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Baerbock beim UN-MenschenrechtsratWelten prallen aufeinander

Beim Besuch internationaler Institutionen sucht Außenministerin Baerbock im UN-Menschenrechtsrat Gemeinsamkeiten – findet aber wenige.

Baerbock nimmt an einer Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen teil Foto: Hannes P Albert/dpa

Genf taz | Es ist die vorerst letzte Station für Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrer Tour durch die Institutionen der Vereinten Nationen. Erst ein Besuch in New York in der UN-Generalversammlung und im Sicherheitsrat Ende vergangener Woche, am Montag nun ein Kurzbesuch in Genf beim UN-Menschenrechtsrat. Die Liste der Verbrechen gegen die Rechte von Frauen, Männern, Kindern weltweit ist lang. In diesen Tagen ist es der zweite Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, das Gebaren von Putins Regime, das Baerbocks Reisen dominiert. Erst in der Nacht war Baerbock von einem Besuch im Osten der Ukraine wieder nach Deutschland zurückgekehrt.

Dass der Krieg auch vor der Ministerin nicht Halt machte, musste sie in der südukrainischen Stadt Mykolajiw selbst erleben, als eine russische Drohne Baerbocks Delegationskolonne verfolgte. Eine Machtinszenierung gegenüber der deutschen Ministerin, die in den vergangenen Tagen deutliche Worte an Putin und sein Regime richtete, und gegenüber der Bundesregierung, die weitere Waffenpakete versprochen und weitere 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Kriegslandes zugesagt hat.

„Wir versuchen seit zwei Jahren, dass dieses Leiden ein Ende hat“, sagt Baerbock in Genf. Und sie verweist auf Friedensbemühungen in aller Welt – aber auch auf die Kriegsverbrechen in Butscha oder Irpin. Es gebe keinen Weg für Verhandlungen derzeit.

Auch der Tod des Kremlkritikers Alexei Nawalny vor rund einer Woche habe erneut gezeigt, zu welchen Taten Putins Regime fähig ist. Auf die Frage, ob vor Nawalnys Tod ein Gefangenentausch gegen den sogenannten Tiergarten-Mörder geplant war, schweigt die Außenministerin. Weder sie noch die Bundesregierung würden das kommentieren, sagt sie.

Deutschland wird Messen mit zweierlei Maß vorgeworfen

Während Putin weiter bombt und Präsident Wolodymyr Selenskyj weltweit um Waffen, Geld und humanitäre Hilfe bittet, verdrängt der gewaltsame Konflikt im Nahen Osten in den Debatten des Menschenrechtsrats die ausweglose Lage in der Ukraine. Israels drohende Militäroperation in Rafah stößt bei etlichen Red­ne­r:in­nen auf Unverständnis, insbesondere bei Ver­tre­te­r:in­nen aus dem globalen Süden. „Waffenstillstand jetzt“ lautet die Forderung.

Der saudi-arabische Vertreter, der vor Baerbock im Plenum spricht, prangert das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza an und fordert die Weltgemeinschaft auf, sich für Frieden in der Region einzusetzen. Die Außenministerin weiß, dass Deutschland auf internationalem Parkett doppelte Standards vorgeworfen werden. Zu wenig Kritik an Israels Kriegsführung, zu schwache Aufforderungen an die israelische Regierung, die Zivilbevölkerung in Gaza besser zu schützen. „Mehr Hilfe muss zu den Menschen in Gaza gelangen. Ein Leben ist ein Leben, in Tel Aviv wie in Rafah“, betont Baerbock gewohnt emotional vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf.

Die humanitäre Lage in Gaza sei katastrophal. Und sie appelliert an Israel: Die israelische Regierung dürfe sich verteidigen, aber sie müsste dies innerhalb des humanitären Völkerrechts tun. Kurz nach Baerbock spricht der palästinensische Vertreter. Dass eine Zweistaatenlösung in weite Ferne gerückt ist, dass ein Ende des Krieges nicht bevorsteht und auch Verhandlungen über die Freilassung der Hamas-Geiseln stocken, daran lässt auch er keinen Zweifel.

Baerbocks Stopover beim Menschenrechtsrat wirkt in diesen Zeiten nahezu schal und wie ein Ausdruck des verzweifelten Wunschs, es möge doch noch so etwas wie einen gemeinsamen Wertekompass in der Welt geben. Die Kriegslage in der Ukraine wie im Nahen Osten lässt auf anderes schließen.

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10 Kommentare

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  • Der Vorwurf der Doppelmoral des sog. "Westens" und auch der BRD lässt sich nicht so ohne Weiteres entkräften. Ebenso wie die bisherigen Kommentierenden hier Mitgliedern des UN-Menschenrechtsrats aufgrund eigener "Verfehlungen" (um es einmal beinahe zynisch so zu nennen) das Recht absprechen möchten, anderer "Verfehlungen" anzuprangern, könnte man dies dem "Westen" entgegen halten, dem US-amerikanische Opfer (11.9.2001) oder ukrainische Opfer (seit 2014, spätestens aber seit dem 24.2.2022) "wichtiger" erscheinen als andere, v. a. in der muslimischen Welt (Irak, Libyen, Syrien, Palästina).



    Wie wäre es, wenn mensch mal aufhöre, immer "aber die Anderen" zu schreien. I have a dream!

  • Das ist nur ein Vorgeschmack auf die kommende "Weltordnung" der Marke Putin.

    Die westlichen Menschenrechtsaktivisten, NGOs und Medien, die bisher ausgesicherten Verhältnissen heraus (durchaus mit Argumenten!), dem Westen Doppelmoral vorwerfen, werden noch wehmütig an die Zeiten in denen sie das konnten, ohne ihr eigenes Leben und das ihrer Familien zu gefährden, zurückdenken.

    Letztlich sind die westlichen "Doppelstandards" doch nur das Scheitern an der perfekten Umsetzung hoher moralischer Ansprüche.



    Global gesehen versuchen die meisten Staaten aber nicht einmal, irgendwelche moralischen Prinzipien (abseits religiöser Bigotterie) einzuhalten, es sei denn sie werden vom Westen dafür bezahlt.

    Fälle wie Assange, die im Westen (nicht zu Unrecht) Empörung hervorrufen, sind in der Realität des globalen Südens unspektakulärer Alltag...und zwar schon auf lokaler Ebene. Die Regierungspraxis der Staatenmehrheit unterscheidet sich sich kaum von den Methoden der organisierten Kriminalität.

  • Da tönen die Richtigen, musste ich beim Lesen des Berichts denken. Die meisten in der Runde wissen ja aus ihren eigenen Ländern, wie man sie missachtet. Von der oftmals vorhandenen Sympathie für die Tunnelterroristen ganz zu schweigen.

  • "...es möge doch noch so etwas wie einen gemeinsamen Wertekompass in der Welt geben."



    Berechenbare Werte sind noch keine Wertschätzung.



    Wertediskussion und Ethik in der Kritik:



    Gibt's ja ironischerweise parallel für den Bereich Währung und Geld schon lange, bleibt aber auch umstritten seit Jahrzehnten.



    Es fehlen Machtoptionen für die forcierte Durchsetzung humanitärer Forderungen.



    /



    taz.de/Fruehjahrst...-und-IWF/!5927897/

  • Ich würde es gut finden, wenn von uns alle völkerrechtswidrigen Annektionen, Atombombenbasteleien und Angriffskriege identisch sanktioniert würden. Egal ob sie die Guten, die Bösen oder die dazwischen machen.

    Aber wir Zeitenwende-Moralapostel bekommen ja nicht mal ein Lieferkettengesetz auf die Reihe.

  • Man kann sich darüber streiten, ob es jemals gemeinsame Werte gab - und noch mehr darüber, ob die Außenpolitik irgendeines Staates - egal ob in Ost oder West - jemals von Werten statt von Interessen geleitet war. In der gegenwärtigen Situation wird allerdings weniger ein moralischer, als ein machtpolitischer Umbruch sichtbar: die nach dem Ende des Kalten Krieges fast uneingeschränkte Hegemonie der USA und ihrer europäischen Verbündeten erodiert - und ich fürchte. dass nicht jeder Politiker hier in dieser neuen, multipolaren Realität angekommen ist.

    • @O.F.:

      Ich hoffe dennoch Sie schätzen den Wert, dass Sie hier ihre Meinung frei und ohne Angst vor Repression äußern können irgendwie als verteigungswert ein.

  • "Baerbocks Stopover beim Menschenrechtsrat wirkt in diesen Zeiten nahezu schal und wie ein Ausdruck des verzweifelten Wunschs, es möge doch noch so etwas wie einen gemeinsamen Wertekompass in der Welt geben."

    Den gibt es nicht. Man braucht sich nur die aktuelle Zusammensetzung des Menschenrechtsrates anzusehen. Ein paar Highlights: Somalia, Eritrea, Afghanistan, Saudi-Arabien, Russland, China, Venezuela. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf der Doppelstandards natürlich besonders absurd. Dies gilt besonders für auch weitere Länder des sog. "globalen Südens", die Menschrechte zwar gerne in Israel anmahnen, bei sich zu Hause aber nichts davon wissen wollen.

    Und dass sich mit Saudi-Arabien nun ausgerechnet ein Land meint, zu Word melden zu müssen, das seine eigenen Oppositionellen schon mal im Säurebad auflöst, ist natürlich eine besonders zynische Pointe taz.de/Nach-Mord-a...nalisten/!5843669/

    • @Schalamow:

      Danke!



      Das große Missverständnis bzgl. UN und Menschenrechten scheint zu sein, dass in der öffentlichen Wahrnehmung angenommen wird, dass da bereits rechtlich Bestehendes geschützt werden solle, dabei waren/sind die UN von Beginn an angelegt als Institution, die auf eine Übersetzung in nationale Gesetzgebung überhaupt erst hinwirkt durch die Konventionen, aber eben weitgehend zahnlos.



      Wer sich dann mal die Mühe macht, die Alternativen zur AEMR anzusehen, die Kairoer Erklärung diverser islamischer Staaten etwa oder die Erklärungen, die Kollektive ggü. Individuen bevorzugen, und die Unterzeichnerstaaten mit Herkünften von Asylsuchenden abgleicht, wird zumindest menschenrechtlich allen Kulturrelativismus ablegen müssen, nützen doch augenscheinlich die alternativen Erklärungen ausschließlich den Machthabern.

      Nach dem ersten zynischen Lachen hilft dann nur Weitermachen über Generationen (erkämpft das Menschenrecht und so...)

  • Der famose UN--Menschenrechtsrat, der regelmäßig mehr Resolutionen gegen Israel erlässt als gegen die restlichen Staaten der Erde zusammengenommen und der über den pikanten Tagesordnungspunkt 7 verfügt, "Die Situation in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten", der Rest der Welt wird in einem anderen Punkt abgehandelt.

    Da kann man nur verzweifelte Wünsche haben.

    www.zeit.de/politi...antisemitismus-bds