Kneipen-Transplantation: Neue Mitte mit Bratkartoffeln

Die Hamburger Kneipe Blaue Blume ist vom Rand mitten hinein in die schicke Neue Mitte Altona gezogen. Macht das was? Ein Besuch.

Große Neubau-Mehrfamilienhäuser

Schicker wohnen: die Neue Mitte Altona. Ganz rechts das alte Bahngebäude, in dem jetzt die Blaue Blume ist Foto: Andreas Laible/Funke Foto Services/imago

Da an der Ecke ist sie mal gewesen, die Blaue Blume. Eine ehrliche Kneipe, drinnen Holzstühle und Holztische, über die Jahre blankgescheuert, im kleinen Vorgarten stand draußen im Sommer eine Biergartengarnitur. Man konnte da gut sitzen und, einige hundert Meter vom hippen Ottensen auf der anderen Seite der Bahngleise entfernt, eine selten gewordene Normalität genießen.

Es war immer recht viel los in der Blauen Blume, die sehr nahe an dem alten weißen Zollgebäude des Altonaer Güterbahnhofs lag, in dem die Hamburg-Redaktion der taz ihre Räume hatte. Manchmal ging es dorthin zum Mittagessen, und ganz vorne auf der Speisekarte standen die Bratkartoffeln. Es gab sie dort in allen Variationen, hinten aus der dampfenden Küche wurden sie gebracht, mit Ei und Gurke, mit Matjes, mit Schnitzel? Irgendwas mit Fleisch jedenfalls. Sie waren sehr gut.

Hindurch durch den Tunnel der Zeit, Jahre später, ist nicht mehr viel, wie es war in dieser Gegend. Der alte Güterbahnhof mit seinen Lagerhallen ist verschwunden, ein komplett neues Viertel wurde aus dem Boden gestampft: die „Neue Mitte Altona“. Sehr schick und sehr teuer, große SUVs verschwinden hinter den automatischen Rollgittern der Tiefgaragen. In dem Zollgebäude, wo die taz war, sind jetzt Architekturbüros. Da, wo die Blaue Blume war, ist Leerstand: blinde Fenster, alles still, der Garten verwaist.

Doch die Kneipe ist nicht tot, sie hat sich nur neu erfunden. Hundert Meter weiter sitzt sie jetzt in einem der wenigen alten Backsteingebäude der Bahn, die übrig geblieben sind. In der Mitte eines Platzes, sehr prominent, leuchtet das „Blaue Blume“-Schild, umgeben von erleuchteten Wohnblöcken der Neuen Mitte Altona.

Drinnen an den Wänden hängen alte Intercity-Zugschilder, es ist ein bisschen schicker als in der alten Location, aber nur ein bisschen. Die Speisekarte hat sich gar nicht so groß verändert, es gibt jetzt mehr Veganes, aber immer noch bodenständige Küche, Grünkohl mit Kassler, Schnitzel und: Bratkartoffeln!

Doch geht das überhaupt? Kann etwas gleich bleiben, wenn sich alles andere ändert?

Wait to be seated

Eigentlich sind wir ja gar nicht zum Essen hier, sondern zum Biertrinken. Wait to be seated, aber wieso eigentlich? Sind doch genug Tische frei, es ist ein Wochentag, da geht der Hamburger nicht so gern aus. Zumindest der Hamburger, der in der Neuen Mitte Altona wohnt, denn dieser Hamburger muss arbeiten, um die Miete zu bezahlen, oder die Raten, falls er die Wohnung gekauft hat und sie nicht einfach so bezahlen konnte. Aber auch dann muss er arbeiten, gerade dann.

Der Kellner kommt und mein Gegenüber bestellt nun doch einen Camembert, der später auf einem sehr kleinen Teller kommt, und was wollen Sie zu trinken bestellen? Ja, sagt mein Gegenüber, der aus Bayern zugezogen ist, was ist denn das, was da auf der Karte steht, „Aktionshahn?“ Das klingt ja interessant!

Das ist ein … sagt der Kellner, ein sehr netter junger Mann, der etwas schüchtern ist und nicht ganz deutlich spricht.

Ein …?

Ein „Ale“, das haben wir da hinten auf der Tafel angeschrieben.

Ale, sagt mein Gegenüber, heiße in Bayern Blermerl-Bier, also „Blümchen-Bier“ wegen seines fruchtigen Geschmacks. Er zögert, soll er, soll er nicht? Das Bier steht auch auf der Karte, weiter unten, es soll „isotonisch“ sein, das überzeugt ihn.

Das Ale kommt dann in einem 0,4-Glas für sechs Euro plus, es ist sehr trüb und es schmeckt? Ja, nach was eigentlich … sehr süß jedenfalls. Ananas? Maracuja? „Interessant“, sagt mein Gegenüber.

Stühle auf dem Tisch

Wir reden, die Blaue Blume leert sich, irgendwann wird es neben uns laut. Das sind die Stühle, die auf die Tische gestellt werden, der Kellner steht etwas unschlüssig in der Nähe. Er ist wirklich sehr nett, aber wir sind nun mal die Letzten.

Es ist noch nicht mal 23 Uhr.

Angeblich zeichnet sich die Neue Mitte ja durch ihr kulturelles Kapital und ihren Lifestyle aus. Aber sie muss auch Geld verdienen und kann es sich nicht leisten, in irgendwelchen Kneipen zu versumpfen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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