piwik no script img

Universal-Inhalte auf TikTok entferntLeise zirpen die Grillen

Universal Music hat TikTok Millionen von Songs entzogen und fordert mehr Geld für Künstler*innen. Viele von ihnen sind auf die Plattform angewiesen.

Einer, der ohne TikTok wohl nicht zum Star geworden wäre: Rapper Ski Aggu aus Berlin Foto: Markus Koeller/imago

„Seit meine TikTok-Sounds offline sind, kann ich endlich wieder das echte Leben in der Natur spüren“, sagt der Berliner Rapper Ski Aggu gewohnt humorvoll in einem aktuellen TikTok-Beitrag. Ohne die aus China betriebene Kurzvideo-App wäre er heute wahrscheinlich kein Star. Seinen ersten Nummer-eins-Hit hatte er letzten Sommer dank der Neuinterpretation des Otto-Waalkes-Songs „Friesenjung“ und einer geschickten TikTok-Kampagne, in der er sich mit dem Komiker zeigte.

Seit Donnerstag sind die Videos, die den Song bewarben, jedes Hunderttausende Male aufgerufen, stumm. „Sound wurde wegen Urheberrechtsbeschränkungen entfernt“, steht als Hinweis am Bildschirmrand. Ski Aggus Kanal wirkt nun geisterhaft. Minutenlang kann man sich durch Videos wischen, sieht ihn tanzen und in die Kamera rappen, sieht johlende Menschenmengen bei Konzerten, nur hört man dazu nichts.

Auch die Songs von Taylor Swift sind betroffen, dem aktuell erfolgreichsten Popstar der Welt. Die des Rappers Drake, der oftmals auf virales Marketing setzte, oder die der TikTok-affinen Sängerin Olivia Rodrigo. In manchen ihrer Videos ist noch Musik zu hören. Klickt man aber auf das Schallplattensymbol, das normalerweise ermöglicht, einen Songausschnitt selbst weiterzuverwenden, erhält man eine Fehlermeldung.

Die Situation ist noch uneinheitlich. Klar ist: Betroffen sind die Künst­le­r*in­nen der Universal Music Group und ihrer Tochterfirmen.

Problem mit KI-generierter Musik

Universal ist neben Warner und Sony das wichtigste Musiklabel der Welt, hat am globalen Musikmarkt einen Anteil von knapp einem Drittel. Nun hat es seinen Lizenzvertrag mit TikTok nicht verlängert. Das Unternehmen nennt dafür mehrere Gründe, allen voran niedrige Tantiemen. Vergleichbare Plattformen würden für die Verwendung der urheberrechtlich geschützten Musik ein Vielfaches bezahlen, heißt es in einem Statement von Universal. Zudem ermutige TikTok aktiv dazu, KI-generierte Musik einzusetzen. Das könne echte Mu­si­ke­r*in­nen verdrängen. Dabei sei das Geschäftsmodell von TikTok auf deren Rücken aufgebaut.

In diesem Punkt hat Universal zweifellos recht. Nach den Anfängen als App für Tanz- und Lip-Sync-Videos ist TikTok heute ein soziales Netzwerk, auf dem alle möglichen Inhalte stattfinden. Musik ist aber ein integraler Bestandteil. Selbst die BookTok-Szene, die sich eigentlich mit Literatur beschäftigt, untermalt Videos mit Songs – bevorzugt natürlich mit jenen, die auf der App gerade im Trend liegen. Es ist also ein starker Verhandlungshebel, den Universal betätigt hat: die Kataloge einiger der größten Pop- und auch Internetstars der Welt zurückzuziehen.

Andererseits ist die Musikindustrie abhängig von TikTok. Die Plattform ist ein Taktgeber. Ein Beispiel: „Es war keine Phase, Mama! Es ist ein Lifestyle“, rief Ende 2020 ein TikTok-Nutzer in die Kamera und drehte dann auf seinem Autoradio die Zweitausenderjahre-Pop-Punk-Band All Time Low laut auf. Das kurze Video setzte den Grundstein dafür, dass Pop-Punk wieder ein Ding und aus den Charts nicht mehr wegzudenken ist.

TikTok-Nutzer*innen nehmen es mit Humor

Auseinandersetzungen zwischen Tech- und Musikindustrie, vor allem in Bezug auf Fragen zu Lizenzierung und Vergütung, gibt es mindestens seit Beginn des Online-Musikvertriebs. War­ner ließ 2008 seinen Katalog bei YouTube verstummen. Erst neun Monate später gab es eine neue Einigung. In der Zwischenzeit hatten Künst­le­r*in­nen protestiert, weil ihnen Aufmerksamkeit durch die Lappen ging.

Diesmal könnte es ähnlich laufen: Ski Aggu ist nicht der Einzige, der ohne TikTok vermutlich keine Konzert­are­nen füllen könnte. Im Statement von Universal wird von einer „Auszeit“ gesprochen. Je länger die dauert, desto mehr Druck werden Künst­le­r*in­nen machen, weil ihnen ein wichtiger Marketingkanal fehlt. Ob die besseren Tantiemen, die das Label aushandeln will, das kompensieren können, ist völlig unklar.

TikTok-Nutzer*innen reagieren auf die Ereignisse derweil mit Humor. Die Tanzgruppe Bronx Sistas rappt in einem Video einfach selbst den Song von Ski Aggu, der zu ihrer Choreografie gehört. Andere unterlegen Videos mit Grillenzirpen und erklären so die unwirkliche Atmosphäre der stumm geschalteten TikToks zum Trend.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich hoffe wenigsens die chinesische Regierung zeigt der Content-Mafia wo der Hammer hängt. Unsere eigene Regierung hat ja an dem Punkt immer wieder die Interessen der eigenen Bevölkerung verraten. Es ist an der Zeit das Geschäftsmodelle wie das von



    Universal Music endlich das Zeitliche segnen.