Podcast-Branchentreffen „All Ears“: Auf die Augen statt nur die Ohren

Beim Branchentreffen „All Ears“ wurde die Zukunft von Podcasts beleuchtet. Die Prognose von Spotify: Videopodcasts werden das neue große Ding.

Mikrofon und Kopfhörer

Neben dem Mikrofon braucht es für den perfekten Podcast nun auch eine Video­kamera Foto: imago

Wenn man immer wieder sagen muss, dass alles gut ist, dann ist man sich möglicherweise doch nicht sicher, ob alles gut ist. Oder: Wenn man etwas nur oft genug wiederholt, dann fangen die Leute an, daran zu glauben, und es wird tatsächlich real. Wer dem diesjährigen Podcast-Summit „All Ears“ von Spotify beigewohnt hat, könnte auf diese Gedanken kommen. Beim Branchentreffen in den Nordberliner Wilhelm Studios am Donnerstag wurden Ver­tre­te­r:in­nen des Streamingdienstes nicht müde zu betonen, wie viel Entwicklungspotenzial im Podcastmarkt noch stecke.

Laut einer Befragung des Digitalverbands Bitkom aus dem letzten Jahr ist die Zahl der Pod­cast­nutzer:innen in Deutschland zuletzt gleich geblieben, nachdem sie in den Jahren zuvor stark gestiegen war: Von 33 Prozent in 2020 stieg der Anteil der Pod­cast­hö­re­r:in­nen über 16 Jahre auf 43 Prozent in 2022 und 2023. Das entspricht knapp 30 Millionen Menschen.

Gleich zu Beginn des Tages erzählte Daniel Nikolaou, Head of Podcast DACH bei Spotify, in seiner Keynote von einer Begegnung mit einer ehemaligen Viva-Kollegin, die ihn gefragt habe, ob das Ding mit den Podcasts jetzt nicht auch mal durch sei. Natürlich nicht!

Aber was lässt sich tatsächlich noch rausholen aus diesem Markt, der so sehr wuchert, dass auch Podcast-Ultras kaum noch einen Überblick über das Angebot bewahren können? Auf diese Frage gab es bei der nicht ganz billigen Branchenveranstaltung (Tickets für 299 Euro, Verpflegung inklusive) mit viel Podcastprominenz (Felix Lobrecht, Lui­sa Neubauer, Michael Barbaro) sowohl formale als auch inhaltlich-ästhetische Antworten.

Spotify als Plattform

Zum Beispiel gehe Spotify jetzt eben den nächsten Schritt, erklärten Nikolaou und andere Spotify-Vertreter:innen – vom Publisher eigener exklusiver Podcast-Inhalte, mit denen sich der Steamingdienst zunächst von Konkurrenten abgrenzen und eine Marktdominanz entwickeln musste, hin zur Plattform. Viel Arbeit fließe aktuell deshalb darin, diese Plattform für ­Pro­du­zen­t:in­nen von Podcasts attraktiver zu machen.

„Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir Creatorn helfen, erfolgreich zu sein“, sagte Sahar ­Elhabashi, Vize­chefin der Podcast-Abteilung bei Spotify, in einem Gespräch über „The Next Chapter of Podcasting“. Erreichen will der Streamingdienst das etwa, indem es Crea­to­r:in­nen Daten und Statistiken über Nutzungsverhalten zugänglich macht, damit diese ihr Angebot entsprechend verbessern können.

Dann seien Podcasts zwar das eine. Jetzt kämen aber die Video­podcasts. „Podcasts und Video konvergieren“, so Elha­bashi. Die Zahl der Podcasts mit Video wachse derzeit neun mal schneller als allein mit Audio. Drei der Top 10-Podcasts seien Videopod­casts. 56 Prozent der Nut­ze­r:in­nen in den USA sagten, sie würden Podcasts mit Video bevorzugen.

Video sei gerade für jüngere Nut­ze­r:in­nen wichtig. Der möglicherweise entscheidende Grund, warum man bei Spotify diesen Trend so gerne beobachtet, fällt beim zahlenlastigen Gespräch mit Elhabashi nebenbei: Der Werbemarkt für Video­inhalte ist um ein Vielfaches größer als jener für Audioinhalte. Außerdem: Wenn Pod­casts jetzt ein Bewegtbild hinzubekommen, sind sie dann nicht einfach gute, alte Videos, die nun wirklich nichts Neues sind?

Schließlich möchte das Unternehmen die Auffindbarkeit von Inhalten verbessern. Hier will Spotify vorhandene Nutzerdaten besser auswerten, dabei auch auf künstliche Intelligenz zurückgreifen und neue Tools schaffen – etwa eines,mit dem sich Nut­ze­r:in­nen gegenseitig Inhalte empfehlen können.

Neue Erzählformen

Jenseits dieses naturgemäß voreingenommenen Spotify-Blicks in die Zukunft, setzten sich Pod­cast­ma­che­r:in­nen durchaus auch selbstkritisch mit dem eigenen Medium auseinander: Khesrau Behroz (Undone) forderte etwa eine mutigere „neue Tradition des Erzählens“, die kein Problem damit hat, dass Journalismus auch unterhalten soll. Leonie Bartsch (Mord auf Ex), Daniel Müller (Zeit Verbrechen) und Lilly Amankwah (funk/Der Fall) beteuerten bei ihrem Panel über True Crime, dass nicht jeder brutale Fall erzählt werden müsse, dass es auf die gesellschaftspolitische Relevanz ankomme.

Anne Will lieferte dann noch einen besonders prominenten Beweis dafür, dass es noch lange nicht vorbei ist mit den Podcasts. Bei ihrem Auftritt am Tag des Erscheinens ihres neuen Podcasts „Politik mit Anne Will“, sagte sie, dass sie an dem Medium schätze, was in ihren sonntäglichen Talkshows nicht möglich gewesen ist: den inhaltlichen Tiefgang.

Was eine interessante Perspektive eröffnet: Wenn sich klassischer Polit-Journalismus mithilfe dieses Mediums mehr Zeit nehmen kann, um seinen komplexen Themen gerecht zu werden, statt Po­li­ti­ke­r:in­nen zur Primetime unsachlich über sie streiten zu lassen und dabei Schadensbegrenzung zu betreiben, dann wäre viel gewonnen.

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