piwik no script img

Politische Rechte und GesellschaftAffekte sind ihr Rohstoff

Nicht dass wir streiten, leistet den Rechten Vorschub, sondern wie wir streiten. Werden Konflikte zur Identitätsfrage aufgeladen, droht Spaltung.

Wer ist wofür und wer wogegen: Jeder Konflikt wird zur Identitätsfrage aufgeladen und jede und jeder hat seinen individuellen Triggerpunkt Foto: Sebastian Wells

D ie vorherrschenden Überzeugungen lauten: Die Rechtsextremen stehen vor der Tür. Die Gesellschaft ist gespalten. Und beides steht in einem Kausalverhältnis zueinander. Aber ist dem tatsächlich so? Ja und nein. Ja, weil die Rechten tatsächlich von etwas profitieren. Nein, weil dieses Etwas nicht die Spaltung der Gesellschaft ist.

Die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben kürzlich skizziert: Es gibt keine Polarisierung der Gesellschaft, sondern vielmehr das Aufkommen von „Triggerpunkten“. So auch der Titel ihres Buches. Solche Triggerpunkte seien Themen, die die Gesellschaft erschüttern, indem sie eine hohe politische Emotionalität auslösen. Es gibt also keine ehemals versöhnt gewesene Gesellschaft, die nunmehr in zwei unversöhnliche Pole auseinanderdriftet.

Es gibt vielmehr viele, flexible Konfrontationen und Verhärtungen. Permanente Neugruppierungen: Mit wem man gestern in der Coronafrage noch eins war, der steht einem heute vielleicht als Gegner in der Ukrainefrage gegenüber. Wer gerade noch die Anschauungen zur Klimakatastrophe geteilt hat, mag in der Auseinandersetzung um Israel unerbittlich getrennt sein. Hier prallen keine kohärenten Weltbilder aufeinander.

Wie Steffen Mau kürzlich in einem Zeitungsinterview meinte: Wer klimaskeptisch ist, ist nicht notwendigerweise auch gegen das Gendern. Wer migrationsfeindlich ist, ist nicht unbedingt homophob. Es gibt nicht die eine eindeutige Demarkationslinie. Die Gesellschaft ist heute vielmehr von vielen, beweglichen Trennlinien durchzogen. Ein „ideologisches Patchwork“.

Die Triggerpunkte

Das Konzept der „Triggerpunkte“ erklärt gut die vielfältigen Konfliktlinien – nicht aber die Intensität der Auseinandersetzung. Denn die in schnellen Runden wiederkehrenden, ständig wechselnden Differenzen werden mit steigender Intensität ausgetragen. In diesem Sinn sind die jeweiligen Konflikte nicht grundlegend. Was aber ist dann das wirklich Grundlegende, das da so unerbittlich verhandelt wird?

Dazu muss man festhalten: Eigentlich sind politischer Konflikt, Einspruch, Kritik in einer Demokratie normal. Schließlich ist Demokratie jene Einrichtung, die es erlaubt, Differenzen auszufechten. Sie bietet Formen des Streitens an. Aber was derzeit stattfindet, ist die Pervertierung der kritischen Auseinandersetzung: Dissens kippt immer schneller in Feindschaft.

Das Ventil für Kritik gerät immer öfter zum Dammbruch. Das, was man als Polarisierung der Gesellschaft bezeichnet, liegt also nicht so sehr an den gerade akuten Inhalten – sondern vielmehr an der Form, Meinungsdifferenzen auszutragen: unversöhnliche Konfrontationen statt Aushandeln von Positionen.

Aber woher kommt diese Unversöhnlichkeit? Wir konfrontieren uns nicht mehr als öffentliche Bürger, sondern als private Einzelne. Das heißt: Jeder Konflikt wird zur Identitätsfrage aufgeladen. Die Meinungen werden zu Stellvertretern der Person. Das Ich wird zum Einsatz jeder Auseinandersetzung. Aber das Ich ist unverhandelbar. Daher rührt die Unerbittlichkeit.

Viele Differenzen zur Spaltung gebündelt

Und genau das ist der Boden, auf dem die Rechten gedeihen. Nicht dass wir streiten, leistet ihnen Vorschub, sondern wie: Sie profitieren von der Form unserer Auseinandersetzung. Denn ihr Geschäft ist es, die Aggressionen, die Wut, die Intensitäten zu bewirtschaften. In doppelter Hinsicht. Zum einen befeuern sie diese, denn Affekte sind ihr Rohstoff und ihre Antriebskraft. Und zum anderen bündeln sie die vielen, flexiblen Differenzen zu einer großen Linie, die die Gesellschaft durchziehen soll: zur Spaltung. Die Polarisierung in zwei unversöhnliche Lager ist nicht der vorhandene gesellschaftliche Zustand, sondern ihr Ziel.

Wie dieses Ziel aussieht, hat sich bei dem publik gewordenen „Geheimtreffen“ der Rechtsextremen gezeigt: Es bedeutet Spaltung des Volkes in jene, die bleiben können – und jene ohne dieses Grundrecht. Hier hat sich das wahre Gesicht solcher Polarisierung enthüllt. Es bedeutet: Selektion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Es gibt durchaus eine Spaltung. Die hat aber einfach nichts mit Inhalten zu tun. Und wenn das so ist oder wäre, dann können auch Trigger- Punkte nicht so wichtig sein. Oder? Gerade erst hat ja die Wehrhaftigkeit der Gesellschaft gezeigt, dass es sie gibt, und zwar fern und frei von anderen Inhalten als dem Kampf gegen die Rechten. Möglichen Fragmentierungen geht man ja gerade glücklicherweise aus dem Weg, obwohl es schon wieder reichlich Aufforderungen in die Richtung gibt. Soll diese Bewegung sich etwa über relative Kleinigkeiten zerstreiten? Nein, bitte nicht! Die Trigger-Punkte kann man auch abstellen, die sollen doch nur missbraucht werden, und die Einigkeit damit zerstört. Und damit wieder zur Spaltung: das, was Rechts propagiert besteht nicht aus Einzelteilen, nicht aus bestimmten Politiken, aus irgendwelchen Aufregern, es zielt ganz grundsätzlich auf Egoismus, das Recht des Stärkeren, den Vorrang der Einheimischen, die unkontrollierte Macht der Mehrheit. Es richtet sich gegen Solidarität mit den Schwachen, gegen Minderheitenschutz, gegen die Gleichheit aller Menschen, ganz wesentlich auch gegen den Schutz der Umwelt und damit verbunden die Rücksichtnahme auf kommende Generationen. Das ist eine Grundhaltung und es ist auch nicht wirklich schwierig anhand dieser Grundhaltung zu unterscheiden und dann kann man auch eine Spaltung der Gesellschaft feststellen. Und das wäre gut, sinnvoll und konstruktiv! Das ewige Triggern und getriggert werden hingegen ist destruktiv, egal ob manipulativ in Szene gesetzt oder als freiwillig propagierter Selbstkonsum und Ausdruck der eigenen Identität. Wir sollten uns nicht zu Opfern unserer Meinungen machen lassen, auch nicht von unserem Wunsch nach einem konsistenten Weltbild und einer politischen Heimat ablenken lassen, wir sollten auch nicht auf die sogenannten Narrative hereinfallen, die uns ständig als grundlegend verkauft werden. Weg damit!

  • Alle sind zu kleinen Ich-AGs geworden, jeder ein Unternehmer, der sein Ego bewirtschaftet. Dazu gehört auch das schnelle gekränkt sein, Kritik, kritisches denkendes Nachfragen ist auch bei "den Guten" out! Selbstreflexion und Reflexion über Gefühle überhaupt - hier bräuchte es viel mehr Aufklärung, Gefühle werden einfach vorausgesetzt, nicht wirklich von den Begriffen her analysiert. Was ist Wut, woher kommt sie, was löst sie aus - wann überhaupt definiert man Wut als Wut - jeder wütende Bürger war mal ein nettes Baby! Es bräuchte einen neuen Kant, der diesmal nicht über Vernunft aufklärt, sondern über Gefühle!

  • "Solche Triggerpunkte seien Themen, die die Gesellschaft erschüttern, indem sie eine hohe politische Emotionalität auslösen."



    Auf so Seiten wie uebermedien oder Volksverpetzer wird immermal aufgedröselt, wie Triggerpunkte gereizt werden und sich irgendeine radikale oder total spinnerte Aussage von 2005 mit nem Bild von 1997 verbindet.



    Und emotional durch die Decke gehen meistens die Reaktionären(*) bis Nazifaschos. (* die so Merz/Söder/Kretschmer, Kubicki, Wagenknecht, Maaßen u.ä. abfeiern)

  • Das für diesen Artikel, diese Position verfechte ich seit geraumer Zeit.

    Frau Charim lässt leider offen, welche Politik in den vergangenen 20 Jahren ihrer Meinung nach das Identitäre so gepusht hat.

    Nur wenn wir die Ursache kennen, Identitäten auf einen normalen Level zurückzufahren, damit ein Diskurs wieder möglich wird

    Dann kommen Grüne und AfDler vielleicht wieder aus ihren homogenen Netzwerken raus, von denen die taz unlängst schrieb:

    taz.de/Gesellschaf...mmenhalt/!5971895/

  • Grundsätzlich erscheint mir der Beitrag ziemlich schlüssig. Was mir am Ende fehlt, das ist irgendeine Idee, wie man das Problem (vielleicht) lösen kann/könnte.

    "Aber woher kommt diese Unversöhnlichkeit? Wir konfrontieren uns nicht mehr als öffentliche Bürger, sondern als private Einzelne. Das heißt: Jeder Konflikt wird zur Identitätsfrage aufgeladen. Die Meinungen werden zu Stellvertretern der Person. Das Ich wird zum Einsatz jeder Auseinandersetzung. Aber das Ich ist unverhandelbar."

    Aber woher kommt der gestiegene Bedeutungszuwachs der eigenen Identität, bzw. - es ist ja auch möglich, dass sich an der Bedeutung der eigenen Identität überhaupt nichts geändert hat - woher kommt dann das Bedürfnis, die eigene Identität immer stärker herauszustellen?

    Viele Minderheiten sind in den vergangenen Jahren selbstbewusster geworden und bemühen sich um (mehr) Wahrnehmung, machmal auch (zumindest aus Sicht der jeweiligen Mehrheiten) um sehr viel mehr Wahrnehmung, als es ihrem Anteil an der Gesellschaft entspricht. Auch dadurch entstehen dann Identitätskonflikte (jeweils für beide Seiten).

    • @Al Dente:

      In vielen linken Zusammenhängen und den sozialen Bewegungen wurde Streit und Kritik als moralische Totalvernichtung behandelt und erlebt. Das ist kein neues Phänomen, erlebte allerdings in den Zeiten der Identitätspolitik einen Höhepunkt. Das rächt sich jetzt.