner Wild.
Hier setzt das BMV-Stufenmodell an. Statt unzumutbare Mietsteigerungen zu gerieren, soll die Heizenergie zunächst durch Einzelmaßnahmen deutlich gesenkt werde. Gesetzliche Verpflichtungen sollen dazu sowohl auf ein bestimmtes Maß der Heizkostenersparnis als auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Energieverbrauch des Hauses erfolgen. Die „effektivste Einzelmaßnahme“, so Reiner Wild, sei eine Erneuerung der Heizungsanlage. „Das kann bis zu einem Euro Heizkostenersparnis pro Quadratmeter bringen.“
Solche Einsparungen sind auch deshalb sinnvoll, damit nicht noch mehr ALG-II-Bezieher zu Wohnungsumzügen angehalten werden, weil ihre Miete die vom Jobcenter unterstützte Höhe übersteigt – bis Ende Oktober 2011 soll ihre Zahl auf über 14.000 gestiegen sein. Gleichzeitig wächst die Zahl der Hartz-IV-Haushalte in Berlin, die einen Teil der Miet- und Heizkosten selbst tragen, um in ihrer Wohnung zu bleiben. Ihre Zahl ist 2011 nach BMV-Angaben im Vergleich zu 2010 um rund die Hälfte auf etwa 30.000 Bedarfsgemeinschaften gestiegen. In den meisten Fällen dürften die Betroffenen dadurch weniger Mittel zum Leben haben, als das staatlich garantierte Existenzminimum vorsieht.
Der BMV fordert deshalb zum einen eine Anhebung der seit sieben Jahren auf demselben Niveau verharrenden Richtwerte für angemessene Wohnkosten des Landes Berlin sowie eine finanzielle Unterstützung einkommensschwacher Mieter in Form eines „Klimabonus“ – einen Zuschuss für Bedürftige, dessen Höhe sich nach der Energieersparnis der durchgeführten Sanierung bemisst.
Eine sogenannte warmmietenneutrale Sanierung, bei der die Energieersparnis die Investitionsumlage auf die Miete ausgleicht, ist laut Reiner Wild leider die große Ausnahme, und die Kosten jeder Sanierung sind abhängig vom Zustand und Alter des Gebäudes. Im Geschosssiedlungsbau sei eine energetische Sanierung in der Regel recht unkompliziert – und bei Altbauten vor 1918 am teuersten.
Um weder die Mieter zu überfordern noch die Eigentümer von Sanierungen abzuhalten, ist es nach einer neuen Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) angebracht, die finanzielle Förderung zu erweitern. Nötig seien demnach 2,5 Milliarden Euro KfW-Kredite und langfristig ein Fördervolumen von 5 Milliarden Euro pro Jahr. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) spricht sich für derart hohe Subventionen aus. Denn im Vergleich zu anderen Möglichkeiten, CO2-Emissionen einzusparen, bleibt die energetische Gebäudesanierung eine der günstigsten.
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