Elektrolyse in Klärwerk gescheitert: Doch kein Wasserstoff aus Hannover

Die Produktion von grünen Wasserstoff an einem Klärwerk in Hannover sollte ein Leuchtturmprojekt werden. Doch jetzt muss die Stadt es beenden.

Braunes Abwasser in den Klärbecken der Kläranlage Hannover-Herrenhausen

Trübe Brühe: Beim Klären von Abwasser lässt sich der Sauerstoff, der bei der Wasserstoffproduktion übrig bleibt, gut einsetzen Foto: Holger Hollemann/dpa

HANNOVER taz | Es klang so charmant und hatte schon eine Menge Vorschusslorbeeren eingeheimst: Am Klärwerk in Hannover-Herrenhausen sollte grüner Wasserstoff produziert werden. Doch nun musste die Stadt die Reißleine ziehen, die Kosten explodieren, das Leuchtturmprojekt zerbröselt, noch bevor es gebaut wurde.

Sektorenkopplung heißt das Zauberwort für das, was hier versucht werden sollte. Mit einem Elektrolyseur direkt am Klärwerk sollten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Der Plan: Das Klärwerk hätte das Wasser geliefert – einfach geklärtes Betriebswasser statt kostbaren Trinkwassers – und den bei der Wasserstoffproduktion übrig bleibenden Sauerstoff direkt weiterverwertet.

Bisher wird bei der Abwasseraufbereitung Luft verwendet, die mit Turboverdichtern aus der Umgebung gewonnen und dann in die Klärbecken gepumpt wird – ein Vorgang, der für einen Großteil des hohen Stromverbrauchs der Anlage verantwortlich ist. Hier hatte man auf ein Einsparpotenzial und eine effizientere Nutzung gehofft.

Mit dem entstehenden Wasserstoff sollten dann unter anderem Wasserstoffbusse des kommunalen Verkehrsunternehmens Üstra betankt werden. Dazu hätte eine Wasserstofftankstelle errichtet werden sollen. Die entstehende Abwärme sollte außerdem in das Fernwärmenetz vom kommunalen Energieversorger Enercity eingespeist werden.

Baukosten und Hochwasserschutz sind ein Problem

Eine Win-win-Situation in mehrfacher Hinsicht sozusagen. Das sah auch das Land Niedersachsen so, zumindest hat es dieses Investitions- und Forschungsprojekt mit 6,37 Mio. gefördert. Auf 25 Millionen Euro hatte man das Gesamtvolumen des Projekts ursprünglich geschätzt.

Wobei der Bau in zwei Stufen erfolgen sollte: Zunächst mit einer kleineren Anlage mit einer Leistung von einem Megawatt, die rund 2,5 Millionen kosten sollte. Sie hätte schon ab 2025 Wasserstoff produzieren sollen, circa 150 Tonnen im Jahr, damit hätte man täglich etwa 20 Busse betanken können. Im Erfolgsfall sollte die „Sewage Plant H“ erweitert werden auf 17 Megawatt und am Ende 2.500 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren.

Allerdings deutete sich schon im vergangenen Jahr an, dass sich das Projekt dramatisch verteuern könnte, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung zuerst berichtete. Am Montag machten nun neue Zahlen die Runde: Die Gesamtkosten sind von 25 auf 136 Millionen gestiegen. Damit ist klar: Hier wird auf absehbare Zeit kein Wasserstoff zu auch nur halbwegs marktgängigen Preisen zu produzieren sein.

Über die Gründe wird nun viel gerätselt: Natürlich schlagen Inflation und die allgemeine Preisentwicklung in der Baubranche zu Buche. Außerdem, so erklärt die Stadt, hätten sich die Anforderungen an den Hochwasserschutz auch noch einmal verschärft, was ebenfalls Kosten in die Höhe treibt.

Grünstromkosten bleiben ein entscheidender Schwachpunkt

Aber es sind nicht nur die Baukosten, die das Projekt unwirtschaftlich machen, sondern noch ein weiterer Faktor: die stark gestiegenen Kosten für grünen Strom.

Das ist eine Schwachstelle, auf die Experten immer wieder hingewiesen haben. Grüner Wasserstoff funktioniert da optimal, wo er dazu genutzt werden kann, Überkapazitäten aus Wind- und Solarenergie zu verwerten und zu speichern. Eine Anlage, die dauerhaft läuft, muss den Strom aber auch dann kaufen, wenn es keine Überkapazitäten gibt und die Preise hoch sind.

Kommunalpolitisch ist das natürlich ein Desaster, denn die Stadt muss sich jetzt fragen lassen, ob sie hier sehenden Auges mehrere Millionen versenkt hat – und ob die Kosten nicht von vornherein viel zu niedrig angesetzt waren. Das sollen nun das Rechnungsprüfungsamt und möglicherweise auch noch ein externer Wirtschaftsprüfer aufklären.

Wissenschaftler sieht trotzdem Potenzial

Gleichzeitig betont ein Sprecher, es habe sich eben um ein bundesweit einmaliges Innovationsprojekt gehandelt, was nun einmal immer mit einem gewissen technischen und wirtschaftlichen Risiko behaftet sei. Man breche das Projekt jetzt ab, um die wirtschaftlichen Verluste zu minimieren.

Bei den Kosten, die die Stadt jetzt abzuschreiben hat, handelt es sich im Wesentlichen um Planungskosten von mehreren Millionen Euro und die Kosten für einen schon beauftragten Stromanschluss von vier Millionen Euro, den man nun allerdings für das Klärwerk nutzen will.

Bei den wissenschaftlichen Begleitern des Projekts fällt die Bilanz gar nicht so finster aus: Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Projekt keineswegs gescheitert, erklärt Richard Hanke-Rauschenbach vom Institut für Elektrische Energiesysteme an der Leibniz-Universität Hannover. „Wir haben wertvolle Erkenntnisse gewonnen und eine Toolbox entwickelt, die künftig helfen kann, solche Anlagen an anderen Standorten zu entwickeln.“

Von der Grundidee dieser Art der Sektorenkopplung ist er immer noch überzeugt. Immerhin gibt es noch 9.000 andere Kläranlagen in Deutschland. Und auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können sich ja ändern.

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