: Deutschland unteilbar
Hunderttausende Menschen gehen auf die Straßen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. In München und Hamburg werden die Demos wegen Überfüllung beendet
Aus München, Berlin, Köln, Karlsruhe, Hannover und HamburgDominik Baur, Doris Akrap, Luisa Faust,Laura Verseck, Benno Stieber, Nadine Conti,Theresa Moosmann und Esther Geißlinger
Über 300.000 Menschen am Samstag auf der Straße, erneut Hunderttausende am Sonntag: Die Protestwelle in Reaktion auf Deportationsideen von Rechtsextremen und AfD-Politiker*innen erlebte einen erneuten Höhepunkt. Ein Kaleidoskop des Demo-Wochenendes.
München
Die größte bayerische Demo fand am Sonntagnachmittag in München statt. Ab 14 Uhr trafen sich am Siegestor im Zentrum Münchens laut Veranstalterangaben 250.000 Menschen, um unter dem Motto „Gemeinsam gegen rechts“ gegen AfD und Rechtsextremismus zu demonstrieren. Mit „25.000 plus X“ Teilnehmern hatte man zuletzt gerechnet. Gegen 15 Uhr wurde die Demo wegen Überfüllung schließlich abgebrochen.
Bereits um 14.35 Uhr ist kein Durchkommen mehr vom Odeonplatz in Richtung der zwei Kilometer entfernten Münchner Freiheit. Alle Seitenstraßen sind verstopft. Ein Redner fordert die Leute auf, „Paroli“ zu rufen: Paroli gegen die AfD, gegen Rechts. „Paroli!!!“, tönt es aus der Masse zurück. Am Ende fordert der Redner noch „Paroli gegen die Ampel“ – aber da ruft keiner zurück.
Auch Politiker aller demokratischen Parteien hatten ihre Teilnahme angekündigt, darunter etwa Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Nicht dabei waren Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Letzterer ging stattdessen auf eine Bauerndemo im Allgäu – nicht ohne sich zuvor noch abfällig über die Demo in München zu äußern. Auf „X“ schrieb er: „Die Demos gegen Rechts sind vielfach von Linksextremisten unterwandert. Den Bauerndemos wurde der Vorwurf der Unterwanderung fälschlicherweise gemacht.“ Dass die Linksjugend solid, die ebenfalls nach München mobilisierte, vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird, stimmt zwar – die Jugendorganisationen von Grünen und SPD standen dagegen nie unter dessen Beobachtung.
Auch in Regensburg und Bad Tölz kamen die Menschen am Sonntag zusammen, um gegen die AfD zu demonstrieren. In Nürnberg hatten sich bereits am Samstag 15.000 Menschen versammelt – weit mehr als erwartet. In Erlangen waren tags zuvor rund 4.000 Menschen für ein Verbot der AfD auf die Straße gegangen.
Berlin
Bis zu 100.000 Menschen versammelten sich am Sonntag laut Polizeiangaben auf der Wiese vor dem Reichstag. Angemeldet hatten die Veranstalter, unter anderem Fridays for Future, lediglich 1.000 Teilnehmer*innen. Es staute sich bereits ab 15 Uhr in den U-Bahn-Ausgängen zur Auftaktkundgebung. Die Menschen hatten Plakate dabei: „Es ist an der Zeit, es besser zu machen als unsere Urgroßeltern.“ Ein Rentnerpaar sagt: „Wenn wir jetzt nichts machen, ist es bald zu spät.“
Montag, 22. Januar
Bayreuth, Marktplatz, 16 Uhr
Berlin-Pankow, 17.15 Uhr
Freiberg, Obermarkt, 17 Uhr
Görlitz, Marienplatz, 18.30 Uhr
Greifswald, Marktplatz, 18 Uhr
Meißen, Marktplatz, 19 Uhr
Neutraubling, St.-Michaels-Platz, 17.30 Uhr
Paderborn, Schützenhof, 18 Uhr
Schriesheim, Altes Rathaus, 18 Uhr
Soest, Rathausbögen, 18 Uhr
Zittau, Marktplatz, 18 Uhr
Dienstag, 23. Januar
Darmstadt, Friedensplatz, 17.30 Uhr
Eitorf, Bahnhofsvorplatz, 17.30 Uhr
Heilbronn, Ort wird noch benannt, 18 Uhr
Mittwoch, 24. Januar
Oberhausen, Friedensplatz, 18 Uhr
Schorndorf, Künkelinhalle, 17.30 Uhr
Witten, Saalbau, 17.30 Uhr
Donnerstag, 25. Januar
Hagen, 18 Uhr
Mönchengladbach, Sonnenhausplatz, 18 Uhr
Siegen, Bismarckplatz, 17.30 Uhr
Wiesbaden, Hauptbahnhof, 18 Uhr
Freitag, 26. Januar
Puderbach, Dorfgemeinschaftshaus, 17.30 Uhr
Samstag, 27. Januar
Cuxhaven, Ritzebütteler Marktplatz, 12 Uhr
Düsseldorf, DGB-Haus, 18 Uhr
Lübeck, Altstadt, 13 Uhr
Mannheim, Alter Messplatz, 16 Uhr
3. Februar
Berlin, Bundestag, 12 Uhr
Angaben ohne Gewähr.
Köln
Bunte Farben, Narrenmützen und tausende Menschen auf der Straße: Am Sonntagnachmittag erinnerte so einiges an den Kölner Karneval. Schilder wie „Lieber Solidarisch statt solide Arisch“ oder „Fck afd“ zeigten aber, dass es den Kölnerinnen und Kölner um weit mehr geht als die fünfte Jahreszeit.
Zum zweiten Mal in dieser Woche demonstrierten Zehntausende für die Demokratie und Menschenrechte. Bereits am Dienstagabend kamen 30.000 Menschen. Das Bündnis „Köln stellt sich quer“ mobilisierte nun sogar 70.000 Menschen zur Deutzer Werft, das Motto: „Demokratie schützen, AfD bekämpfen.
Neben der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) und verschiedenen anderen Vertretern aus der Politik sprach auch die stellvertretende Chefredakteurin des Recherchenetzwerks Correctiv, Anette Dowideit. Die Journalist*innen hatten das Geheimtreffen zu den Deportationsplänen recherchiert, das nun die Protestwelle ausgelöst hat. Mit so viel Zuspruch habe Dowideit nie gerechnet, betont sie: „Wir haben einfach nur unsere Arbeit gemacht.“
Plakat auf der Berliner Demo
Karlsruhe und Südwesten
Mit Schildern wie „Wenn ihr Putin wollt, geht doch rüber“ haben sich am Samstag 20.000 Menschen auf dem Karlsruher Marktplatz und den angrenzenden Straßen versammelt. Anschließend zogen sie durch die Stadt, in der mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof die wesentlichen Institutionen für ein vielfach gefordertes Parteiverbot der AfD und die Extremismusbekämpfung sitzen. Dabei beachtete der Demonstrationszug die „Bannmeile“ zu den Gerichten. Die Polizei sprach von störungsfreiem Protest, der ein „bemerkenswertes Zeichen gesetzt“ habe.
Insgesamt gingen in Baden-Württemberg am Wochenende über 80.000 Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Überall blieben die Proteste friedlich. In Freiburg waren bereits am Mittwoch 10.000 Menschen auf die Straße gegangen, am Samstag waren es noch einmal 5.000 Menschen. Dort hatte ein breites Bündnis von Union und FPD bis zu linken Gruppen zur Demonstration aufgerufen. In Karlsruhe und Stuttgart war das nicht gelungen. Auf dem Demozug in Karlsruhe, wurde von Rednern linker Gruppen, etwa der Seebrücke, die Flüchtlingspolitik der Ampel und der Union als „Imitation der AfD“ scharf kritisiert.
Hannover
35.000 Teilnehmer zählten die Veranstalter in Hannover zum Schluss. Auf dem Opernplatz und am Kröpcke standen die Menschen dicht gedrängt, auch die Seitenstraßen und weite Teile der Fußgängerzone waren voll, mehrmals musste die Polizei die Versammlungsfläche erweitern. Wie in anderen Städten auch war es eine erstaunliche Mischung, die sich hier zeigte: Menschen aller Altersgruppen, ganze Familien reisten aus dem Umland an. Und neben den gewohnten Gewerkschafts-, Kirchen-, Regenbogen- und Antifa-Flaggen Schwenkenden standen viele, die erkennbar nicht so oft an Demonstrationen teilnehmen.
Als Rebecca Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde sich dafür bedankte, dass die „Omas gegen rechts“ seit dem 7. Oktober jeden Freitag vor der Synagoge stünden, um ein Zeichen der Solidarität gegen den Terror der Hamas zu setzen, jubelte der ganze Platz.
Hamburg und Bremen
Weitaus mehr Zulauf als erwartet hatte bereits am Freitagnachmittag eine Anti-Nazi-Demo in Hamburg erhalten. Nach Schätzung des DGB beteiligten sich mehr als 80.000 Menschen. Die Demo fand am Jungfernstieg statt, nicht wie geplant auf dem Rathausmarkt: Die AfD erreichte durch eine spontane Fraktionssitzung, dass die Demo um etwa 350 Meter verschoben werden musste: Das Hamburger Bannkreisgesetz verbietet Versammlungen und Demos im Umkreis von 350 Meter um das Rathaus herum. Dadurch soll die Arbeitsfähigkeit der Bürgerschaft geschützt werden. Dass die Demo am neuen Ort wegen Überfüllung beendet werden musste, sorgte dann allerdings erst recht für Positiv-Schlagzeilen über eine erfolgreiche Mobilsierung gegen rechts.
In Bremen, wo unter anderem der Fußball-Bundesligist Werder Bremen mobilisierte, kamen am Ende 50.000 Menschen – gerechnet hatte man mit 500. (mit dpa)
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