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Neuer Spielfilm von Ryūsuke HamaguchiInvasion der Investoren

Zwischen Glampingidylle und Ökohorror. Im „Evil Does Not Exist“ legt der japanische Regisseur Ryūsuke Hamaguchi verwirrende Fährten in der Natur.

Das Mädchen Hana (Ryo Nishikawa) in der Natur Foto: Pandora

Im Nachhinein fällt es schwer zu glauben, dass ein Film wie Ryūsuke Hamaguchis „Drive My Car“ den Oscar als beste internationale Produktion gewinnen konnte. Ein Dreistundenwerk, in dem nicht viel passiert, außer dass zwei Menschen in einem Auto miteinander reden.

Und dies noch nicht mal in Form von lebendiger Debatte, sondern in bedächtiger Zurückhaltung und mit viel Schweigen zwischendurch? Wahrscheinlich brauchte es für den Erfolg die coronabedingte Verlangsamung des üblichen Kinobetriebs, die den Zuschauern und Oscar-Votern die nötige Geduld ließ, sich in den Film reinzufinden.

„Evil Does Not Exist“, Hamaguchis neue Produktion, trifft jetzt auf weniger entgegenkommende Umstände, ist dafür aber mit 106 Minuten Laufzeit der bislang kürzeste von Hamaguchis Spielfilmen. Welten entfernt von seinem fünfstündigen Werk „Happy Hour“, das ihn beim Filmfestival in Locarno 2015 bekannt machte.

Unbedingte Aufmerksamkeit

Und obwohl sich also im Vergleich zu „Drive My Car“ in „Evil Does Not Exist“ die Dinge fast überstürzen – Menschen streiten sich, Äxte werden geschwungen, ein Kind verschwindet –, fordert sein neues Werk jene Form von unbedingter Aufmerksamkeit, die man sich mit Smartphone in Bereitschaft fast abgewöhnt hat.

Wie ein Vorbereitungstraining funktioniert in dieser Hinsicht schon die Auftaktsequenz: Den Blick nach oben in die Wipfel gewandt, wandert eine Kamera durch einen Wald, die sinfonische Musik dazu schwankt zwischen ernst und unheimlich. Man erkennt, dass es Winter ist, bis auf die Nadelhölzer sind die Bäume kahl, der Himmel ist grau. Es dauert irritierend lang, bis dann doch die Musik abrupt endet und die ersten Menschen in den Blick kommen.

Da ist das achtjährige Mädchen Hana (Ryo Nishikawa), das wie auf Suche durch den Wald streift, dann ihr Vater Takumi (Hitoshi Omika). Er wird zuerst beim Holzhacken gezeigt, dann beim Wasserholen aus einer Quelle, die so entlegen ist, dass man das Wasser in handliche Kanisterportionen aufgeteilt durch den Wald zum Parkplatz tragen muss. Dort eilt ihm ein Nachbar (Hiroyuki Miura) zu Hilfe. Zusammen entdecken sie eine Stelle, an der wilder Wasabi wächst. Der Nachbar pflückt etwas davon.

Trügerisches Idyll

Das alles klingt idyllisch, aber tatsächlich durchzieht die schönen Naturszenen zugleich etwas Unheimliches, sei es durch den Kamerablick, der in den langen Einstellungen etwas Lauerndes bekommt, oder seien es Details wie Gewehrschüsse in der Ferne, das Skelett eines angeschossenen Rehs im Schnee, Bissspuren von Wild an einem Baumsämling.

Der Plot von „Evil Does Not Exist“ folgt oberflächlich betrachtet einer Ökoparabel, in der kapitalistische Gier sich anschickt, die Lebensgrundlagen einer mit der Natur harmonierenden Gemeinschaft zu zerstören, dann aber von ein paar Widerständigen in die Schranken gewiesen wird.

Die Inszenierung des Films legt dazu jedoch zahlreiche Spuren einer Gegengeschichte aus: Da ist erstens die Natur nie ganz harmlos, zweitens die Gemeinschaft nicht wirklich harmonisch und drittens ist es auch mit der kapitalistischen Gier nicht so einfach.

Ökologie und Satire

Der Ökoplot entfaltet sich nah an der Satire: Takumi und seine Nachbarn kommen am nächsten Tag bei einer Informationsveranstaltung zusammen, in der ein Unternehmen aus Tokio das Nutzungskonzept für sein in der Gegend erworbenes Grundstück vorstellt. Man will hier einen „Glamping“-Platz errichten. Der unglückliche Neologismus steht für „glamouröses Camping“ und selbstverständlich sind die Anwohner skeptisch.

Dass das Unternehmen von zwei jungen Menschen vertreten wird, Takahashi (Ryūji Kosaka) und Mayuzumi (Ayaka Shibutani), die selbst kaum Ahnung von der Materie haben und nur gelernte Phrasen wiedergeben können – „Wir werden die Bedenken berücksichtigen!“ –, trägt wenig zur Vertrauensbildung bei.

Hamaguchi zeigt die Versammlungsszene fast dokumentarisch: Es treten Figuren mit flammenden Reden auf, die später keine Rolle mehr spielen. Ein junger Mann mit blond gefärbten Haaren stellt schneidende Fragen und schnaubt verächtlich über die mauen Antworten.

Das Gleichgewicht leugnen

Ist das Ganze vielleicht nur ein Vorwand, um mit Pandemiesubventionen Geld zu verdienen? Dass der Glampingplatz mit seinen Touristen nicht nur die Atmosphäre des Dorfes verändern wird, sondern auch das ökologische Gleichgewicht, lässt sich nicht leugnen. Für die angereisten Vertreter wird es auf ihrem Podium mit der Power-Point-Präsentation im Hintergrund immer ungemütlicher.

Und dann wechselt der Film scheinbar die Seiten: Statt von der Dorfgemeinschaft und ihrem Widerstand gegen kapitalistische Übergriffigkeit zu erzählen, folgt er den sich mit demonstrativer Demut – „Vielen Dank für Ihre interessanten Wortbeiträge!“ – verabschiedenden Vertretern zurück in die Stadt.

Gibt es das Böse tatsächlich nicht, wie es der Titel in steiler These behauptet? In der Ergebniskonferenz, die Takahashi und Mayuzumi aus ihrem wenig glamourösen Büro in der Stadt mit ihrem Auftraggeber abhalten, ist Böses jedenfalls nicht auszumachen.

Vorgetäuschter guter Wille

Es sei denn in der Gleichgültigkeit des Vorgesetzten, der aus seinem Auto heraus per Zoom teilnimmt und zugibt, dass die Infoveranstaltung vor Ort nur den Zweck hatte, guten Willen vorzutäuschen, dem Gesetzgeber genauso wie den Anwohnern. Takahashi und Mayuzumi werden zurück ins Dorf geschickt, sie sollen ausgerechnet Takumi dafür anheuern, auf dem Campingplatz die Hausmeisterrolle zu übernehmen. Die Einbindung werde die Akzeptanz des Projekts befördern, verspricht man sich.

Wer aufmerksam genug schaut, erkennt immer deutlicher, dass es sich hier um einen Invasionsfilm handelt. An die Stelle von Aliens tritt die krakenhafte Anonymität eines Unternehmens, das aus einem Grundstückskauf Wert schlagen will. Takahashi und Mayuzumi sind die blassen Erfüllungsgehilfen, die selbst nicht richtig wissen, in wessen Auftrag sie handeln. Und Takumi schlüpft in die Rolle des letzten Actionhelden, der sich stoisch den Verführungen widersetzt.

Evil does not exist

„Evil Does Not Exist“. Regie: Ryūsuke Hamaguchi. Mit Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa u. a. Japan 2023, 106 Min.

Wo Hamaguchi in „Drive My Car“ seine Figuren noch voller Empathie begleitete, auch wenn ihre Intentionen manchmal verdeckt bleiben, unterliegt in „Evil Does Not Exist“ allen Beobachtungen eine gewisse Skepsis.

Ist Takumi tatsächlich ein Held oder ist er ein trockener Alkoholiker mit Neigung zu Gewaltausbrüchen? Ist Takashi ein Idiot, weil er plötzlich meint, sein Leben ändern und selbst ins Dorf ziehen zu wollen? Und ist seine Erfahrung beim Holzhacken – „So gut habe ich mich lange nicht mehr gefühlt!“ – authentisch oder doch nur das Gelaber eines lächerlichen Städters?

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