Prozess Radio Dreyeckland: Verbotene Verlinkung
Ein Freiburger Journalist verlinkte unter einem seiner Texte die seit 2017 verbotene Plattform „Indymedia-Linksunten“. Ist das strafbar?
Darauf wiesen beim ersten Prozesstag am 18. April auch zahlreiche Transparente hin, die auf einer Solidaritätsdemonstration für Kienert gezeigt wurden. „Pressefreiheit statt Polizeistaat“ und „Solidarität ist nie offline“ lauteten einige der Parolen. Der letzte Spruch bezog sich auf den Gegenstand der Anklage gegen Kienert.
Ihm wird Unterstützung der verbotenen Internetplattform Indymedia-Linksunten vorgeworfen, weil er unter einen sachlichen Bericht einen Link auf das Archiv der 2017 vom Bundesinnenministeriums verbotenen linken Plattform gesetzt hat. In dem Artikel berichtet Kienert über die Einstellung aller Verfahren gegen die Personen, denen die Generalbundesanwalt vorgeworfen hat, für den in der Verbotsverfügung konstruierten Verein Indymedia-Linksunten verantwortlich zu sein.
Der für das Verfahren verantwortliche Richter Axel Heim wolle den Prozess gar nicht führen. Seine Kammer hatte Kienert bescheinigt, dass er mit dem Artikel und dem Setzen des Links nur seiner journalistischen Informationspflicht nachgekommen ist. Nachdem die Staatsanwaltschaft in Beschwerde gegangen ist, bekam sie in der nächsten Instanz Recht und der Prozess musste eröffnet werden.
„Pressefreiheit statt Polizeistaat“
Doch die bisherigen Prozesstage bestätigten die Anklage keineswegs. So erschütterten mehrere Zeug*innen die Version der Staatsanwaltschaft, dass das Erstellen und Hochladen des Archivs ein Beweis für die Fortführung der verbotenen Internetplattform Indymedia linksunten sei. So erklärte die Bloggerin Detlef Georgia Schulze, das für das Erstellen des Archivs außer einigen technischen Kenntnissen keine Insiderinformationen erforderlich seien. Auch sie hat das Indymedia-Linksunten-Archiv heruntergeladen. Auch gegen Georgia Schulze wurde ein Ermittlungsverfahrens eingeleitet.
Ein Sachverständiger des Frauenhoferd-Instituts aus Karlsruhe wurde zu den unterschiedlichen Möglichkeiten befragt, einen Link zu setzen. So kann man ihn in einem Text ausschreiben, sodass die Leser*innen nicht sofort auf die verlinkte Seite kommen, Dass ist beim Hyperlink der Fall, den Kienert in seinen Artikel gesetzt hat. Doch diese Unterscheidung spielt nach Aussage des Sachverständigen schon aus technischen Gründen heute keine Rolle mehr.
Beim Kurznachrichtendiensten wie X (früher Twitter) wird ein geposteter Link automatisch zu einem Hyperlink umgewandelt. Auf Handybrowsern werden bei Weiterleitung auch nicht klickbare Links in Hyperlinks umgewandelt, wenn dort zwei Mal auf die Adresse getippt wird. Das führte Richter Heim vor Gericht mit einem Handy erfolgreich vor. Selbst über Pressemitteilungen der Polizeigewerkschaft kann man auf diese Weise mit zwei Klicks auf das Archiv von Indymedia-Linksunten gelangen.
Auch taz-Artikel begutachtet
Auch Beiträge anderer Medien, die in ihren Artikeln über das Indymedia-Linkunten-Verfahren deren Archiv verlinkt hatten, wurden vor Gericht begutachtet, darunter auch ein taz-Artikel. Auch die Bebilderung der Texte wurde rechtlich gewürdigt. So waren sowohl über den inkriminierten Text auf der Homepage von Radio Dreyeckland wie auch zeitweise über dem taz-Artikel Fotos von Solidaritätsaktionen mit Indymedia-Linksunten zu sehen.
„Das kann nur auf einen Freispruch für Fabian Kienert rauslaufen“, gibt sich ein Prozessbeobachter nach den drei Verhandlungstagen überzeugt. Am 30. April sollen Anklage und Verteidigung ihre Plädoyers halten. Danach könnte das Urteil verkündet werden. Doch damit muss die juristische Auseinandersetzung um den Hyperlink noch nicht zu Ende sein.
Die Staatsanwaltschaft hat schon angekündigt, gegen einen Freispruch in Revision zu gehen, über die der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden müsste. Wäre sie damit erfolgreich, müsste vor einer anderen Kammer des Karlsruher Landgerichts verhandelt werden. Dann könnte die Staatsanwalt erneut ihren Antrag auf Vernehmung des Geschäftsführers von RDL stellen, der über Redaktionsinterna befragt werden sollte. Richter Heim hatte den Antrag mit Verweis auf Quellenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht der Presse abgelehnt.
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