Roadmovie „Kannawoniwasein“: Noch schöner als Tschick
Wiese, Wald, Baum und ein Unsinn, der sich gewaschen hat: Im Film „Kannawoniwasein“ gehen zwei Kinder auf abenteuerliche Reisen.
Wolfgang Herrndorf hat für seinen Über-Bestseller „Tschick“ die Mythos-Muster der Jugendbücher, die ihn als Kind faszinierten, sehr bewusst nachgebaut. Ein Aufbruch, die Erwachsenen werden verbannt, der Held oder die Helden treffen ein faszinierend wildes Mädchen, eine Reise nach Roadmovie-Art, bei der die jugendlichen Helden Abenteuer erleben und die dabei auftauchenden Probleme auf ihre Art lösen. Martin Muser hat für sein Jugendromandebüt „Kannawoniwasein“ von 2018 dieses Erfolgsmodell seinerseits mit großem Erfolg reproduziert.
Nun gibt es, fünf Jahre später, den Film – und Stefan Westerwelles Kino-Version ist fast noch schöner als Fatih Akins auch schon gelungener „Tschick“-Verfilmungsversuch, für die Heldenreise durch Deutschland unverbrauchte Bilder zu finden.
Der zehnjährige Finn (Miran Selcuk) wird von seinem Vater Volkan, der einen Veggie-Catering-Service betreibt, in die Bahn gesetzt und zur Mutter geschickt, die ihn keineswegs bei sich haben will. Im Zug wird ihm der Rucksack geklaut, mit Ticket und Handy und Geld, die Polizei als Ordnungsmacht greift ihn sich, und er entkommt aus dem Auto.
Was der Polizistin und dem Polizisten, die auch lieber im Bett wären als bei der Arbeit, das erste „Kannawoniwasein“ entlockt. Finns Retterin war aufgetaucht aus dem Nichts: Jola (Lotte Engels), selbstbewusst, blond, blaue Strähne im Haar. Sie hat den Mut, der Finn für das Abenteuer gefehlt hat.
Erwachsene sind Ausgeburten von Quatsch
Hinaus geht es, aus der Gefangenschaft, ins freie Feld. Alles sehr buchstäblich, wobei die Buchstäblichkeit sich dabei mit der Fantasieproduktion bestens verträgt. Außer den Eltern sind die Erwachsenenfiguren, die ins Bild kommen, hintereinander weg hinreißende Ausgeburten von Quatsch, von der gestrengen Transvestitin im Sex-Shop über die Verkäuferin am Wegesrand bis zum alten Fritz, der mit dem Auto vorbeikommt, voll kostümiert und ein bisschen weich in der Birne.
Kannawoniwasein (D 2023, Regie: Stefan Westerwelle). Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich.
An die Stelle des Lada, mit dem die Jungs in „Tschick“ unterwegs sind, tritt ein altersschwacher Trecker, mit dem sich gemächlich in Richtung Meer sehnen lässt. Das Meer ist die Ostsee, also nichts richtig Großes, aber für den Sehnsuchts-Hausgebrauch muss es reichen.
Nach Roadmovie-Art kommt der Plot eher langsam voran. Er braut sich in Gestalt einer Motorradrocker-Bande zusammen, die von einer Frau mit dem nie erklärten Namen Hackmack (Leslie Malton) angeführt wird. Hier ist Finns Rucksack gelandet, hier muss er sich, mit Jola immer dabei, als Held mit List, Tücke und viel Mut beweisen, und tut es.
Raum für den Eindruck der Landschaft
Schöner aber als die Bewährungsgeschichte sind die Blicke ins Freie, die Regisseur Stefan Westerwelle und der Kameramann Martin Schlecht Jola und Finn und auch der Zuschauerin und dem Zuschauer gönnen.
Die Kamera fliegt, es lebe die friedliche Drohne, sie liegt in der Luft, sie fliegt auf, sie fliegt davon, sie fliegt manchmal rasant, manchmal eher gemächlich, aber nie sperrt sie die Figuren ins Bild. Es ist neben dem Fliegen viel Zeit für den Wind, der durch die Natur fährt, ein Rascheln und Flüstern der Bäume, es ist Raum für den Eindruck der Landschaft, die nicht einfach nur eine Durchquerungswelt ist, sondern ihre eigene, aber nie überbetonte, sondern wie nebenbei herausgestrichene Schönheit besitzt.
Dazu muss sie nicht erhaben sein, das Einfache ist gut genug: Wiese und Wald und Baum, und dazwischen ein Unsinn, der sich gewaschen hat, eine Genugtuung, die nicht ausbleibt, eine Gefahr, deren Überwindung gelingt. In „Kannawoniwasein“ wird kein Rad neu erfunden. Alles ist Bewegung im Mythos, aber weil alles daran stimmt, ist es schön.
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