Sinti- und Roma-Mahnmal in Berlin: Baumgroße Erinnerungslücken

Der S-Bahn-Bau unter dem Tiergarten bedeutet Rodungen am Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma. Organisationen wehren sich.

Menschen stehen am Roma-Mahnmal im Gegenlicht

Stein des Anstoßes: das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten Foto: IMAGO / snapshot

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma liegt zentral und abgeschieden zugleich. Zentral, weil es vom Brandenburger Tor und vom Reichstagsgebäude nur wenige Schritte bis zu seinem Eingang sind. Abgeschieden, weil das Mahnmal am nordöstlichsten Zipfel des Tiergartens von Bäumen und Büschen umschlossen ist.

Es kann Tou­ris­t*in­nen, die von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten hasten, also durchaus passieren, dass sie diesen Erinnerungsort links liegen lassen. Doch auch der Berliner Senat hat das Mahnmal in seiner Verkehrsplanung achtlos übergangen – so jedenfalls der Vorwurf zahlreicher Initiativen. Die wehren sich seit mehreren Jahren dagegen, dass das Denkmal durch den Ausbau einer S-Bahn-Verbindung zwischen Norden und Süden zumindest stark beeinträchtigt, oder, je nach Sichtweise, stark beschädigt wird.

Denn der Senat hat sich Ende Dezember auf einen Plan für den 2. Bauabschnitt der S21 festgelegt: die sogenannte Variante 12h. Dieser zufolge wird die S-Bahn unterirdisch am Brandenburger Tor und dem Reichstagsgebäude vorbeigeführt. Der Tunnel teilt sich in zwei Teile, um den Reichstag rechts und links zu passieren. Die Röhren werden unterirdisch gebohrt. So könne ein Abstand zu den Gebäuden eingehalten werden, der politische Betrieb werde nicht beeinträchtigt, hieß es bei der Vorstellung.

Das Denkmal Bereits 1992 hatte die Bundesregierung einem Beschluss für ein Denkmal für die Sinti und Roma zugestimmt, das insbesondere auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gefordert hatte. Die Bauarbeiten begannen verzögert erst 2008, das Denkmal wurde 2012 eingeweiht.

Die Parade Seit 2018 gibt es in Berlin jährlich eine Parade zum Romaday am 8. April. Sie beginnt in diesem Jahr am Montag um 16 Uhr am Denkmal und führt durch Mitte über den Alexanderplatz zur Volksbühne. Dort soll der Tag mit Suppe, Getränken und Konzerten im Grünen Salon enden.

Doch am Brandenburger Tor wird es jahrelang mehrere Baugruben und Baustellenflächen geben – eine davon auch auf dem Gelände des Denkmals. Dafür müssten auch Bäume gefällt werden, darunter sieben Bäume und fünf Büsche, die direkt zum Mahnmal gehören – in dessen „östlichem Randbereich“. Außerdem müssten zahlreiche weitere Bäume in unmittelbarer Nähe weichen. Eine breite Lücke würde im Baumbestand rund um das Denkmal klaffen. Die Bahn habe die Auflage, die gefällten Bäume „so weit wie möglich an Ort und Stelle zu ersetzen oder zu kompensieren“, so die Senatsverwaltung auf Anfrage. Langfristig sei „die Vegetation wiederherzustellen und zu erhalten“.

Noch umschließen Bäume das Mahnmal von mehreren Seiten. Wer vom Simsonweg aus das Gelände durch die Lücke zwischen den Glasplatten betritt, die das Denkmal dort begrenzen, der wird umfangen von Musik und sieht vor sich eine kreisrunde Wasserfläche mit dunklem Grund, etwa 12 Meter im Durchmesser. In ihrer Mitte befindet sich ein flacher, dreieckiger Stein, auf dem liegt eine frische Blume liegt. Die Blume wird regelmäßig erneuert, dafür versinkt der Stein täglich einmal unter der Wasseroberfläche und taucht frisch bestückt wieder auf.

„Einzigartige Atmosphäre zerstört“

Die Initiativen, die sich für den Erhalt einsetzen, lehnen die Rodungen ab – auch die im Umfeld des Mahnmals. „Ohne diese Bäume wären die einzigartige Atmosphäre und die Ruhe der Gedenkstätte zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor dauerhaft zerstört“, schreiben die VerfasserInnen eines offenen Briefs an Verkehrssenatorin Manja Schreiner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU). Mit dem Brief wandten sich die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen bereits im vergangenen Oktober gegen die Trassenplanung. Den Brief unterzeichneten unter anderem Angehörige des verstorbenen Künstlers Dani Karavan, der das Mahnmal entworfen hatte. Auch er hatte bis zu seinem Tod gefordert, das Mahnmal müsse in seiner Gänze bewahrt bleiben.

Foto: taz infografik

„Es erinnert nicht umsonst an eine Waldlichtung“, sagt Roxanna-Lorraine Witt. „Wälder waren in der Geschichte und der Kultur der Sinti und Roma sehr oft wichtige Schutzräume.“ Witt ist 2. Vorsitzende und Geschäftsführerin von Save Space. Der Verein unterstützt Gruppen dabei, sich geschützte Räume zu schaffen, und berät Menschen, die marginalisiert und von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. „Meine eigene Familie hat überlebt, weil sie sich im Wald versteckt hat“, sagt Witt. „Es darf kein einziger Baum am Mahnmal oder im direkten Umfeld gefällt werden.“ Beim Holocaust-Mahnmal wäre es auch undenkbar, wenn einfach eine Stele abgesägt würde, sagt sie.

Von der Senatsverwaltung heißt es, es habe „ein intensiver Dialog mit den Ver­tre­te­r:in­nen der Sinti und Roma stattgefunden“, auch aus sehr verschiedenen Gruppen. Im Resultat seien die Planungen für die Variante 12h im Randbereich des Denkmals immer weiter optimiert worden. „Die Variante 12h rückt so weit wie möglich vom Denkmal ab.“

Kelly Laubinger ist eine von den Ver­tre­te­r*in­nen aus der Community, die der Kultursenator und die Verkehrssenatorin im September zum Gespräch eingeladen hatten. Sie ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Sinti und Roma. In deren Namen fordert auch sie die vollständige Unantastbarkeit des Denkmals. „Es kam mir vor, als ob sie über eine Rutsche auf einem Spielplatz sprechen“, sagt sie über das Gespräch. „Das war sehr schmerzhaft, das so zu hören.“ Der Kultursenator habe sich über die verschiedenen Ver­tre­te­r*in­nen gewundert. „Er dachte, der Zentralrat spricht für alle“, sagt Laubinger. „Ich habe erstmal erklärt, wie viele verschiedene Gruppen es gibt und dass die meisten gar nicht im Zentralrat organisiert sind.“

Alles in allem gebe es knapp 130 Selbstorganisationen und Initiativen aus der Sinti- und Roma-Community. Etwa 20 von ihnen seien im Zentralrat der Sinti und Roma organisiert, ebenfalls 20 in der 2021 gegründeten Bundesvereinigung. 11 seien Mitglied in der Sinti-Allianz. „Die meisten Gruppen sind also gar nicht Teil von einem Dachverband“, sagt Laubinger. „Wir sind sehr divers, und das ist auch gut so: Wir brauchen noch mehr Stimmen, die sich öffentlich äußern.“

Das Problem sei, dass der Zentralrat oft von der Politik als alleiniger Vertreter der Sinti und Roma angesehen werde – und auch so auftrete. Der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, hatte sich nach anfänglichem Protest gegenüber der Politik kompromissbereit gezeigt. Die Bundesvereinigung gründete sich daraufhin auch mit dem Ziel, das Denkmal zu schützen. „Der Zentralrat ist nicht demokratisch legitimiert, im Namen aller Sinti und Roma zu sprechen. Es ist ein Verein, und der spricht eben auch nur für seine Mitglieder“, sagt Laubinger. „Das muss man aushalten.“

Miteinander sprechen, ohne zuzuhören

Dass Berlin sich mit der Bahn nun auf die 12h-Variante geeinigt habe, das habe sie aus der Presse erfahren, so Laubinger. „Ich bin darüber sehr wütend“, sagt sie. „Das Denkmal ist unser Ort. Nicht je­de*r hat die Kraft, eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen. Aber hier kommen Menschen hin, um zu erinnern und zu trauern.“ Letztlich bleibe das Gefühl, dass die Politik zwar das Gespräch suche, aber am Ende nicht wirklich zuhöre.

„Das Mahnmal ist keine reine Berliner Angelegenheit“, betont Roxanna-Lorraine Witt. Es sei international für alle Sinti und Roma. Für viele habe es die Bedeutung einer Grabstätte für diejenigen, die in den KZs umkamen und nie beerdigt werden konnten. „Es darf nicht angetastet werden.“ Gerade in Zeiten, in denen die Rechte erstarke, sei das wichtig. „Wenn sie schon unser Denkmal nicht schützen, werden sie sich dann für uns einsetzen, wenn wir es brauchen?“, fragt sie.

So wie andere Initiativen erhielten sie derzeit Anrufe von verängstigten Sin­te*z­ze und Rom*­nja mit Fragen und Gedanken zu Widerstand und Flucht. Witt erinnert daran, dass der Künstler Dani Karavan mehrmals gesagt hatte, er würde das Denkmal zur Not mit seinem eigenen Körper schützen. „Auch wir werden uns an Bäume ketten und weiter protestieren, wenn die Politik und die Bahn an den Plänen festhalten“, sagt Witt.

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