Antisemitismus in Institutionen: Es fehlt die Klarheit

Instagram-Aktivismus und Zensurverdacht: Zwischen Antisemitismus- und Rassismusvorwürfen finden Institutionen wenig Worte.

Menschen mit Transparenten auf der Straße, ein Mann in der Mitte mit Mikrofon in der Hand

Kultursenator Joe Chialo (Mitte) bei einer Demo gegen Antisemitismus am 10. März in Berlin Foto: Michael Kuenne/PRESSCOV/Sipa USA/picture alliance

Seit einigen Tagen führt der Berliner Kultursenat Umfragen zum Umgang von Kulturinstitutionen mit Antisemitismus und Rassismus durch. Abgefragt werden Erfahrungswerte, Vorschläge und bestehende Umgangsformen mit dem „gesellschaftlichen Klima“ seit dem 7. Oktober. Das Ziel: ein senatsübergreifendes Maßnahmenpaket gegen jede Form der Diskriminierung entwickeln. Kultursenator Joe Chialo (CDU) reagiert damit auf die lautstarke Kritik an seiner mittlerweile wieder ausgesetzten Antisemitismusklausel.

In einem Interview mit radioeins mahnte Chialo an: „Wir müssen durch Dialog die Räume in der Kultur wieder weiten.“ Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner hingegen betonte bei einem CDU-Parteitag vor wenigen Tagen, weiterhin an der im Januar gescheiterten Klausel festhalten zu wollen.

Nicht nur in Berlin wird nach Lösungen in der fortwährenden Debatte um Antisemitismus im Kulturbetrieb und den Vorwürfen einer rassistischen Cancel Culture gesucht. Vergangene Woche veröffentlichte die Kulturministerkonferenz der Länder zusammen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und den kommunalen Spitzenverbänden eine Erklärung zur Verhinderung von Antisemitismus und Rassismus in Kunst und Kultur. Im Zentrum stehen die „rechtssichere Regelung“ von Förderbedingungen und die Stärkung der „Eigenverantwortung“ von Kulturinstitutionen – verbunden mit dem Auftrag, sogenannte Codes of Conduct zu entwickeln. Doch bringt das die erhoffte Klarheit?

Klarheit scheint vor allem in der Kommunikation von Störfällen zu fehlen: Mitte Februar war es im Hamburger Bahnhof in Berlin zur Störung einer Performance der Künstlerin Tania Bruguera durch propalästinensische Aktivisten gekommen. In einem auf Instagram veröffentlichten Statement der Museumsleiter Sam Bardouil und Till Fellrath am Tag darauf umschrieb man die antisemitischen Parolen der Aktivisten mit „gewaltsamer Hassrede“.

Wilde Spekulationen in Kommentarspalten

Anstatt das Ziel der Attacke, Mirjam Wenzel, die man aufgrund ihrer Funktion in einer jüdischen Einrichtung als zionistische Rassistin diffamierte, zu benennen, wurde von einem Angriff auf die „Kunstfreiheit“ gesprochen – und über die vorherige Einladung der Aktivisten durch die Künstlerin geschwiegen.

In den Kommentarspalten zu Sam Baradouils Instagram-Post wurde daraufhin wild spekuliert. Im Streit um die Deutung der Vorfälle brachten sich nicht nur die anwesenden Aktivisten ein.

Auch Axel Wallrabenstein, damals noch Vorstandsmitglied des KW Institute for Contemporary Art, beteiligte sich. Er warf einigen der propalästinensischen Aktivisten ideologische Verblendung vor, da sich diese als queere Menschen nicht von der Hamas distanzieren. Er selbst hingegen wolle „als schwuler Mann nicht von der Hamas ermordet werden“.

Als „zionistische Propaganda“ bewertet

In den sozialen Medien teilt der ehemalige Sprecher des Berliner Kultursenats und Vertrauter Joe Chialos nicht erst seit dem 7. Oktober proisraelische Inhalte. Darunter auch Statements der israelischen Streitkräfte, Fotos israelischer Geiseln und viel Kritik an propalästinensischen Aktivisten aus Kunst und Kultur.

Der sich propalästinensisch positionierende Berliner Kurator Edwin Nasr und die Performerin Nomi Sladko werten diese Posts als „zionistische Propaganda“. Wallrabenstein gilt ihnen als „White Supremacist“ – wie es in einer der taz vorliegenden Instagram-Story des Kurators Nasr heißt.

Am 14. Februar, zwei Tage nach der Auseinandersetzung in den sozialen Medien, veröffentlichten die KW ein Statement in einer Instagram-Story: „KW distanziert sich von dem Verhalten und dem Austausch eines ihrer Vorstandsmitglieder mit anderen Parteien über soziale Medien.“ Lücken im Statement – wie Namensnennung und konkrete Vorfälle – wurden schnell durch propalästinensische Accounts gefüllt: Nach Veröffentlichung der KW-Story verlinkten propalästinensische Aktivisten Wallrabenstein und die KW in eigenen Storys und feierten das Statement als ihren Erfolg.

Wallrabenstein trat wenige Tage nach Veröffentlichung des Statements zurück. Einen Zusammenhang zwischen dem diffusen Statement der KW und Wallrabensteins Rücktritt wollten auf taz-Anfrage sowohl die KW als auch ihr ehemaliges Vorstandsmitglied nicht bestätigen.

Im Umfeld Wallrabensteins mutmaßt man aber, die Distanzierung sei aus Angst vor der Absage von Künstlern und der Kampagne „Strike Germany“ erfolgt. Wie Krist Gruijthuijsen, der scheidende Direktor der KW im tip-Interview schildert, war auch die Ausstellung „Poetics of Encryption“ von Absagen der Kampagne betroffen. Wallrabenstein wurde mittlerweile von der Gründerin der Craftbeer-Brauerei BRLO, Katharina Kurz, als Vorstandsmitglied bei den KW ersetzt.

Diplomausstellung mit Protest in München

Doch nicht nur in Berlin laden Leerstellen zur Spekulation ein. Auch an der Akademie der Bildenden Künste München kam es im Februar zum Eklat: Zur dortigen Diplomausstellung sabotierten Protestierende die Ausstellung und behängten die Wände mit neonfarbenen Plakaten. Zu lesen war dort der offene Brief einer Initiative von Akademie-Studierenden. Betreff: „Gegen Zensur an der AdBK München“. Zensur witterten die Protestierenden hinter der Entscheidung des Präsidiums, die Vertretungsprofessur der palästinensischen Künstlerin Jumana Manna nicht zu verlängern.

Manna hatte am 16. Oktober 2023 ihre Vertretungsprofessur an der Akademie angetreten. Am 7. Oktober teilte die Künstlerin auf ihrem Instagram-Account mehrere Storys, die die israelischen Opfer des Hamas-Massakers verhöhnen. In einer kommentierte sie ein Video von Besuchern des Nova-Musikfestivals, die auf der Flucht vor der Hamas um ihr Leben rennen: „Es macht wohl keinen Spaß, in der Umgebung des weltgrößten Freiluftgefängnisses zu raven.“

Was bei all diesen Fällen ins Auge sticht, ist die unzureichende Kommunikation

Zum Zusammenhang von Mannas Posts und der ausbleibenden Verlängerung ihres Vertrags erfolgte keine Stellungnahme des Präsidiums der Akademie. Auf taz-Anfrage lässt das Präsidium verlauten, man äußere sich „grundsätzlich nicht zu Personalangelegenheiten“. Verwiesen wird auf ein Statement von Manna auf der Plattform Hyperallergic, das die Künstlerin nach einem Gespräch mit Akademie-Präsidentin Karen Pontoppidan verfasst haben soll. Darin relativiert Manna ihre Posts und kehrt den Vorwurf des Antisemitismus in den Gegenvorwurf einer rassistischen „Schmierenkampagne“ um.

Kulturräume weiter gespalten

Kritik am Stillschweigen der Akademieleitung übt eine Initiative von jüdischen und antisemitismuskritischen Studierenden der Akademie: „Das Problem ist, dass es keine klare Stellungnahme gibt“, sagt eines ihrer Mitglieder. Ein im Nachgang der Proteste herumgeschickter Rundbrief der Präsidentin sei zwar klar in seiner Kritik an Jumana Manna, aber käme eben zu spät. Das Gerücht sei da schon in der Welt gewesen und viele Studierende „witterten eine Kampagne“, ohne die Äußerungen Mannas zu kennen.

Was bei all diesen Fällen ins Auge sticht, ist die unzureichende Kommunikation. Wer die Räume der Kultur weiterhin offenhalten will, muss klare Worte für Angriffe auf sie finden. Denn wo die Klarheit in der Benennung fehlt, da sprießen Gerüchte. In den Kanälen sozialer Medien gerinnen diese schnell zu sich selbst bestätigenden Stereotypen – und zementieren Diskursbarri­kaden, die Kulturräume weiter s­palten. Von den KW bis nach München: Leerstellen, wohin man auch schaut.

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