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Humanitäre Hilfe für GazaKugeln statt Mehl

Gastkommentar von Radwa Khaled-Ibrahim

Zivile Hilfsorganisationen können in Gaza kaum noch agieren. Aber Lieferungen durch Militär per Luft sind ineffizient und erzeugen problematische Bilder.

Menschen drängen sich um Pakete mit humanitärer Hilfe, die über dem nördlichen Gazastreifen abgeworfen wurden Foto: Mahmoud Issa/dpa

S chon vor dem Angriff auf das Auto der Hilfsorganisation World Central Kitchen mussten Hilfsorganisationen ihre Hilfe in weiten Teilen Gazas einstellen, weil sie die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden nicht garantieren können. Hier wird eine Realität geschaffen, in der zivile Organisationen zurücktreten müssen und nur noch militarisierte Hilfe, in Form von Luft- und Seebrücken, möglich erscheint.

Lufthilfen sind ineffektiv, teuer und gefährlich (Anfang März sind fünf Menschen in Gaza durch vom Himmel fallende Güter erschlagen worden). Sie sind dehumanisierend und dienen vor allem den Interessen der vermeintlich Helfenden: ein Hollywood-Spektakel mit der dazugehörigen Machtdemonstration.

Radwa Khaled-Ibrahim

ist in Kairo aufgewachsen und 2011 als Aktivistin Teil der Revolution gewesen. Seit 2013 lebt und arbeitet sie in Ägypten und Deutschland. Sie ist Referentin für Kritische (Not-)Hilfe bei medico international

Mit der insuffizienten Luftbrücke und der trägen Seebrücke wird nun die Hilfe vom Militär umgesetzt, und damit werden die unabhängigen Hilfssysteme ausgeschaltet, die nur über Land kommen können – und es in der Hand hätten, die bestehende Hungersnot und kommende Hungerkatastrophe zumindest in Teilen zu verhindern. Die unabhängige Hilfe darf nicht zugunsten einer militärisch eingebetteten Hilfe abgeschafft werden.

Völkerrechtlich ist die Besatzungsmacht für die Versorgung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten verantwortlich. Allerdings werden in Gaza die Strukturen, die humanitäre Hilfe leisten sollen und könnten, angegriffen und zerstört, oder ihre Mittel gekürzt. Weiterhin gelangen viel zu wenige Hilfslieferungen in den Gazastreifen, obwohl Israel vom Internationalen Gerichtshof rechtsverbindlich angewiesen wurde, die Bereitstellung humanitärer Hilfe vollumfänglich zu ermöglichen. Die Durchfahrt von Hilfskonvois wird dennoch seit Monaten massiv behindert.

Wenn wir militärische Ziele angreifen, werfen wir auch Lebensmittel, Medikamente und Vorräte […] ab, damit die Menschen die Großzügigkeit Amerikas und seiner Verbündeten sehen

George W. Bush

Vielleicht hat humanitäre Hilfe per Flugzeug in Deutschland durch die Berliner Luftbrücke im Kalten Krieg eine positive Konnotation, vielleicht wurde aber auch nur die Erinnerung an deren Wirklichkeit verdrängt. In anderen Teilen der Welt erinnert man sich jedenfalls noch an die jüngere Geschichte und George W. Bushs Worte von 2001: „Wenn wir militärische Ziele angreifen, werfen wir auch Lebensmittel, Medikamente und Vorräte für die hungernden und leidenden Männer, Frauen und Kinder in Afghanistan ab, damit die Menschen die Großzügigkeit Amerikas und seiner Verbündeten sehen“.

Und was, wenn die unkontrolliert abgeworfenen Güter nun in die falschen Hände gelangen oder nur den Schnellsten und Stärksten und nicht den Bedürftigsten nutzen? Die Selbstrechtfertigung ist schon im Akt eingebettet: „Wir haben die Pakete nur abgeworfen.“ Bushs Worte würden sich hier gut anschließen: Und wir wollten, dass „die Menschen [unsere] Großzügigkeit sehen“.

Minimale Effizienz, maximales Spektakel

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagt in Bezug auf die Lufthilfe: „Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass sie Zugang zu Nahrung und Medikamenten bekommen.“ Doch die mit enormem Aufwand betriebenen Abwürfe entsprechen jeweils nicht mal einer LKW-Ladung, dabei leiden schon über 90 Prozent der in Gaza lebenden 2,4 Millionen Menschen an Hunger. Allein sprachlich überzeugt Pistorius nicht: Abwerfen hat nichts mit „Zugang schaffen“ zu tun. Einen Zugang zu schaffen heißt, die Lebensgrundlage der Menschen zu sichern und einen Waffenstillstand zu fordern. Und nicht, durch dehumanisierende Hilfe die Zerstörung von Lebensgrundlagen zu legitimieren.

Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Waffenlieferant für Israel, die Hilfe dagegen ist geprägt von minimaler Effizienz und maximalem Spektakel. Ein Spektakel, um von der politischen Mitverantwortung für die unerträgliche humanitäre Lage abzulenken. Allen voran die USA und Deutschland bemühen sich darum, die Konfrontation mit Israel zu vermeiden, und ermöglichen so die Fortsetzung des Krieges.

Deshalb Lufthilfe, deshalb ein Seehafen. Aber bloß nicht: Den großen politischen Einfluss auf Israel nutzen, einen Waffenstillstand zuzulassen, das Völkerrecht zu achten und den einzig sinnvollen Zugang für Hilfe – über Land – zu öffnen. Auch für die Befreiung der Geiseln ist ein Waffenstillstand und die Einhaltung des Völkerrechts erforderlich.

Die Menschen in Gaza sind am Ende ihrer Kräfte, natürlich rennen viele zu jedem noch so kleinen Anzeichen von Hilfe. Zuletzt kamen ihnen aber anstelle von Mehl Kugeln entgegen. Allein die Tatsache, dass sie um das Essen rennen müssen, bricht mit den humanitären Prinzipien.

Die Luftbrücke perpetuiert das Hollywood-Bild einer braunen, hungrigen, unzivilisierten Masse

Neben Grundprinzipien wie Menschlichkeit und Unparteilichkeit ist einer der wichtigsten Ansätze in der humanitären Hilfe „Do-No-Harm“. Kurz gesagt bedeutet dies, dass Hilfe keinen Schaden anrichten darf. Aber was die Luftbrücke und andere nicht koordinierte Hilfsleistungen perpetuieren, ist eine weitere Dehumanisierung der Menschen in Gaza: das Hollywood-Bild der braunen, hungrigen, unzivilisierten Masse. Ein „nacktes Leben“, wie der italienische Philosoph Giorgio Agamben es bezeichnen würde. Dieses rechtlose, weil außerhalb des Rechts stehende, nackte Leben ist quälbares und tötbares Leben unter dem Blick des Souveräns.

Warum eine feministische Außenpolitik daran keine Kritik formuliert, bleibt fraglich. Sind es doch gerade Frauen und Mädchen, die am drastischsten unter unkoordinierter Hilfe und den Folgen des Krieges leiden. Wo ist hier eine gendersensible humanitäre Hilfe? Von einer feministischen Kritik ganz zu schweigen, die die Machtverhältnisse als Ganzes in Betracht zieht und sich konsequent für Frieden und Würde für alle einsetzt.

Solange das humanitäre Engagement der Bundesrepublik und anderer Staaten nicht mit entsprechendem Druck auf die israelische Regierung einhergeht, sich an das Völkerrecht und die Menschenrechte zu halten, humanitäre Lieferungen über Land umfassend zuzulassen und seine massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung einzustellen, bleibt diese Hilfe Teil der Kriegsführung.

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11 Kommentare

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  • Es wundert mich, dass im Text geäußert wird, dass die "feministische Außenpolitik" Deutschlands nicht kritisiert, was gerade Fakt ist. Das tut die verantwortliche Ministerin doch. Und zwar bereits mehrmals.

  • Die Analyse stimmt zum Teil. Hilfsgüter aus der Luft sind durch die Luftbrücke hierzulande sicherlich positive besetzt, haben sich aber bald schon mal als problematisch und ineffizient erwiesen. Nun wurde der Druck zu Recht erhöht und Israel will den Grenzübergang öffnen und die Zahl der Hilfslieferungen erhöhen. Zu spät, kann man hinzufügen. Den Kampf der Bilder haben sie schon verloren, das war bald klar.

    Dass sich die Autorin darüber echauffiert, die Hilfslieferungen aus der Luft würde problematische Bilder erzeugen, da eben kein solidarisches Verhalten der palästinensischen Bevölkerung in Gaza zu sehen, sondern das Prinzip survival of the fittest zu erkennen ist, halte ich für merkwürdig.

  • Wichtiger Artikel! Die so hübsch in Leitlinien und Grundsätzen auf internationalem Parkett aufgeblasene neue „humanistisch-feministische“ Außenpolitik unseres grünen Außenministeriums, ist beim ersten Härtetest verpufft. Pulverisiert in fragwürdiger "bedingungsloser Solidarität“ mit Israel. Mit „totalem Gesichtsverlust“ ist diese peinliche moralische Verzwergung deutscher Außenpolitik nur unzureichend beschrieben.

  • Mal wieder wird jene Lösung nicht gefordert, die den Zivilisten am meisten helfen würde: die Eröffnung des Grenzüberganges Rafah, damit sie das Kriegsgebiet verlassen können. (Ich vermute übrigens dass eine Weigerung Ägyptens gegen die Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit verstößt.)

  • Ein sehr guter Artikel. Er wäre allerdings noch informativer gewesen, wenn er auch die Haltung der Anrainerstaaten, der Golfstaaten im speziellen, zu dieser Angelegenheit mit einbezogen hätte. Aus meiner Sicht werden diese zu wenig mit in die Pflicht genommen, um humanitäre Hilfe zu gewährleisten.

    • @Sam Spade:

      Jordanien koordiniert seit Wochen mit anderen Staaten die Hilfslieferungen aus der Luft. Die UAE hat jetzt aufgrund des Angriffs auf die Hilfsmitarbeiter vorerst ihre Arbeit eingestellt. Sie bringen ebenfalls seit Monaten Hilfslieferungen über die Land- und Seeroute. Saudi Arabien, Katar und Kuwait ebenso. Man kann das alles ganz leicht finden. Und ja auch der Iran hat wohl über das IRCS Hilfslieferungen gesendet. Ägypten hat bereits im Februar Hilfslieferungen per Luft abgeworfen und auch Libyen hat im November 50 Mio$ für Hilfslieferungen bereitgestellt und das obwohl beide Länder sich in einer Wirtschaftskrise befinden. Nur weil man sich hier in Deutschland und im Westen auf die Schulter klopft und wie in dem Artikel gesagt, ein Spektakel daraus macht, heißt es nicht das andere nicht helfen.

    • @Sam Spade:

      Und wie soll diese Hilfe in der Praxis aussehen? Nur Ägypten grenzt an Gaza, und da entscheidet Israel was rein- und rausgeht.

    • @Sam Spade:

      Die Grenzübergänge kontrolliert Israel und es sind israelische Soldaten die Hilfslieferungen über Land derzeit verhindern.

      Die Anrainerstaaten könnten natürlich einen Krieg gegen Israel beginnen, aber ich wage zu bezweifeln das Sie das mit "humanitäre Hilfe" meinten.

      Sonst bleiben auch diesen Staaten genau wie allen anderen, nur die Luft und Seebrücke.

      Die Anrainerstaaten könnten und sollten mehr tun um Verhandlungen zu ermöglichen, das ist richtig.

      Bei Humanitärer Hilfe sind diese jedoch ebenso hilflos, wie alle anderen auch

  • Danke für diesen Artikel. Ich würde nur ergänzen, das ein Fehlen ziviler Hilfsorganisationen gleichzeitig dann auch bedeutet, das kaum noch unabhängige Beobachter im Gazastreifen sind. Denn diese zivilen Organisationen liefern auch unheimlich wichtige Lageberichte zur medizinischen Versorgung, zur Versorgung mit Lebensmitteln und zum allgemeinen Gesundheitszustand. Viele Berichte in den Medien stützen sich auf Aussagen dieser Organisationen, das sind ja im Grunde die einzigen Ausländer die nach Gaza dürfen, da Journalisten der Zugang verweigert wird.. Wenn die vor Ort aufgrund der Sicherheitslage nicht mehr ihre Arbeit verrichten können, wird es schwer noch an Informationen zu gelangen.



    Ich finde es absolut beschämend was der Westen hier zulässt. Es hätte schon nachdem das vorläufige IGH Urteil im Januar gefallen ist und sich abzeichnete, das Israel nicht wie aufgetragen die humanitäre Hilfe sicherstellt, Sanktionen geben müssen. Jetzt hat der IGH seine Forderung nochmal erneuert und Israel verweigert nicht nur UNRWA die Lieferung von Hilfsmitteln in den Norden, sondern greift auch noch Mitglieder einer Hilfsorganisation an und trotzdem hört man nichts von Sanktionen oder Waffenembargo.

  • Ein Armutszeugnis der Weltgemeinschaft.



    Kugeln statt Mehl. Kommen da nicht mal Gedanken auf, dass da Einige gewaltig irren über die Wirkungen von Rache und Vergeltung!?

  • Danke für so viel Wahrheit!



    Deutschland muß endlich den Schritt tun :



    Keine Angriffs - Waffenlieferungen mehr an Israel!!!