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Yorgos Zois über seinen Film „Arcadia“„Schuhe haben mich immer verfolgt“

Im Film „Arcadia“ (Encounters) von Yorgos Zois spielen Geister eine große Rolle. Ein Gespräch über Sex und Tod, Schein und Krise und das Loslassen.

Die Realität selbst ist weird, sagt der Regisseur Yorgos Zois Foto: Wolfgang Borrs
Julia Hubernagel
Interview von Julia Hubernagel

taz: Herr Zois, in Ihrem Film spielt der kleine Tod eine große Rolle. Jedes Mal, wenn ein Geist einen Orgasmus hat, erinnert er sich an etwas. Was interessiert Sie an der Verbindung zwischen Tod und Sex?

Yorgos Zois: Tod und Sex haben eine sehr starke Beziehung. In Filmen und in der Literatur gibt es die besten Sexszenen nach einer Beerdigung. Ein Orgasmus ist wie ein kleiner Tod, man kann sich nicht wirklich daran erinnern. Ich wollte daher das umgekehrte Konzept für die Geister entwickeln. Wenn sie einen Orgasmus haben, erhalten sie ein winziges Stück vom Leben. Sie leiden unter partieller Amnesie, weil sie sich nur an das erinnern, woran sich auch die lebende Person erinnert, an die sie gebunden sind. Die Verstorbenen sind wie die ver­kapselten Erinnerungen der Lebenden.

Für Ihren zweiten Spielfilm haben Sie sich gleich einer der existenziellsten Fragen der Menschheit gewidmet: Was passiert mit uns, wenn wir sterben?

Ich erinnere mich, als ich jünger war, habe ich „Ghost“ mit Patrick Swayze und Demi Moore gesehen und meine Mutter gefragt, ob Geister existieren. Sie sagte: Geister sind genauso real wie die Liebe.

Sehr weise.

Aber es ist wahr! (Lacht) Liebe ist eine Art Gespenst, aber jeder glaubt an sie. Jacques Derrida sagte einmal, Kino ist die Kunst, Geister wiederkehren zu lassen. In „Arcadia“ geht es um den Kampf des Loslassens. Vielen Menschen spuken andere Menschen noch im Kopf herum, die sogar noch am Leben sind. Ex-Partner zum Beispiel. „Arcadia“ zeigt, dass man auch sein Gespenst loslassen kann, man kann es befreien. Im Film weiß man manchmal nicht, wer mehr leidet: der lebende Mensch, der kaum noch atmen kann und einen Geist hinter sich herzieht, oder der Geist, der dem lebenden Menschen nicht entfliehen kann. Ich mochte den Gedanken, dass die Geister lebendiger sind als die Menschen, weil sie eine Motivation haben, zu entkommen. Dieser Film ist die Chronik einer Beziehung, einer Trennung, die im Leben nicht stattfinden konnte und sich daher aufs Jenseits erstreckt.

Die Geister haben ihrerseits unbelebte Peiniger: ihre Schuhe. Unpraktisch, wenn man in High Heels stirbt.

Im Interview: Yorgos Zois

Yorgos Zois

wurde 1982 in Griechenland geboren. Er studierte ­Angewandte Mathematik und Atom­physik an der Technischen Universität Athen sowie Filmregie an der Universität der Künste ­Berlin. Sein Spielfilm „Interruption“ (2015) feierte Premiere bei den Inter­nationalen Filmfestspielen von Venedig. Bei den Greek Film Awards wurde er dafür mit dem Award für den besten Newcomer-Regisseur ausgezeichnet.

Schuhe erzählen etwas über den Charakter der Person, die sie trägt. In „Arcadia“ halten die Schuhe die Geister auf der Erde fest. Sie können tun, was sie wollen, sich betrinken, Sex haben, sprechen, Dinge zerstören, alles. Aber sie können ihre Schuhe nicht ausziehen. Schuhe als Motiv haben mich immer verfolgt: Wenn man sie allein auf der Straße sieht, ist es immer so, als würde ein Körper fehlen. Wenn auf dem Balkan Schuhe oben auf einem Seil oder Draht hängen, bedeutet das, dass jemand gestorben ist. In der Bronx hingegen kann es bedeuten, dass man das Viertel einer Gang betritt. Schuhe sind ein starkes Symbol: Denken Sie an die Tausende von Schuhen in Auschwitz.

Dabei heißt ihr Film „Arcadia“, referiert also eigentlich auf etwas Utopisches.

Arkadien ist in der griechischen ­Mythologie ein Ort, an dem Geister, Tiere und Menschen in Harmonie zusammenleben. Arcadia ist auch der Name der Bar, in der nachts Figuren aus allen Lebensbereichen ihr Unwesen treiben. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Die geistige Welt und die materielle Welt befinden sich alle in der selben Dimension. Ich denke, das ist auch wirklich so. Metaphysik bedeutet „hinter, nach der Physik“. Bei Aristoteles stehen beide Abhandlungen gleich hintereinander. In der Geschichte wurden schon oft Dinge zum Reich des Metaphysischen gezählt, bis man sie erklären konnte und sie der Physik zurechnete. Auch das Kino ist so. Es kann dir eine Realität zeigen, die du mit deinen eigenen Augen nie sehen könntest.

Sie haben in der Vergangenheit Sci-Fi-Kurzfilme gedreht, die in einer dystopischen, verlassenen Welt spielen. Topografien der Tristesse. Auch „Arcadia“ hat etwas Unwirkliches, spielt eigentlich in einem Urlaubsparadies, doch außer depressiven Einheimischen ist niemand da. Welche Rolle spielen Orte für Sie?

Ich betrachte Orte und Schauplätze als Charaktere im Film. Sie haben ihre eigene Persönlichkeit. Es kommt immer auf den Kontext an: Wenn man im Sommer da ist, ist es ein schöner Ferienort. Im Winter ist es beklemmend, wie verflucht. Ein weiterer Charakter, der in der Falle sitzt.

Um die 2010er Jahre entstand mit der Greek Weird Wave eine Bewegung, die mit viel schwarzem Humor und wenig Geld Filme machte. Yorgos Lanthimos, gehörte dazu, Athina Rachel Tsangari, Babis Makridis. Rechnen Sie sich dieser Bewegung zu?

„Arcadia“ ist nicht weird, er ist auch nicht realistisch. Es ist etwas dazwischen. Die Realität ist weird. Die Realität ist mysteriös, absurd. Arkadien ist ein Niemandsland, in dem Logik und Absurdität, Realität und Fantasie so ineinander übergehen, dass man sie nicht unterscheiden kann. Greek Weird Wave ist bloß ein Etikett, das Kritiker gern benutzen, um zu kategorisieren.

Was gefällt Ihnen an der Bezeichnung nicht?

Ich würde nicht sagen, dass mein Film dazu gehört. „Arcadia“ spielt mit den Genres, ist magischer Realismus. Eigentlich war das griechische Kino sowieso schon immer weird. Kürzlich habe ich mir einige Filme aus den 60er Jahren angesehen, und sie kamen mir so modern und so seltsam vor. Ich denke auch, dass die Greek Weird Wave vor einigen Jahren aufgehört hat.

Die Bewegung ist aus der Schuldenkrise Griechenlands heraus entstanden, da wäre es ja auch naheliegend, wenn sie mittlerweile abgeflaut ist, oder?

Die nächsten Vorführungen

20. 2., 12.30 Uhr, Colosseum 1

21. 2., 21.30 Uhr, Babylon Kreuzberg

22. 2., 21.30 Uhr, Cineplex Titania

24. 2., 12.30 Uhr, AdK

25. 2., 22 Uhr, AdK

Die Krise ist immer da. Krise auf Griechisch bedeutet Urteil. Man urteilt. Im Kapitalismus, wenn ein Land in eine Krise gerät, gibt es plötzlich eine Scheinentwicklung, weil ausländische Leute Kapital investieren. Eine Blase. Die meisten meiner Freunde stecken momentan in einer tiefen Krise, weil sie aus dem Zentrum von Athen wegziehen müssen. Wir haben alle in billigen Wohnungen gelebt, und jetzt sind die Mieten sehr hoch geworden. Athen verwandelt sich in ein Museum. Und dann ist da noch die politische Krise. Die Linke ist so gespalten, dass es keinen Gegner für die rechte Regierung gibt. Es gibt keine richtige Opposition. Der Premierminister spielt das Fußballspiel allein. Eine Krise der Demokratie.

Wie schlägt sich das in der griechischen Filmszene nieder?

Die meisten der Filmemacher, die ich kenne, machen europäische Koproduktionen. Meinen nächsten Film schreibe ich auch auf Englisch. Aber: Was die jüngere Generation macht, ist sehr vielversprechend. Ich denke, man wird in Griechenland demnächst viele gute Filme von jungen, aufstrebenden Regisseuren sehen.

Von welchen Filmen haben Sie sich für „Arcadia“ inspirieren lassen?

Sicher von „A Ghost Story“ von David Lowery. Und von Carlos Reygadas, dem mexikanischen Filmemacher, „Post Tenebras Lux“. Generell vom lateinamerikanischen Kino. Vor Kurzem habe ich mir aber auch „Onkel Boonmee, der sich an seine früheren Leben erinnern kann“ von dem thailändischen Regisseur Apichatpong Weerasethakul noch einmal angesehen. Und er sagte in einer Szene, dass Geister nicht an Orte gebunden sind. Sie sind an die Menschen gebunden, an die Lebenden. Was ich also in „Arcadia“ zeige, mag in der westlichen Welt seltsam erscheinen. In Asien zum Beispiel ist es viel normaler, mit Geistern zu leben, mit ­verstorbenen Vorfahren. Wenn dieser Film in Asien gezeigt wird, glaube ich nicht, dass jemand sagen wird, er sei seltsam.

Sie haben einen neuen Film erwähnt, an dem Sie arbeiten. Worum geht es da?

Ich bin gerade dabei, ihn zu schreiben. Es wird ein Film über den Klassenkampf, der aus der Sicht von Aliens erzählt wird.

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