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Israelische Angriffe in GazaPfleger und Helfer unter den Opfern

Nach Luftschlägen auf humanitäre Helfer in Gaza stellen Hilfs-NGOs ihre Arbeit ein. Im Al-Schifa-Krankenhaus bietet sich ein Bild der Zerstörung.

Fotografische Notaufnahme: das Gelände um das Al-Schifa-Krankenhaus am 1. April Foto: Mohammed Hajjar/ap

Jerusalem taz | Nach einem israelischen Angriff auf einen Konvoi der internationalen Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) mit sieben Toten will die NGO ihre Arbeit im Gazastreifen vorerst einstellen. Fotos zeigen ein zerstörtes Fahrzeug mit dem Logo der Organisation sowie die Leichen mehrerer internationaler Mitarbeiter mit Schutzwesten. „Dies ist ein Angriff auf humanitäre Organisationen, die in einer verzweifelten Situation dort Hilfe leisten, wo Nahrungsmittel als Kriegswaffe missbraucht werden“, sagte die WCK-Vorsitzende Erin Gore am Dienstag. „Das ist unverzeihlich.“

Der Konvoi sei trotz Koordinierung mit der israelischen Armee am Montag in Deir al-Balah beschossen worden, teilte WCK mit. Die Organisation verteilt unter anderem Hilfslieferungen, die übers Meer aus Zypern in Gaza eintreffen. Die Fahrzeuge seien deutlich gekennzeichnet gewesen und hätten sich nicht in einem aktiven Kampfgebiet befunden. Bei den Toten handle es sich um Mitarbeiter aus Australien, Polen, Großbritannien und eine Person mit kanadischer und US-Staatsbürgerschaft. Drei weitere Tote seien palästinensische Angestellte.

Vertreter mehrerer westlicher Staaten, darunter der britische Außenminister David Cameron und seine australische Amtskollegin Penny Wong, verurteilten den Angriff. „Der tragische Vorfall von gestern Abend ist auf einen Angriff der Armee zurückzuführen, und wir untersuchen die Umstände“, teilten die israelischen Streitkräfte mit. Es werde eine „umfassende Prüfung auf höchster Ebene“ geben, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am Dienstag: „So etwas passiert in Kriegszeiten.“

WCK und die US-Hilfsorganisation Anera teilten mit, ihre Arbeit in der Region zeitweilig zu unterbrechen. Die katastrophale Versorgungslage im Gazastreifen verschlechtert sich damit weiter. Anera zufolge stellen beide Organisatio­nen zusammen rund zwei Millionen Mahlzeiten pro Woche zur Verfügung. Mehr als eine Million Menschen in Gaza leiden laut der Einschätzung mehrerer UN-Organisationen bereits jetzt „katastrophalen Hunger“. Hochrangige Vertreter der USA und der UNO werfen Israel vor, die Lieferung von überlebenswichtiger Hilfe zu behindern. Israel bestreitet das.

Versorgungslage verschlechtert sich weiter

Ein Bild der Zerstörung bietet sich indes in der Al-Schifa-Klinik in Gaza-Stadt, dem größten Krankenhaus in dem Gebiet. Nach einer zwei Wochen währenden Operation meldete die israelische Armee am Montag ihren Abzug aus der Klinik. Bei dem Einsatz wurden nach Armeeangaben Kämpfer der Hamas getötet und 900 Verdächtige verhaftet. Netanjahu sprach von 200 getöteten „Terroristen“ und nannte die Aktion einen großen Erfolg. Ähnlich hatte sich die israelische Führung jedoch bereits nach der ersten Erstürmung des Krankenhauses im November geäußert. Die Hamas bestreitet die militärische Nutzung der Anlage.

Kurz bevor die Armee am 18. März ihren Angriff auf die Klinik startete, befanden sich laut palästinensischen wie israelischen Angaben noch Tausende Patienten, Geflüchtete und medizinisches Personal auf dem Gelände. Nun zeigen Bilder von Nachrichtenagenturen die Klinik ausgebrannt und vollständig in Trümmern. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Zivilschutzes wurden rund 300 Leichen rund um das Krankenhaus gefunden. Ob es sich bei ihnen um Kämpfer oder Zivilisten handelt, ist nicht bekannt.

Laut dem Bericht eines Washington-Post-Fotografen hing am Sonntag Verwesungsgeruch über dem Gelände. Zahlreiche nicht verifizierte Videos von Palästinensern vor Ort zeigen teils verweste, verbrannte oder augenscheinlich von schwerem Gerät platt gewalzte Leichen. Der US-Sender CNN zitiert seinen palästinensischen Mitarbeiter Chader Al Za’anun: „Wir haben in den Häusern um das Krankenhaus ganze Familien tot und verwest gefunden.“ In der nicht mehr funktionierenden Klinik halten sich laut der Weltgesundheitsorganisation WHO noch immer rund einhundert Patienten und 50 Mediziner auf.

Netanjahu will indes den katarischen TV-Sender Al Jazeera in Israel schließen, den er als „Sprachrohr der Hamas“ bezeichnet. Der Sender unterhält als einer von wenigen noch immer ein eigenes Korrespondentennetz im Gazastreifen und ist einer der reichweitenstärksten Sender in der arabischen Welt. Er wird jedoch auch wegen seiner mangelnden Distanz zur Hamas kritisiert. Al Jazeera erklärte, die Berichterstattung in Israel fortsetzen zu wollen.

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4 Kommentare

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  • "Die Fahrzeuge seien deutlich gekennzeichnet gewesen und hätten sich nicht in einem aktiven Kampfgebiet befunden."

    Die Medien sollten den Vorfall genau prüfen. Zum Beispiel den Bericht des israelischen Militärs, zudem mit beteiligten Miltärs sprechen und sich die Umstände des schweren Fehlers bis ins letzte Detail erklären lassen.

    Wie kann es sein, dass in einem nicht aktiven Kampfgebiet drei Raketen von einer Drohne auf die Wagen abgefeuert wurden?



    Nach dem Beschuss des ersten Wagens stiegen die Zivilisten (darunter Verwundete) in die verbliebenden Fahrzeuge um, wurden wieder mit Racketen beschossen. Warum?

    Operiert die Hamas überhaupt noch mit eigenen Wagen?

    Da die Raketen aus einer Drohne abgefeuert wurden, liegt mit Sicherheit Video- und Audiomaterial von dem Beschuss der Wagen vor. Dass sollten sich die Medien vorlegen lassen. Zudem den gesamten Funkverkehr des Piloten der Drohne mit der übergeordneten Befehlsstelle des israelischen Militärs.

    Warum waren die Geo-Daten über den Konvoi, die dem Militär über den Konvoi vorlagen, nicht korrekt? Gab es hier kein Verifikationsprinzip mit Bestätigung des zivilen Organisation?

    Auch wenn die Daten falsch waren, so wusste dass israelische Militär doch, dass ein ziviler Konvoi unterwegs war. Warum also der Beschuss?

    Bericht über unpräzise Drohnenangriffe in Gaza von human right watch bei dem es zivile Opfer in Gaza gab. Welche Berichte liegen hier beim israelischen Militär vor? Gab es Konsequenzen?

    www.hrw.org/report...-launched-missiles

    Bericht eines allerdings sehr israelkritischen NGO über den Einsatz von Drohnen in Gaza

    impactpolicies.org...city-in-war-crimes

    Verwendete Drohne

    de.wikipedia.org/wiki/Elbit_Hermes_450

  • 8G
    80580 (Profil gelöscht)

    Die Israelis begehen Kriegsverbrechen ohne Ende, es wäre an der Zeit daß die Verantwortlichen auch in Den Haag angeklagt werden. Was den Kriegsverbrechern in Russland Recht ist kann den Kriegsverbrechern in Israel nur billig sein.

  • Wer will und soll denn jetzt noch freiwillig dort helfen, wenn Israel ohne zu schauen, ohne nachzudenken, jetzt auch die Helferinnen + Helfer tötet?

    • @Ernie:

      Am gruseligsten ist die anschließende Reaktion: "passiert halt"

      Nach so einer Aussage ist eigentlich klar, das keine vernünftige Untersuchung zu erwarten ist, wie es zu diesem "Fehler" kommen konnte.

      Keine Kampfhandlungen vor Ort + genau gekennzeichnet +vorzeitig informiert.

      Da kommt ein ganz unangenehmer Verdacht auf.

      Vll hat man ja nachgeschaut und genau gewusst, wen man da bombardiert.

      Mid. einer der Beteiligten muss hier eigentlich in böser Absicht gehandelt haben.

      Das Israel Hilflieferungen behindert ist ja bereits bekannt.... ein direkter Angriff auf Hilfslieferungen deckt sich mit Israels Kriegszielen.

      Ich glaube nicht an einen Befehl von ganz Oben, eher das da einem lokalen Befehlshaber vor Ort die Sicherung durchgebrannt ist.

      Die derzeit bekannten Informationen sprechen eher nicht für einen Unfall.

      Eher für ein Kriegsverbrechen.