Brand in Abschiebehaft Glückstadt: Abschieben um jeden Preis

Um sich das Leben zu nehmen, zündet M. seine Zelle im Abschiebeknast an. Der Gefängnisleiter leugnet den Suizidversuch.

Eine Backsteinwand mit vergitterten Fenstern und Nummern daran

Hoffnungslosigkeit hinter Gittern: Abschiebhaft Glückstadt Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Es war nur eine kleine Polizeimeldung: Am 5. Januar sei es in der Abschiebehaftanstalt Glückstadt zum Brand einer Ma­tratze im Raum eines 22-jährigen Marokkaners gekommen. Durch das schnelle Eingreifen der Vollzugsbeamten hätte der Mann zügig aus dem Raum geholt und vom Rettungsdienst versorgt werden können. Außer Verbrennungen an den Händen des Marrokaners sei kein Schaden entstanden. Das Justizministerium Schleswig-Holstein veröffentlichte gar keine Meldung zu dem Vorfall.

In Wirklichkeit aber ist der Fall dramatisch. Das belegen Dokumente aus dem Krankenhaus Itzehoe, Berichte von den Notärzten der Haftanstalt und Dokumente der Bundespolizei, die die taz einsehen konnte. Hinzu kommen Schilderungen einer Aktivistin aus dem Unterstützungskreis für Geflüchtete in der Abschiebehaft. Damit lässt sich der Vorgang so rekonstruieren:

Am 5. Januar gegen zwei Uhr morgens zündete der 22-jährige M. in seiner Zelle alles an, was brennen kann: Kissen- und Bettbezüge, Stühle, eine Plastikflasche und einen Mülleimer. Das tat er in der Absicht, sein Leben zu beenden. Als die Vollzugsbeamten ihn aus der Zelle holten, war M. bewusstlos. Die Aktivistin und die Unterstützergruppe haben Kontakt zu M., der sich noch immer in der Hafteinrichtung befindet. Ihre Schilderungen beruhen auf seinen Aussagen.

Was sicher ist: M. wurde nach dem Brand mit dem Rettungswagen und in Begleitung von zwei Vollzugsbeamten in das Klinikum Itzehoe gebracht. Dort wurden seine oberflächlichen Schnittverletzungen, die er sich mit einer Metallstange zugefügt hatte, sowie die Brandverletzungen an der Hand behandelt.

Zelle ohne Tageslicht

Die psychiatrische Assistenzärztin diagnostiziert im Arztbrief: Anpassungsstörung wegen seelischer Belastung und Suizidversuch mit selbstverletzendem Verhalten. Sie empfiehlt die stationäre Aufnahme, weil man eine weitere Suizidalität nicht ausschließen könne. Im Arztbrief vermerkt sie zudem: Die stationäre Aufnahme sei „nicht möglich, weil Herr M. dafür aus der Haft hätte entlassen werden müssen“. Und: „Der Patient benötigt eine 1:1 Überwachung.“

Gegenüber der Presse und dem Flüchtlingsrat leugnet der Leiter der Abschiebehaftanstalt, Stefan Jasper, dass es sich um einen Suizidversuch gehandelt habe. Die Brandstiftung in der geschlossenen Zelle erklärt er so: „Der Untergebrachte zeigte eine psychische Auffälligkeit, die zu der Entstehung des Brandes beigetragen haben könnte.“ Eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus sei nicht notwendig gewesen, sagt Jasper.

Am Morgen des 5. Januar wird M. nach wenigen Stunden zurück in die Haftanstalt gebracht – dieses Mal in eine besonders gesicherte Zelle, einen sogenannten „BGH“-Raum. BGH steht für besonders gesicherter Haftraum. In einem solchen Raum befindet sich in der Regel nichts außer einer Matratze, einer an der Decke installierten Kamera und einer in den Boden eingelassenen Toilette.

So sei es auch in der Zelle gewesen, in die M. gebracht wurde, berichtet die Unterstützerin. „Der Raum hatte kein Tageslicht und keine Möbel. Der Betroffene musste auf dem Boden schlafen“, sagt sie.

Ärztin, Klinikum Itzehoe

„Die stationäre Aufnahme ist nicht möglich, weil Herr M. dafür aus der Haft hätte entlassen werden müssen“

Die Notärzte der Haftanstalt schreiben dazu in ihrem Bericht: „Auch wenn die Unterbringung im BGH Raum eine besondere Belastung der Seele bedeutet, ist die Maßnahme angemessen. Eine erneute Selbstverletzung oder Sachbeschädigung oder erneute Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden.“ Die Aktivistin des Unterstützerkreises findet das unverantwortlich.

Es sei nicht das erste Mal, dass die Haftanstalt einem Gefangenen eine adäquate medizinische Behandlung verweigere und ihn stattdessen besonders belastenden Umständen aussetze. „Das würde man anderen Menschen mit Suizidabsichten niemals antun“, sagt die Aktivistin. „Es widerspricht den psychiatrischen Leitlinien für Suizidalität.“ Doch die Notärzte der Haftanstalt sehen das anders: „Die Unterbringung im BGH Raum bis zur Repatriierung ist angemessen“, schreiben sie in ihrem Bericht.

Erneute Abschiebung scheitert in Paris

Bis zur „Repatriierung“ – also Abschiebung – sollte es nicht lange dauern. Am 6. und am 7. Januar vermerkte der Notarzt der Haftanstalt noch, dass der Patient M. die Nahrungsaufnahme verweigere, sich nicht klar von Suizid- und Selbstverletzungsabsichten distanziere und wiederholt bekunde, dass es seiner Seele nicht gut gehe.

Die Unterstützerin berichtet, dass M. in seinem Herkunftsland Marokko, in dass er abgeschoben werden soll, einen schweren Motorradunfall mit seiner Freundin gehabt habe. Seine Freundin sei dabei gestorben. M. fürchte die Rache ihrer Familie. Doch für die deutschen Behörden ist das kein Fluchtgrund.

Am 8. Januar versuchte die Ausländerbehörde erneut, M. loszuwerden. Ein Polizeihauptmeister der Bundespolizei schildert den Vorgang in einem internen Bericht so: Der erste Teil des Abschiebeflugs sei von Hamburg nach Paris gegangen und ohne Zwischenfälle verlaufen. Beim Umsteigen habe M. plötzlich sein Verhalten geändert.

Zehn Milligramm Beruhigungsmittel verabreicht

Er habe sich in der Toilette eingeschlossen und als die Tür geöffnet worden sei, habe er dort oberkörperfrei gestanden, sich einen zwei Zentimeter großen Metallclip an den Hals gehalten und gedroht, sich selbst zu verletzen. Er habe schnelle Schnittbewegungen mit dem Metallclip gemacht, sein Hals habe leicht geblutet. Französische Polizisten legten ihm Handschellen an, der Abschiebearzt spritzte ihm zehn Milligramm Diazepam, ein starkes Beruhigungsmittel.

Bis die Wirkung eingetreten sei, habe M. starken Widerstand geleistet und eine Blutspur hinterlassen. Der Pilot des Flugzeugs von Paris nach Marokko weigerte sich, ihn mitzunehmen. Die Abschiebung wurde abgebrochen und M. samt Abschiebebeamten und Abschiebearzt nach Hamburg umgebucht. Als M. erfahren habe, dass er wieder in die Haftanstalt käme, habe er darum gebeten, in Frankreich zu bleiben und erneut Widerstand geleistet – erfolglos. Kurz nach Mitternacht sei er wieder in die Haftanstalt eingeliefert worden.

Seit einigen Tagen hat M. in seiner Zelle ein Handy. „Ich will nicht nach Marokko“, sagt er der taz. „Ich habe Angst um mein Leben.“ Er bestätigt auch, dass er am 5. Januar versucht hat, sich umzubringen. Es gehe ihm schlecht, das Licht in seiner Zelle sei 24-Stunden per Bewegungsmelder aktiviert. Was wünscht sich M.? „Nichts“, sagt er. „Ich habe die Hoffnung verloren.“

Bei Suizidgedanken sprechen Sie mit jemandem unter 0800-111 01 11 oder 0800-111 02 22 oder besuchen Sie: www.telefonseelsorge.de

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