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Kinotipp der WocheRaum für Neuentdeckung

Kurz, mittelang und ausgewachsen: achtung berlin zeigt Filme aus und über Berlin. Und Lebenslagen jeder Größenordnung mit ungeahntem Olympiabezug.

Sarah Neumanns „Jenseits der blauen Grenze“ Foto: © Jakob Fliedner, Wood Water Films

Filme, die in Berlin oder Brandenburg spielen oder von einer dort ansässigen Firma produziert wurden, zeigt das Filmfestival „achtung berlin“. Und das eine Woche lang, vom 10. bis zum 17. April in mehreren Berliner Kinos vom International bis zum Filmtheater am Friedrichshain. Schaut man sich das Angebot an Filmen an, fällt auf, dass man sich zumindest was die Produktivität angeht, keine Sorgen um den Filmstandort Berlin machen muss. Fast schon Berlinale-mäßig muss man sich durch ein vollgepacktes Programm arbeiten, dazu gibt es zig Wettbewerbe in den üblichen Kategorien vom Kurz- bis zum Dokumentarfilm. Und obendrein noch in der schönen Sonderdisziplin „Mittellanger Film“.

achtung berlin ist traditionsgemäß das Festival für Entdeckungen und Erstlingswerke. So wie „Jenseits der blauen Grenze“ von Sarah Neumann eines ist, das in der Konkurrenz für den besten Spielfilm zu sehen ist. Und dem man in diesem Wettbewerb nur viel Glück wünschen kann, da er wirklich ziemlich gelungen ist. Er schafft es wunderbar, eine spießige, fahle und überaus übergriffige DDR zu zeigen, aus der Andreas irgendwann nur noch abhauen möchte. Er gilt als jugendlicher Delinquent und soll in einem Jugendwerkhof zu einem anständigen Bürger im Sinne des Sozialismus umerzogen werden. Worauf der nur wenig Lust hat und auf die handfesten Methoden, mit denen das versucht wird, erst recht nicht.

Seiner besten Freundin Hanna wird von Apparatschiks nahegelegt, den Umgang mit Andreas zu meiden. Diese möchten aus ihr die nächste Olympiasiegerin im Schwimmen machen, wogegen die gar nicht so abgeneigt ist. Irgendwann muss sie sich jedoch entscheiden, ob sie den verzweifelten Andreas alleine draußen in der Ostsee in Richtung Westen schwimmen lassen oder ob sie ihm dabei beistehen soll. Sie entscheidet sich für die Flucht, die für sie eigentlich gar keine ist, sondern eher ein Freundschaftsdienst.

Erzählt wird die ganze Geschichte nicht chronologisch, sondern der Überlebenskampf in der kalten Ostsee wird immer wieder von Rückblicken unterbrochen. Das erzeugt eine ganz spezielle Spannung und macht aus einem kleinen Spielfilm ein geradezu virtuos erzähltes Drama.

Mehr als nur Außenseiterchancen im Wettbewerb um den besten Dokumentarfilm hat sicherlich auch „Dancing Heartbeats“ von Lisa Wagner. In dieser Dokumentation werden die B-Girls Frieda, Jilou und Viola portraitiert, die sich in der männerdominierten Breakdanceszene durchschlagen, jede auf ihre Art. Der Film folgt den drei Frauen als Langzeitbeobachtung auf ihren Reisen um die ganze Welt, begleitet sie bei Wettkämpfen und Battles und zeigt sie auch ausgiebig privat.

Das lässt Raum, um die drei, die sich für ziemlich ungewöhnliche Karrieren entschieden haben, auch in ihren Selbstzweifeln zu zeigen. Bin ich wirklich gut genug, um in diesem Sport, für den ich alles geben muss, auch Geld für die Miete verdienen zu können? Was mach ich, wenn ich verletzt bin und mein Körper herumzickt? Ob man diese intimen Einblicke auch bei den Männern bekommen hätte, die sich in der gehobenen Breakdance-Liga wahrscheinlich alle für unschlagbare Kings halten, ist ziemlich fraglich.

Der Film bekommt zudem noch eine ungemeine Aktualität dadurch, dass Breakdance dieses Jahr erstmals auch eine Disziplin bei den olympischen Spielen in Paris sein wird. Und Jilou aus Berlin, eine der besten Breakdancerinnen der Welt, wird bei diesen mit dabei sein.

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