Forscher über Finanzbehörde im NS: „Ein dichtes Verfolgungsnetzwerk“

Jaromír Dittmann-Balcar erforscht im Auftrag der Hamburger Finanzbehörde, wie sich der Fiskus während des NS an rassistisch Verfolgten bereicherte.

Auf einem Bauschmuck auf roter Klinkermauer steht: Finanzdeputation

Ab 1860 hieß die heutige Hamburger Finanzbehörde Finanzdeputation: Bauschmuck über dem Eingang am Gänsemarkt Foto: Daniel Reinhardt/dpa

taz: Herr Balcar, welche Rolle spielte Hamburgs Finanzbehörde im nationalsozialistischen Staat bei der Beraubung rassistisch Verfolgter?

Jaromír Dittmann-Balcar: Die fiskalische Verfolgung war das Werk einer Reihe von Akteuren beziehungsweise Institutionen, die wie ein Orchester zusammenwirkten, wobei die Behörde des Oberfinanzpräsidenten oft die Rolle des Dirigenten einnahm. Mal erzeugte die Gestapo durch willkürliche Verhaftungen Druck auf die Opfer – vor allem jüdische, aber auch Sinti und Roma. Dann wieder sprach die Devisenstelle hohe Strafen für angebliche oder tatsächliche – teils unbeabsichtigte – Devisenvergehen aus. Hinzu kamen etliche Sondersteuern.

Welche zum Beispiel?

Unter anderem die im November 1938 nach der Reichspogromnacht erlassene „Judenvermögensabgabe“, mit der die Opfer den Schaden des gegen sie gerichteten Pogroms wiedergutmachen sollten. Die Begleichung dieser „Sühneleistung“ war Voraussetzung für die Emigration. Erst danach stellte das Finanzamt die nötige „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ aus.

Was fiel unter diese Steuer?

Aller Besitz. Schon im Frühjahr 1938 hatten die rassistisch Verfolgten ein Vermögensverzeichnis mit allen Immobilien, Bankkonten, Aktien und Wertgegenständen erstellen müssen. Von all dem mussten 20 Prozent gezahlt werden. Hierfür mussten viele ihre Immobilien beleihen oder Aktien verkaufen. Aber wenn das viele gleichzeitig tun, erfolgt ein Aktiencrash. Das hat dem Reichsfinanz- und den Reichswirtschaftsministerium schlaflose Nächte bereitet und etliche Konferenzen ausgelöst, wo diskutiert wurde, wie dieser Crash verhindert werden konnte.

Der ja vorauszusehen war.

Wirtschaftlicher oder finanzpolitischer Sachverstand ist für die NSDAP im Dritten Reich nie handlungsleitend gewesen. Bekanntestes Beispiel ist die ungedeckte Finanzierung der damaligen Aufrüstungspolitik.

Was kam bei besagten Konferenzen heraus?

Dass die Sondersteuer auch in Aktien und Immobilien bezahlt werden konnte. Zudem hat man ein Verfahren eingeführt, bei dem Aktien eingezogen, auf Treuhandkonten abgelegt und dann schrittweise veräußert wurden. Andere wurden im Paket weiterverkauft, wovon Konzerne wie Flick profitierten. Das war ein „Spiel“, an dem deutsche Hochfinanz und Großindustrie in großem Stil beteiligt waren.

Jg. 1966, Zeithistoriker, betreut bei der Stiftung Hamburger Gedenkstätten das zweijährige Projekt „Ausgeraubt vor der Deportation. NS-Verfolgte im Fokus der Hamburger Finanzverwaltung“. Die Ergebnisse werden 2025 in einer Ausstellung präsentiert. Von 2012 bis 2014 hatte er dasselbe für Bremen erforscht und das Buch „Raub von Amts wegen“ verfasst.

Wie reagierten die Verfolgten?

Teils versuchten jüdische Gewerbetreibende, „arische“ Kompagnons aufzunehmen oder das Geschäft formal auf einen Kompagnon zu übertragen. Das hat die Beraubung aber nur aufgeschoben.

Woran scheiterten sie?

Am dichten Verfolgungsnetzwerk aus Finanzbehörde, Gestapo und Preisüberwachungsstellen. Auch die Bankhäuser haben der Devisenstelle eilfertig mitgeteilt, welcher jüdische Kunde ein Devisenkonto hat. Da konnte man nichts verstecken.

Wie ging es weiter für die Emigrierenden?

Vor der Auswanderung mussten sie beim Finanzamt Listen des Umzugsguts einreichen. Kunst- und Wertgegenstände durften sie nicht mitnehmen. Außerdem mussten sie für alle ab 1933 gekauften Gegenstände eine Sondersteuer zahlen, ihr Eigentum also nochmals kaufen. Die Summe legten Zollbeamte fest, die in den jeweiligen Wohnungen das Umzugsgut begutachteten.

Was geschah dann mit dem Umzugsgut?

Großes Gepäck reiste getrennt. Die Liftvans – kleine Holzcontainer – wurden zunächst im Hamburger Freihafen gelagert und später mit Frachtschiffen transportiert. Wenn die nach England, Brasilien, in die USA Ausgewanderten Glück hatten, kam es nach einigen Monaten dort an. Wenn der Kriegsbeginn dazwischen kam, wurde ihr Umzugsgut entweder bei Bombardierungen zerstört oder zugunsten des Fiskus weit unter Wert versteigert. Genauso verfuhr man mit den Möbeln der ab Ende 1941 Deportierten. Ihre Hausschlüssel hatten sie an Zoll- oder Gestapo-Beamte abgeben müssen.

Offenbaren die von Ihnen gesichteten Akten, wie sich einzelne Beamte verhielten?

Die Finanz- und Zollbeamten waren mehr als bloße Schreibtischtäter, denn sie hatten in den Wohnungen direkten Kontakt zu den Opfern. Da die Beraubung aber arbeitsteilig organisiert war, trugen einzelne Beamte nur da und dort dazu bei. Das kann dazu geführt haben, dass vielen die gravierenden Folgen ihres Tuns verborgen blieben – oder sich noch leichter verdrängen ließen.

Gab es Handlungsspielräume?

Leider sind die Hamburger Personalakten sehr lückenhaft. Aber es gab durchaus Fälle, wo ein einzelner Beamter immer wieder Eingaben an übergeordnete Stellen bis ins Reichsfinanzministerium gemacht und gesagt hat: „Die Jüdin soundso ist eine ältere Dame, und sie braucht ihr Vermögen, um sich und ihre nicht erwerbsfähige Tochter durchzubringen.“ Deshalb möge man ihr bestimmte Steuern erlassen oder niedriger ansetzen. Solchen Eingaben wurde meist entsprochen.

Hatten auch die Zollbeamten Freiheiten?

Ja. Denn bei ihren Kontrollen in den Wohnungen in Anwesenheit der Verfolgten konnten sie entweder allen Besitz haarklein auflisten oder eben nicht. Zumal sie meist allein kamen und keine Denunziation durch Kollegen drohte. Und es fällt schwer zu glauben, dass sie nicht begriffen, dass sie an einem großen Raubzug beteiligt waren.

Wer war außer Finanz- und Zollbeamten an der Beraubung beteiligt?

Etliche. Denn die Finanzverwaltung hatte nicht die logistischen Möglichkeiten, Möbel, Hab und Gut in dem Umfang – und Hamburg hatte die viertgrößte jüdische Gemeinde des Deutschen Reichs – zu transportieren, zu lagern, zu versteigern. Dazu kam Umzugsgut von Verfolgten aus anderen Städten, die über den Hamburger Hafen auswanderten. Die Finanzbehörde brauchte also, wie im zweiten wichtigen Auswanderungsort Bremen, ein Netzwerk aus Spediteuren, Gerichtsvollziehern, Auktionatoren.

„Die Finanz- und Zollbeamten waren mehr als bloße Schreibtischtäter, denn sie hatten in den Wohnungen direkten Kontakt zu den Opfern“

Welche Speditionen profitierten?

Alle. Das ist ein Who is Who des regionalen Speditionsgewerbes, darunter auch Kühne + Nagel mit seinem Monopol bei der „M-Aktion“. Sie betraf Lagerung und Transport von Mobiliar und Besitz der aus Frankreich und den Benelux-Ländern Deportierten. Bis 1939 haben übrigens immer wieder niederländische Speditionen moniert, dass sie nicht an diesem lukrativen Geschäft beteiligt wurden. Das hatte die Lobby des deutschen Speditionsgewerbes verhindert.

Und wer führte die Auktionen durch?

Am liebsten beauftragte die Finanzbehörde vereidigte Gerichtsvollzieher, die mutmaßlich nicht in die eigene Tasche wirtschaften würden. Aus Personalmangel kooperierte man aber auch mit Auktionshäusern wie Carl F. Schlüter.

Wie verlief nach 1945 die Restitution?

Frappierend speziell für Hamburg ist, dass großteils dieselben Leute, die die Beraubung betrieben hatten, für die Restitution zuständig waren. Ihr fehlendes Unrechtsbewusstsein zeigen Argumentationen wie: „Wieso, für diese Gegenstände haben wir damals auf der Versteigerung 1.500 Reichsmark eingenommen. Gut, wir rechnen es um im Verhältnis eins zu zehn und bieten 150 D-Mark.“ So steht es in einer Wiedergutmachungsakte. Dabei waren die 1.500 Reichsmark nur ein Bruchteil des realen Werts.

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