Ältere Frauen mit Anti-AfD Demonstrationsplakaten.

Die Omas gegen Rechts stellen sich klar gegen die AfD, wie hier auf einer Demonstration gegen den AfD Bundesparteitag in Magdeburg Foto: Fritz Engel/Zenit

Omas gegen Rechts:Bunte Omas, schwarzer Block

Antifaschismus kennt kein Alter, das beweisen die Omas gegen Rechts. Unterwegs mit Frauen, die gegen die AfD kämpfen. Manchmal auch mit Cha-Cha-Cha.

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14.1.2024, 17:55  Uhr

Der Gesang der Omas kommt überraschend. Herbstdonnerstag nachmittags, kühler Wind, der graue Tag streckt sich zur Dämmerung, und ein Ernst legt sich über die kleine Gruppe: 9. November. Eben liefen sie noch lustig durch die Stadt, erzählten Anekdoten, wechselten über Fahrbahnen, sammelten sich an Ampeln – jetzt kriecht Gefasstheit unter Funktionsjacken, in Filzmäntel.

Auch ohne Herbstwind ist Chemnitz eine herbe Schönheit: Was der Zweite Weltkrieg übrig ließ, zerfurchte die Stadtplanung mit Verkehrsschneisen. Diese hier, Ausfallstraße nach Südwesten, ist nach Gustav Freytag benannt, öffnet sich vor der Nummer 3 zur breiten Kreuzung: stetiger Verkehr, zur Autobahn, nach Leipzig oder Zwickau.

Nummer 3 ist ein grauer Riegel, schma­le Flanke zur Straße, karger Charme der 1950er Jahre. Sieben ältere Menschen stellen sich zum Halbkreis, Rücken zur Fahrbahn, eine Aktion der Omas gegen Rechts. Zwei Männer, mutmaßlich Großväter, sind auch dabei. Es geht jetzt nicht um Gustav Freytag, seinen Roman „Soll und Haben von 1855 voller antisemitischer Stereotype, die Chemnitzer Omas gegen Rechts schauen auf den Boden. Zwischen Gehwegplatten sind zwei Stolpersteine eingelassen.

Protest und Aktivismus, Erinnerungsarbeit, der bunte Strauß dessen, was zu politischem Engagement außerhalb von Parteien gezählt wird, wirkt oft wie eine Domäne der Jugend. Stimmt nur teilweise, erzählen Befragungen des „Weizenbaum Reports“ zu politischer Partizipation von 2022 oder der Bericht über politische und gesellschaftliche Partizipation des Statistischen Bundesamts von 2021.

Die Daten sind nicht ganz taufrisch, haben Covid und die Desinforma­tions­pandemie nicht endgültig verdaut, aber Tendenzen werden deutlich: alles meistens leicht rückläufig. Ende 2021 waren nur noch 13 Prozent der Bür­ge­r*in­nen bei Demonstrationen, 5 Prozent weniger als im Jahr davor. Kaum mehr als fünf von hundert wollen Lebenszeit und Energie für Parteien und Bürgerinitiativen verwenden. Die Bereitschaft zum Engagement in sozialen Organisationen ist erneut gesunken.

Besonders Ältere interessieren sich für Politik

Das Bundesamt hat ermittelt, dass die 18- bis 29-Jährigen ein wenig häufiger bei Unterschriftensammlungen mitmachen, öfter zu Demonstrationen gehen, sich seltener in Vereinen engagieren als Ältere. Bei Parteien und Bürgerinitiativen sind es gerade 3 Prozent. Vor allem wenden sie sich sehr viel seltener an Politiker*innen, um sich zu beschweren oder Interessen anzumelden.

Ein Gruppe ältere Menschen steht um einen Stolperstein herum, neben der Gedenktafel stehen Grabeskerzen.

Omas für Erinnerungsarbeit: Die Omas gegen Rechts bei einem Stolperstein in Chemnitz Foto: Omas gegen Rechts

Vielleicht wurzelt der Aktivismus der Älteren darin, dass es ab dem 60. Lebensjahr mehr Menschen gibt, die angeben, sich „sehr stark“ oder „stark“ für Politik zu interessieren – Spitzenwert unter allen Altersgruppen. Einer aktivistischen Großmutter stellen sich trotzdem Fragen: Was treibt sie an, Zeit auf windigen Straßen zu verbringen, auf Demonstrationen Plakate hochzuhalten, sich gegen Aufmärsche von Rechten zu stellen?

Immerhin ist jetzt eine Generation alt geworden, die oft noch gute Renten bezieht. Wenn sie Kinder hat, sind die längst aus dem Haus, die Großeltern könnten reisen, Tage mit Opernbesuchen und Ausstellungen füllen, ab und an Streuselkuchen backen. Erste Erkenntnis nach einem Nachmittag mit den Omas gegen Rechts in Chemnitz: Das machen sie auch. Aber es reicht ihnen nicht.

Zum Treffen in einem der wenigen Cafés, in dem der Espresso beinahe schmeckt, ist ein Dutzend Ak­ti­vist*in­nen gekommen. Sie erzählen von den Ereignissen von 2018, Zusammenschlüssen von Rechtsradikalen mit Bürgern, gewalttätigen Demonstrationen.

Die Polizei schaute eine Weile zu, Menschen wurden bedrängt, gejagt, verprügelt. Rechte Trupps patrouillierten durch die Innenstadt, die AfD lief neben Neonazis. Kurz danach trafen sich eine Handvoll Omas, inzwischen sind etwa 14 regelmäßig dabei. Die Fluktuation ist hoch, mal muss ein Partner länger gepflegt, mal ein Enkel betreut werden.

Das Jahr 2018 als Schlüsselereignis

Am Cafétisch macht sich Aktivistenstimmung breit: Sie lassen einander ausreden, bitten darum, Gedanken noch ausführen zu können; Handzeichen. Wenn man fragt, warum sich die Omas engagieren, schält sich eine Haltung heraus, die sich aus Lebensläufen speist: Britta Mahlendorff, geboren 1962, ist in Vorständen von Kleingartenverein und den Grünen, bietet Jugendbildung bei FAIREwelt Chemnitz an. Halbtags arbeitet sie als Regionalkoordinatorin für kirchliche Flüchtlingsarbeit, außerdem ist sie Referentin für politische Bildung im Evangelischen Forum. Auch halbtags. Wir sehen doch, sagt sie, dass man so etwas wie Gemeinwesen verteidigen muss.

Die Erinnerung an den Schreck von 2018 wird immer mal wieder wach: Im März 2023 verprügelten polizeibekannte Rechte drei Kulturmanager nach einer Konferenz, weil sie in der Innenstadt Englisch sprachen. Im Jahr davor erklärte der Generaldirektor der Kunstsammlung ein paar Jungs, dass er weder ihre Hitlergrüße noch das Sieg-Heil-Gebrülle anregend fand. Sie schlugen auf ihn ein. Die Omas erinnern sich, wie schnell Rechtsextreme Massen in die Stadt mobilisieren konnten. Erzählen von Enkeln, die manche Ecken der Stadt am Abend mieden.

Margitta Rühling, geboren 1944, hat lange als Bewährungshelferin gearbeitet. Als sie die Bilder im Fernsehen und in der Lokalzeitung sah, erkannte sie viele von denen, die bei den Rechten in der ersten Reihe standen. Sie hat da erst verstanden, sagt sie, dass das gewachsene Strukturen waren. Die waren alle organisiert und sind es noch.

Die Idee zu den Omas gegen Rechts ist ein Import: Zuerst 2017 in Österreich gegründet, trommelte im Jahr darauf eine Aktivistin in Nagold im Nordschwarzwald die erste Gruppe in Deutschland zusammen. Sie erhielt Applaus und Hassbotschaften, rückte später für die SPD in den Rat der Stadt ein. Inzwischen, sagt zumindest ihre Internetseite, gebe es 15.000 Mitglieder.

Der Name ist nicht geschützt: In Berlin arbeitet eine Gruppe mit dem Zusatz „Deutschland-Bündnis“ neben solchen, die den Zusatz weglassen. Die einen sind ein eingetragener Verein, die anderen verstehen sich als loser Zusammenschluss. Warum sollte es anders sein als beim Protest der Jüngeren, Empörung bringt sie zueinander, in den Mühen der Organisation geht man sich auch mal auf die Nerven, manchmal trennt einen die Empörung wieder.

Mit Cha-Cha-Cha gegen Höcke

Wir sind uns klar darüber, sagt Birgit Gatz, geboren 1961, dass wir in unserem Alter nicht mehr überall vorneweg laufen können. Gatz hörte von ihrer Yogalehrerin vom ersten Treffen der Omas, ging direkt nach der Stunde hin. Da wusste sie schon, dass man in ihrem Alter eine beruhigende Wirkung auf Demonstrationen haben kann. Vielleicht etwas respektvoller behandelt wird.

Birgit Gatz hat ihren Mann mitgebracht, nach Chemnitz und in die Runde – und er den singenden Tonfall seiner fränkischen Heimat. Konrad Gatz, Jahrgang 1947, sagt, seine Frau habe einen fantasievolleren Zugang zu all diesen Dingen, fantasievoller jedenfalls, als nur herumzubrüllen und zu pfeifen.

Birgit Gatz erzählt, dass sie auch mal den Schwarzen Block davon abhält, sich zu vermummen. Ihr seid doch hübsche Jungs, ruft sie ihnen dann zu, steht doch zu eurer Haltung

Als Björn Höcke in Chemnitz auftrat, standen sie bei den Linken, nach einer Weile des Brüllens und Pfeifens merkten sie, dass ihnen die Energie ausging. Oder die Perspektive. Lass uns Cha-Cha-Cha tanzen, habe sie gesagt, so viel Kraft hatten sie noch, tanzten zwischen Polizei, Höcke, dessen Unterstützern, dem Schwarzen Block. Auf der nächsten Demo, erzählt Birgit Gatz, hätten sich Jüngere gefreut: Da sind ja die, die tanzen. Sie gingen häufiger zwischen die Linien bei den Konfrontationen, bunt angezogen zwischen Schwarzen Blöcken links und rechts. Manchmal könne das deeskalieren.

Im Schnitt sind Chem­nit­ze­r*in­nen 52 Jahre alt, hier lebt die älteste Bevölkerung aller Regionen in Europa. Am Cafétisch und in der Stadt erzählen die Omas von einer schweigenden Mitte. Die wolle rechte Übergriffe eher nicht wahrhaben, fremdle vor politischem Engagement. Schon ihr Gruppenname macht da Probleme, es gibt hakelige Debatten über die Präposition: Man könne nicht nur gegen etwas sein. Die Diskussion flackert unter Omas und denen, die ihnen mit Sympathie begegnen, immer mal wieder auf.

Wenn man eine Weile mit ihnen zusammensitzt, merkt man, dass die Runde viel für sich ist: Sie lernen, rechtsradikale Symbole zu erkennen, Sprachwendungen, rüsten sich gegen Parolen und Argumente. Und wollten schnell davon wegkommen, immer nur auf den Takt der Rechten, ihre Aufmärsche, ihre Aktionen zu reagieren: überlegen sich Lesungen, Workshops, Aktionen, die sie in die Stadt tragen. Im kulturellen Raum erzählen alle, mit denen man spricht, dass in Chemnitz rechte Begriffe oft den Alltag prägen.

Eine ältere Dame bringt einen Zettel an der "Brandmauer gegen Rechts" an.

Mit Protestaktionen wie der „Brandmauer gegen Rechts“ in Neukölln im Dezember 2023 beziehen die Omas gegen Rechts klare Position Foto: Miriam Klingl

Protest im Alter ist nicht neu

Margitta Rühling ballt kurz die Faust, denkt noch einmal an 2018: Wir haben uns so sehr über all die geärgert, die einfach neben den Nazis gestanden haben. Auch nicht weggingen, als die ihre Parolen brüllten. Ihr Vater war ein überzeugter Nationalsozialist.

Birgit Gatz erzählt, dass sie auch mal den Schwarzen Block (links) davon abhält, sich zu vermummen. Ihr seid doch hübsche Jungs, ruft sie ihnen dann zu, steht doch zu eurer Haltung. Britta Mahlendorff wiederholt: Uns geht es darum, etwas für die Demokratie zu tun.

Dann ist Aufbruch, in der ganzen Stadt werden Stolpersteine geputzt, die Gruppe trennt sich. Vor dem Tresen hält Mahlendorff kurz inne, erzählt, dass sie hier keine Flugblätter mehr auslegen könnten. Der Mann dahinter trägt eine halbe Entschuldigung im Gesicht, sagt, dass sie das jetzt so handhaben müssten. Sie hätten eben gern, dass Scheiben ganz blieben, nicht wieder beschmiert würden.

Ein wenig Soziologie tut immer gut, und Dieter Rucht erforscht seit vielen Jahren Grundlagen für Protest und Zivilgesellschaft. Außerdem betreffe ihn Protest im Alter ja auch selbst, sagt er am Telefon. Rucht ist Jahrgang 1946, rollt noch das R des Allgäus.

Kleiner Disclaimer gleich zu Beginn des Gesprächs: Über Aktivismus im Alter weiß die Soziologie wenig bis nichts. Er kenne überhaupt niemanden, der oder die das zum Gegenstand von Forschungen machen würde, sagt Rucht. Also keine Untersuchungen, nicht einmal jemand, der zum Thema arbeite. Ist Protest im Alter so neu? Rucht findet, nein: In Bergbaustädten Englands hätten ältere Menschen Proteste gegen Premierministerin Thatcher unterstützt.

Es gebe immer lokale Themen – Bürgerinitiativen gegen Schließungen von Altersheimen zum Beispiel. Altersdiskriminierung, Rentenfragen hatten Graue Panther oder die Seniorenpartei vor Jahrzehnten in den politischen Raum eingespeist. Aber es waren Randphänomene – auf Län­der­ebe­ne oder republikweit gebe es heute keine altersspezifische Mobilisierung.

Gedenken an Widerstandskämpfer

Aber mit der Boomergeneration gingen jetzt viele in den Ruhestand, die bei großen Protesten der Nachkriegszeit vorn dabei gewesen wären. Menschen mit politischen Biografien, die zu organisieren verstünden. Sie hatten Arbeitsgruppen gegründet, bei Anti-AKW-Gruppen mitgemischt oder in der Studentenbewegung (hieß in den 1960er Jahren so, Frauen waren eher mitgedacht). Heute nähmen sie dann das ein, was Rucht eine generalisierte politische Position nennt: prodemokratisch, eher links, oft bündnisorientiert.

Gustav-Freytag-Straße 3. Bevor sie singen werden, nimmt eine der Omas Blätter aus einer Plastikhülle, liest vor: Marek Muszkatblat, 1909 in Warschau geboren, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Der Wind wird kühler, erste Regentropfen, alle schauen auf die beiden Stolpersteine im Gehweg, jemand holt Kiesel, damit die elektrische Kerze im Plastikbecher nicht wieder umfällt.

Die Muszkatblats kamen Ende 1914 nach Chemnitz, 1929 begann Marek ein Medizinstudium, trat in die KPD ein, wurde 1932 „wegen kommunistischer Betätigung“ exmatrikuliert. Am 20. April, ausgerechnet. Tyla Wajdenbaum, geboren 1911, lernte er im Pariser Exil kennen. Sie heirateten, machten bei der Résistance mit.

Ein kleiner Junge bleibt stehen, schüchtern, vielleicht zehn Jahre alt, dunkle Haut, Kapuze tief im Gesicht, fragt leise, um was es hier geht. Britta Mahlendorff erklärt ihm, dass sich heute überall in der Stadt Menschen an die erinnern, die von den Nationalsozialisten vertrieben, deportiert, ermordet wurden. Über 300 solcher kleinen Gedenkorte gibt es in Chemnitz inzwischen, gerade hat jemand mal wieder einen Stolperstein herausgerissen, der Staatsschutz ermittelt.

Tyla Muszkatblat wurde 1942 verhaftet, Marek im Jahr darauf. Sammel­lager Drancy, Deportation nach ­Auschwitz: Tyla wurde im August 1942 ermordet, Marek fast auf den Tag genau ein Jahr später. Die beiden Steine im Plattenweg neben der Ausfallstraße haben die Chemnitzer Omas organisiert. Fußgänger kommen hier selten vorbei. Der Junge dreht sich, geht mit langsamen Schritten weg.

„Das mit der CDU könnte passen“

In Berlin-Adlershof sitzt Heike Mahlkow, geboren 1965, mit dem Rücken zur cremefarbenen Wand mit grauen Schleifspuren. Eine fensterlose Bäckereikette im Supermarkt, sonst hat alles schon zu. Mahlkow arbeitet ums Eck, sie ist Abteilungsleiterin innere Verwaltung im Jobcenter Treptow-Köpenick.

Sie muss mal schauen, sagt sie, wie sie sich da einbringen kann, ein wenig Unsicherheit in der Stimme – sie stürzt sich öfter in Dinge, die ihr zu viel zumuten. Und hat chronische Mi­grä­ne: keine gute Kombination. Eine Woche vor dem Treffen in der Bäckerei war sie das erste Mal auf der Monatssitzung der Omas von „KreuzKölln“. Da will sie jetzt mitmachen.

Dort gibt es Frauen, die in der So­zia­lis­ti­schen Einheitspartei Westberlins waren, andere saßen in der Mutlanger Heide und protestierten gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen. Heike Mahlkows politische Biografie ist anders: Sie wuchs in Köpenick auf, ihre Eltern waren in der SED, vom Sozialismus überzeugt. Dann warf die Partei ihrem Vater Verfehlungen bei der Disziplin vor. Kurz vor der Wende beendete Mahlkow ihr Studium der Finanzwirtschaft, Spezialisierung Staatshaushalt. Mit dem Ende der DDR war es für sie auch mit Parteien vorbei. Die waren dann nicht mehr so meins, sagt sie.

Als ihre Söhne auf die Schule gingen, stürzte sie sich in die Elternarbeit, danach suchte sie sich eine Gruppe bei Amnesty International. Wie schätzt sie sich politisch ein? Immer links. Links von der Mitte. Angela Merkel wählte sie dann doch, eine ostdeutsche Frau, die sich gegen Männer und Widerstände durchsetzte. Mahlkow dachte: Jetzt bin ich auch etwas gesetzter, das mit der CDU könnte passen.

Immer mehr Nachbarn wandern nach rechts ab

Sie lebt am Stadtrand. Und der motiviert sie, zu den Omas zu gehen: In Rahnsdorf stehen Einfamilienhäuser, umkränzt von Gärten, davor größere Autos. Aber irgendetwas kippe da, aus dem Schweigen zu seltsamen Behauptungen sei öfter eine Haltung geworden: fest und überzeugt. Immer mehr Nachbarn, Bekannte reden, als wären sie jetzt bei der AfD, sagt sie.

Auf einer Party im Sommer betete einer vor, was Friedrich Merz später zum Grundübel der Gesundheitsversorgung erklären wollte: Ältere Menschen bekämen keine Termine beim Orthopäden, alles voll mit Ukrainern. Die Fäden der wirren Diskussionen über Covid werden weitergesponnen: Die da oben. Schlimm. Und wir hier unten müssen es ausbaden. Am Gartenzaun Gerede darüber, was die Asylanten alles bekämen.

Heiko Mahlkow trägt eine Warnweste der "Omas gegen Rechts" und lächelt in die Kamera.

Heike Mahlkow von den „Omas gegen Rechts“ sorgt sich um Nachbarn, die immer mehr wie AfD-Wähler reden Foto: Miriam Klingl

Mahlkows Mann arbeitet auch beim Jobcenter. Wir wissen beide, dass das allermeiste, was so erzählt wird, Unsinn ist. Aber – sie robbt sich vorsichtig zu einem Thema vor, schneidet es an, umschifft es gleich wieder, als wolle sie für jedes Wort immer zwei zurücknehmen – was mich wirklich aufgerüttelt hat, sagt sie, sind Familienangehörige. Ihr Mann sei zwar bei der Orthopäden-Ukrainer-Tirade dazwischengegangen; richtig weit davon, was rechte Organisationen wie ein Mantra vor sich hertragen, siedeln aber längst nicht alle.

Die Erzählung, dass Geflüchtete nur fürs Geld herkämen, den Staat, also unsere Steuern, wegschaffen würden, sickert in Unterhaltungen zu Hause. Nicht alle, sagt Mahlkow, sind so reflektiert, dass wir uns dann wieder auf vernünftige Argumente einigen können. Was sie machen würde, wenn ihre Freunde, vielleicht ihr Mann die AfD wählen würden? Heike Mahlkow stutzt, holt kurz Luft. Darüber hat sie noch nicht nachgedacht. Also mit ihrem Mann, da wäre dann schon ein Problem.

Kekse gegen die AfD

Mitte Dezember, beißende Kälte in Berlin-Neukölln: Auf dem schmalen Karl-Marx-Platz schreien Marktverkäu­fer letzte Mandarinen aus, am Richardplatz stehen Zeltdächer, Holzbuden, eine kleine Bühne. Wer zum Rixdorfer Weihnachtsmarkt will, kommt an einer Brandmauer vorbei, vielleicht eins vierzig breit, gebaut aus braunen Pappkartons, etwas über einen Meter hoch: 15 Omas der Ortsgruppe „KreuzKölln“ ziehen sich weiße Westen über, tragen die Broschen mit ihrem Schriftzug.

Es wird die letzte Aktion des Jahres. Sie verteilen Kekse gegen die AfD, halten jedem, der vorbeikommt Zettel hin. Gedanken, Sprüche soll man da draufschreiben, wie man die Dinge so sieht und die AfD insbesondere. „Keine Akzeptanz für rassistische Partei“ hängt dort schon, eine Überschrift haben die Pappkartons auch, roter Edding, sorgfältige Schrift: „Damit niemand sagen kann, ‚Das habe ich nicht gewusst‘ “.

Ein Jüngerer steht da, murmelt, dass er sofort gespendet hätte, eine Resolution unterschreiben würde. Aber einen Gedanken formulieren, nicht einfach. Heike Mahlkow drückt ihm das Klemmbrett in die Hand, lacht.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ein wenig angespannt, sagt sie, war sie schon. Man kann ihr dabei zuschauen, wie sie hin und her läuft. Die meisten hier sind sowieso gegen die AfD. Manchmal zieht sie sich nach einer Weile raus aus Gesprächen, die nur noch um persönliche Nöte kreisen. Sie will mit denen reden, die wackelig sind. Die sie vielleicht noch beeinflussen kann. Das Gesicht rot vor Kälte, begeistert.

Gustav-Freytag-Straße 3, Innehalten, Rücken zum Verkehr, Omas und Opas aus Chemnitz holen Luft. Sie singen „Schalom chaverim“. Das Lied klingt zart zwischen rauschendem Verkehr, die Bilder vom 7. Oktober sind noch frisch. „Der Friede geleite euch.“ Ein Lied zum Gruß, zum Abschied. Wenn man sie fragt, sagen die meisten, dass sie sich sehr genau überlegen, wem sie erzählen, dass sie bei den Omas mitmachen. „Schalom chaverim“, das Lied ist so alt, dass man über seine Wurzeln wenig weiß. Man könnte meinen, es wäre schon immer da gewesen.

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